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Fratzen heidnischer Götter zeigte: Welch hervorragendes Sinnbild für den Sieg des Christentums!

      Willibald predigte den Heiden, mit der Taufe, die sie nun empfingen, sage Gott „Ja“ zu ihnen. Dieses „Ja“ sei endgültig: Er nehme sie in seinen gütigen Schoß und werde sie ewiglich beschützen. Dann taufte er sie.

      Michal gelang es währenddessen, sich zu sammeln. Mönche, Nonnen und die frisch Getauften folgten dem Bischof nach der Taufe in die Kirche. Kerzen wurden entzündet, durch die hohen Fenster fiel wenig Licht, dafür umso schärferer Herbstwind, von dem die Kerzenflammen zitterten während der Heiligen Messe.

      Da trat Willibald vom Altar herab und schritt auf die Holzschranke zu, hinter der die Nonnen standen. Vor Michal blieb er stehen.

      Sie starrte den ehrwürdigen Bischof an, bis sie merkte, wie unziemlich dies war. Hastig senkte sie das Haupt.

      Willibald sprach: „Hugeburc, genannt Michal, aus dem Sachsenstamme, du bist wie ich von den Gestaden der Heimat aufgebrochen, bist über das stürmische Meer gereist, um in diesem Land das Licht des Evangeliums zu verbreiten. Allein mit diesem Wagnis hast du deine Eignung für ein Leben im Lichte Christi bewiesen. Und hätte der Herr sein Licht zu Walburga geschickt, wenn er mit einer ihrer Mägde haderte?“

      Michals Knie gaben nach, kniend presste sie die Handflächen aneinander.

      Walburga überreichte Willibald einen schwarzen Schleier mit weißem Rand.

      Willibald fuhr fort: „Dieser heilige Schleier soll von nun an dein Haupt bedecken, denn der heilige Paulus schreibt im ersten Brief an die Korinther: Eine Frau aber, die betet oder prophetisch redet mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt. Gelobst du, Michal, die Evangelischen Räte der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams zu befolgen?“

      Eine Pause trat ein, bis Michal merkte, dass sie antworten musste. Sie haspelte: „Ich gelobe es, bei Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und bei Jesus Christus, seinem Sohn.“

      „Gelobst du, wahrhaft Gott zu suchen, dich um die tägliche Umkehr zu bemühen und ein Leben zu führen nach der Regel des heiligen Benedikts?“

      „Ich gelobe es!“

      „Gelobst du, Christus nichts vorzuziehen?“

      „Ich gelobe es!“

      Und er breitete den Schleier über ihr Kopftuch und segnete sie. „So bitten wir dich, Herr, unser Gott: Schau gütig auf unsere Schwester. Das Versprechen der Jungfräulichkeit legt sie in deine Hand und weiht dir ihr ganzes Leben; denn du selbst hast dazu ihr Herz bewegt. Ohne dich kann kein Sterblicher dem Gesetz der Natur entgehen, die Freiheit zum Bösen bewältigen, die Macht der Gewohnheit brechen, die Leidenschaft der Sinne überwinden.“

      Aebbe drückte ihre Hand, tränenüberströmt blickte Michal auf das Holzkreuz, das auf dem steinernen Altartisch thronte.

      „Ich sage zum Herrn: Du bist mein Herr, mein ganzes Glück bist du allein. Ich neige mein Herz, zu tun deine Gebote immer und ewiglich.“

      So vollkommen war dieser Augenblick, so festgewebt das Band zwischen Jesus Christus und ihr, dass − dessen war sie gewiss − niemals irgendetwas es wieder lösen könnte.

       Winter

      3. KAPITEL

      Mit jedem Baum, den Gerold auf dem Weg zum Grafenhof passierte, schlug sein Herz schneller. Er senkte den Blick, legte die Hände aneinander und murmelte Worte der Kirchensprache. Er verstand sie nicht, jedoch hoffte er, sie würden ihm bei dieser Prüfung helfen. „Pater noster, qui es in caelis: sanctificetur nomen tuum.“ Gerold sah auf. Hundert Schritte vor ihm erblickte er das Licht am Ende des Waldes. „Adva…“ Er holte tief Luft. „Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua …“ Unter seinem linken Fuß knackte es. Er zuckte zusammen. Es war nur ein Zweig, beruhigte er sich. Nur ein Zweig. Er legte die zittrigen Hände aneinander. Er wollte die Kirchenformel weitersprechen, doch ihm fielen keine Worte mehr ein.

      Angst.

      Gerold schämte sich. Bevor Wulfhardt den Grafenhof heimgesucht hatte, hatte er nicht gewusst, was Angst war. Dann hatte Wulfhardt ihn in das Verlies gesperrt, ein Krug abgestandenes Wasser war seine einzige Gesellschaft gewesen. Die Schreie der Menschen, die im Großen Saal verbrannten, hatten ihm in den Ohren geklungen. Er hatte Adelheids hohes Kreischen gehört. Auch sie, seine Angebetete, hatte er im Stich gelassen.

      Er hatte dort unten gesessen, hatte aber nichts tun können. Das war am schlimmsten gewesen. Aber dann − vielleicht nach zwei Tagen – bemerkte er, dass an einer Stelle durch die hölzerne Falltür ein kräftiger Lichtstrahl drang. Er kniff die Augen zusammen: Das Holz war dort ein wenig abgesplittert. Er kratzte Erde von den Wänden, baute damit einen Hügel und stellte den Krug darauf. Auf dem Krug hin- und herbalancierend, bekam er immer wieder das Holz der Falltür zu fassen, ab und an riss er einen Holzsplitter aus der Falltür heraus. Selbst als es dunkel wurde, machte er weiter. Als es wieder hell wurde, passte sein Arm durch das Loch. Mit der einen Hand zog er sich an der Falltür nach oben, mit der anderen griff er nach draußen. Ganz lang musste er seinen Arm machen, bis er endlich den Riegel zu fassen bekam und ihn zurückschieben konnte. Er hob die Falltür an und traute seinen Augen nicht: Vor ihm stand ein weißes Reh. Rote Augen, gekrönt von weißen Wimpern, sahen ihn ruhig an. Gerold war, als hätte das Reh die ganze Zeit dort oben gewartet. Mit einer Stange seines Geweihs schob das Reh ihm das Seil hin. Dann trabte es davon.

      Ich träume, dachte er. Oder bin ich im Himmel?

      Er stieß die Falltür auf, fasste das Seil und zog sich hinaus.

      Hätte er gewusst, welcher Anblick ihn dort oben erwartete, er wäre im Verlies geblieben: seine Mutter, die Haare versengt, die Haut verbrannt, nur zu erkennen an der silbern funkelnden Halskette. Sein Vater, den Pfeil in der Brust, das Blut getrocknet, darüber süßer Geruch. Wulfhardt hatte jeden ausgelöscht, mit dem Gerold seine Jugend verbracht hatte, all die Menschen, die ihn bewundert und in ihm den zukünftigen Grafen gesehen hatten. Gerold musste sich hinknien und würgen. Er gewahrte den Siegelring seines Vaters, aus Kupfer geschmiedet, auf der Platte ein Eber eingraviert, das Wappentier der Familie.

      Plötzlich hörte er es, das Donnern von Hufen − wie beim Überfall. Er schreckte hoch, entdeckte seine Franziska, drei Schritte vor ihm, ergriff sie. Sein Blick, auf der Suche nach Reitern, huschte bis zum Waldrand, fand aber keine, nur das Donnern in seinen Ohren wurde lauter. Er rannte davon, in den Wald, Baumstämme flogen an ihm vorbei, immer weiter, bis er, von hohen Buchen umstanden, auf den Waldboden sank.

      Als er aufwachte, wusste er nicht, wo er war und wie er dorthin gekommen war. Dann fiel es ihm wieder ein, das Donnern der Hufe. War es Wirklichkeit oder Einbildung gewesen? Am Ringfinger steckte Vaters Siegelring. Er musste ihn mitgenommen haben bei seiner Flucht.

      Jetzt starrte Gerold auf den Siegelring und begann wieder mit der Kirchenformel: „Pater noster, qui es in caelis: sanctificetur nomen tuum.“ Er blieb stehen, den Blick gesenkt, und atmete zweimal tief ein. Einen Fuß setzte er vor den anderen. „Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra.“ Er hielt an, Stück für Stück hob er den Kopf. Zwischen den Baumstämmen hindurch, hinter dem Waldrand, erspähte er das mit Holzschindeln gedeckte Dach des Wohnhauses der Grafenfamilie. Seiner Familie.

      „Sie sind tot. Alle sind sie tot!“

      Es kribbelte in Gesicht und Händen. Er öffnete den Mund, doch es gelang ihm nicht, die Luft einzusaugen. Die Baumstämme vor ihm setzten sich in Bewegung, sie drehten sich um ihn herum.

      Hufgetrappel. Leise, wie aus weiter Ferne. Es schwoll an. Die donnernden Hufe dröhnten in den Ohren.

      Gerold schrie. Er wirbelte herum und rannte.

      Er wusste nicht wohin. Tag um Tag streifte er durch den Wald, mal hierhin, mal dorthin. Ab und zu erblickte er das geheimnisvolle weiße Reh. Doch hielt es Abstand von ihm, so wie er Abstand hielt von den Menschen. Immer, wenn er den Waldrand erreichte, wenn er in einigen hundert Schritten Entfernung ein Weizenfeld erahnte, begann sein

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