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Stimmung hinein, kam plötzlich von der Tür her Alviturs Stimme: „Einen kleinen Raben muss man natürlich so füttern, wie es seine Eltern auch machen. Er soll ja schließlich nicht verhungern.“

      Alvitur trat näher, griff sich am Tisch einen Stuhl und zog ihn näher zu Hildas Nest. Er setzte sich mit leisen Ächzen neben sie. „Na das ist aber sehr interessant. Noch nie in meinem Leben habe ich ein Mädchen gesehen, das ein Rabenei ausbrütet.“

      Er wiegte nachdenklich den Kopf und meinte: „Wir sind ja gastfreundliche Menschen, warum soll nicht auch ein Rabe bei uns leben und seinen Platz hier haben?“

      Hilda war nicht ganz wohl zumute. Alvitur war ja freundlich, aber er war der Dorfälteste, der weiseste und bestimmt auch der wichtigste Mann in Björkendal. Sehr streng konnte Alvitur auch sein, das wusste sie. Wenn er schon zu ihr ans Bett kam, dann war sie wohl so etwas wie ein wichtiges Ereignis.

      Sie schaute Alvitur etwas ängstlich an und fragte: „Darf ich das nicht, das Ei ausbrüten?“

      Alvitur lächelte. „Einurd hat mir von deinem sehr außergewöhnlichen Vorhaben berichtet, und ich dachte mir, dass ich so etwas unbedingt sehen müsste. So alt ich auch bin, von einem brütendem Mädchen habe ich noch nie gehört. Du musst nur bedenken, dass Raben für uns heilige Tiere sind. Gehe also nicht leichtfertig mit diesem Ei um. Du weißt auch, dass Odins engste Helfer, neben den Wölfen, zwei Raben sind, Hugin und Munin. Jetzt übernimmst du also, für das kleine Leben in dem Ei, eine große Verantwortung, die sehr lange dauern kann, denn Raben können uralt werden. Überlege dir, was die Raben alles fressen und wenn dein Küken schlüpft, füttere es damit. Mach dir nichts draus, dass du keinen Schnabel hast. Wenn du alles gut vorkaust und ihn dann mit den Fingern fütterst, wird das schon funktionieren.“

      Niemand hatte Hildas Vorhaben bisher verurteilt, im Gegenteil, Alvitur machte ihr sogar Mut. Hilda war froh darüber, wie ernst Alvitur sie nahm, aber sie war jetzt auch müde und etwas besorgt. Sie trank noch einen Schluck Tee, den ihr die Mutter reichte und ganz plötzlich fielen ihr die Augen zu. Den Becher mit dicker, süßer Milch, sah sie gar nicht mehr und Mutter Hilda stellte ihn lächelnd beiseite. Dieser Tag war so aufregend und anstrengend für sie, das sie im Sitzen fest einschlief und gar nicht mehr mitbekam, wie Alvitur ihr über das Haar strich und sich mit nachdenklichem Gesicht verabschiedete.

      Mutter Hilda räumte noch das Geschirr vom Tisch und Falki ließ sich indessen noch Hildas Anteil vom gebratenen Fisch schmecken, dann zog auch ihn die Müdigkeit an Hildas Seite. Hildas Nacht war, dadurch, dass sie im Sitzen schlafen musste, etwas merkwürdig. Es war mehr ein Dämmerschlaf und ihr Unterbewusstsein achtete ständig darauf, das Ei nicht zu drücken. Im Traum erschien ihr ein alter Mann, der sie aus einem Auge streng, aber nicht böse ansah. Dieser Alte sagte ihr auch, dass sie dem Raben eine gute Mutter sein solle. Es war schon merkwürdig, denn er sprach zu ihr, aber er machte den Mund dabei nicht auf. War das Alvitur?

      Durch das Feuerloch im Dach begann langsam das Morgenlicht herein zu sickern; ein neuer Tag brach an und die Dinge in der Hütte erhielten langsam Konturen. Hilda war natürlich zuerst wach und im Dämmerlicht sah sie, dass auf dem Tisch immer noch das Öllämpchen brannte. Bevor sie jedoch zu irgendeinem anderen Gedanken fähig war, tastete sie ganz vorsichtig nach ihrem Ei. Es war noch da und unversehrt. Hilda war erleichtert. Warm und wunderschön glatt lag es immer noch in dem Hasenfellchen. Sie war froh, dass sie die Nacht so gut überstanden hatte und das Ei heile geblieben war. Da fiel ihr der alte Mann aus ihrem Traum ein, der wie Alvitur nur ein Auge hatte. Sie grübelte etwas und das Bild entstand neu in ihrem Kopf. Der Mann trug einen langen, blauen Mantel. „Odin“, flüsterte sie. Sie hatte im Traum Odin gesehen und er hatte zu ihr gesprochen. Bei diesem Gedanken bekam sie plötzlich Gänsehaut und ein Schauer ging ihr über den Rücken.

      „Odin, na klar. Der hatte ja auch Raben, weil Raben die weisesten Vögel waren und überall hinfliegen konnten“, grübelte sie.

      Da rekelte sich Mutter Hilda und setzte sich auf. Sie schaute sofort zur Tochter hinüber und fragte: „Na, mein Schatz, hast du gut geschlafen und dein Ei bebrütet?“

      „Ja, Mama und es ist noch da und ganz warm.“

      „Ihr habt gestern erzählt, dass da noch zwei Küken im Nest waren, dann müsste ja dieses Ei auch bald so weit sein und das Küken könnte schlüpfen. Also halte es schön warm und sei ganz vorsichtig.“

      Hilda lächelte glücklich, weil die Mutter so sehr Anteil an ihrem Vorhaben nahm. „Ja, Mama. Ich habe etwas Hunger, kannst du mich wieder füttern? Das war so schön gestern Abend.“

      „Ja, mein kleines Vögelchen, warte noch bis Falki wach ist, dann mache ich uns etwas zum Essen. Wenn du mal raus musst, dann mach das Fellchen über das Ei und deine Decken, dann bleibt es warm.“

      „Ja, Mutter, danke“, erwiderte Hilda und kuschelte sich erneut in ihr Nest.

      Da gähnte Falki laut und sprang dann mit einem Satz vom Lager, drehte sich zu Hilda um und machte staunende Augen. „Also ist doch alles wirklich wahr, das mit dem Ei, dem Nest, und Odin auch?“

      „Wieso Odin?“, fragte die Mutter erstaunt.

      „Ich habe eben geglaubt, dass ich alles nur geträumt habe. Da war in meinem Traum so ein alter Mann im blauen Mantel und einem Auge, der stand hier in der Hütte und schaute auf Hilda und ihr Nest. Er sah auch aus, wie Alvitur, aber es war nicht Alvitur, weil er das fehlende Auge auf der anderen Seite hatte! Komischer Traum.“

      „Na ja, so sind Träume eben“, entgegnete Mutter Hilda und stellte Essen auf den Tisch, aber wenn Odin persönlich seine Hand über Hilda hält, wird das Brüten ganz sicher gut gehen.“

      Hilda schaute ihren Bruder mit fragendem Blick an, verdrehte dann mit einem verschwörerischen Gesicht die Augen und flüsterte: „Bei mir war er auch. Er war in meinem Traum. Er sah genau so aus, wie du es eben gesagt hast.“

      Falki rannte kurz aus der Hütte, sich frisch zu machen und um Blumen zu gießen, wie er immer sagte. Als er zurück kam, brummte er mit tiefer Stimme: „Hunger.“

      Die Mutter und Falki setzten sich zum Frühstück an den Tisch während Hilda auf ihrem Nest sitzen blieb. Falkis Augen liebäugelten erst mit dem Brei, aber dann griff er doch zu Brot und Käse. „Mama, darf ich mir etwas Honig in die Molke machen?“ Und er setzte zu seiner Frage ein leidendes Gesicht auf.

      Mutter Hilda lächelte und schob ihm den kleinen Topf mit Honig über den Tisch.

      Als die Mutter mit dem Essen fertig war, nahm sie ein paar Happen und setzte sich, wie am Abend zuvor, zu Hilda, um sie zu füttern. Diesmal trank sie auch den Becher mit süßer Dickmilch. Hilda genoss es wieder, von ihrer Mutter so aufmerksam umsorgt zu werden und lehnte sich genießerisch in ihrem Nest zurück.

      Plötzlich drang von draußen leises Geraune, vieler Stimmen, in die Hütte. Dann klopfte es an der Tür und Steinars Stimme dröhnte: „Ist jemand zu Hause?“

      „Komm rein!“, rief Mutter Hilda.

      Die Tür ging auf, herein kamen Steinar und hinter ihm fast das halbe Dorf.

      Die drei in der Hütte machten erschrockene Gesichter und Hilda wurde in ihrem Nest immer kleiner.

      „Hehe“, rief Mutter Hilda, „was wird das denn, ein Überfall? Ihr habt wohl auch alle Hunger?“

      Steinar grinste und sagte, ihm sei zu Ohren gekommen, dass hier ein Rabennest sein soll, aber das wollte er nicht so recht glauben. Die anderen Björkendaler, die mit in der Hütte standen, nickten eifrig und murmelten: „Wir auch nicht.“

      Mutter Hilda baute sich schützend vor ihrer Tochter auf und erwiderte: „Macht nicht so viel Wind hier in unserer kleinen Hütte. Ja, es ist wahr, die Kinder haben gestern ein Rabenei mitgebracht und nun brütet Hildas das Ei aus. Also, alles ist hier in bester Ordnung.“

      Elfa, Lipurta und Stina, die drei Mädchen in Hildas Alter drängten sich nach vorne, ganz nahe an Hildas Lager. Sie machten lange Hälse und die Neugier stand ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

      Stina

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