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zu, während Walburga in ihrer Mitte betete. Die Menschen Heidenheims drängten an Wulfhardt vorbei zurück in die Kirche, um ihrer Äbtissin beizustehen.

      „Das war dumm von dir!“, zischte Wulfhardt Goumerad an. Zur Antwort drehte der Prior beleidigt den Kopf zur Seite.

      Wulfhardt schritt an das Feuer, schnitt sich ein Stück Rindfleisch ab und ließ sich Wein einschenken. Nur seine Waffenknechte und die Mönche begleiteten ihn. Wulfhardt hob feierlich den Becher und trank auf seine Familie. Die Waffenknechte prosteten ihm zu, Hroutland stiegen ob des Gedenkens an Wulfhardts Bruder Tränen in die Augen. Auch die Mönche ließen sich einschenken. Schweigend nippten sie an ihren Bechern, ein Gespräch wollte nicht entstehen.

      Da rief ein Waffenknecht: „Ein Licht! Ein magisches Licht!“

      Wulfhardt fuhr herum. Tatsächlich: Lichtschein flackerte durch die Tür des Nonnenklosters. Der Ruf des Waffenknechts lockte einige Bauern aus der Kirche. Sie sahen das Licht und fielen auf die Knie. Immer mehr Menschen strömten aus der Kirche, liefen bis an den Holzzaun heran, der die Nonnenklausur begrenzte. „Der Glanz Gottes!“, riefen sie. „Der Herr hat sie erhört! Walburga bat ihn um Licht, der Herr hat’s geschickt!“ Sie warfen sich vor dem Lichtschein in den Staub, auch einige von Wulfhardts Waffenknechten wurden vom Zauber ergriffen.

      Wulfhardt war wie gelähmt. Erst der Donnerschlag auf der Lichtung. Jetzt das Licht im Nonnenkloster. Wieder schickten die Götter ein Zeichen, wieder begünstigten sie die Nonnen.

      Oder war es der Christengott, der diese Zeichen schickte?

      Zum ersten Mal ahnte Wulfhardt, dass der Gott der Christen tatsächlich existieren könnte. War Jesus tatsächlich sein Sohn? Bisher hatte Wulfhardt ihn verachtet, weil er in einem Stall geboren und wie ein Verräter ans Kreuz geschlagen worden war.

      Wulfhardt bekreuzigte sich und küsste das silberne Kreuz auf der Brust.

      Die Nonnen kamen nun heran, Walburga an der Spitze. Nur die Nonne mit dem Kopftuch entdeckte Wulfhardt nicht. Walburga kniete sich vor die erleuchtete Tür. Als sie die Stimme erhob, schwiegen alle und falteten die Hände. „Du, o Herr, hast Dich gewürdigt, mich Unwürdige mit dem Troste Deines Lichtes heimzusuchen und die Seelen Deiner Dienerinnen, die mir in Anhänglichkeit folgen, aufzurichten. Du hast die undurchdringliche Finsternis mit ihrem düsteren Schrecken durch die Strahlen Deines Erbarmens aufgelöst. Und das darf man nicht meinen Verdiensten, vielmehr dem selbstlosen Großmut deiner Liebe und den Bitten meines Bruders Wynnebald, deines frommen Dieners, zuschreiben. Dir, o Herr, sage ich Dank, dem ich als demütige Magd von Jugend an diene. Amen.“

      Das Licht leuchtete bis zur Laudes am nächsten Morgen. Die Nachricht vom Lichtwunder zu Heidenheim sprang von Mund zu Mund und von Dorf zu Dorf, Menschen strömten herbei: Gesunde, die etwas von Gottes Gnade, die auf Walburga herabgeschienen war, auf sich lenken wollten, ebenso wie Kranke, die um Heilung ihrer Gebrechen baten. Walburga geleitete die Kranken in das Krankenlager neben dem Nonnenkloster, betete für sie und verabreichte ihnen Trünke aus den Kräutern des Gartens.

      Wulfhardt verkündete am Tag nach dem Wunder, der Herr habe mit diesem Zeichen den Vorwürfen des Priors Goumerad gegen Walburga widersprochen, weshalb die Anklage gegen Walburga entkräftet sei. Auch ihn schien das Licht ergriffen zu haben. Oder heuchelte er, weil die Verehrung Walburgas durch seine Waffenknechte ihm keine Wahl ließ?

      Michal wusste: Der Teufel ist ein Meister der Verstellung.

      Dennoch fühlte sich Michal wie von schwerer Last befreit. Nur Walburgas Tadel, sie sei des Schleiers unwürdig, drückte sie noch nieder. Alles tat sie, um den Unterweisungen Walburgas zu entsprechen: Kein unnötiges Wort verließ ihren Mund, gänzlich widmete sie sich dem Gebet, der Arbeit in der Schreibstube und dem Unterricht. Jede Regung von Walburgas Gesichtsmuskeln registrierte sie. Hier und da schlich sich ein Lächeln über die Lippen, auch in ihre Richtung. Doch über den Schleier verlor sie kein Wort.

      Grübelnd verbrachte Michal die meiste Zeit in der Schreibstube. Dort fiel ihr beim Ordnen der Manuskripte die unbeschreiblichste Geschichte in die Hände, die ihr je unter die Augen gekommen war: die pietas silvestri. Auch Wynnebald hatte die Geschichte einst so fasziniert, dass er sie den langen Weg von Rom bis nach Heidenheim mitgeführt hatte. Konstantin, ein Kaiser des alten Römerreiches, ward vom Aussatz befallen, doch anstatt die Hilfe der heidnischen Priester anzunehmen, ließ er Papst Silvester holen. Jener heilte ihn durch die Taufe. Sodann wollte Konstantin den Papst überhäufen mit Titeln, Würden und Ansprüchen. Silvester jedoch lehnte ab, denn die Kirche sei nicht interessiert an irdischen Gütern und irdischer Macht, sondern allein auf die kommende Gottesherrschaft ausgerichtet. Michal erkannte die Parabel auf ihr Leben: Sie hatte sich aus der Welt in das Kloster zurückgezogen, allen irdischen Prunk verschmähend, um nach Gottes Gesetzen zu leben. Und hatte nicht auch Jesus bei der dritten Versuchung durch den Teufel alle Reiche der Welt ausgeschlagen?

      „Welch heilige Männer in Rom gewirkt haben!“, seufzte Michal und dachte dabei an Papst Silvester. Petrus und Paulus hatten dort den Märtyrertod erlitten, Willibald und Wynnebald waren dorthin gepilgert. Alle heiligen Männer zog es nach Rom! In ihr keimte der Wunsch auf, ebenfalls in die Heilige Stadt zu pilgern, doch schnell schalt sie sich eine Torin: Als gebrechliche Frau konnte sie sich nicht durch den Einsatz großer Kräfte hervortun. War es nicht dieses anmaßende Verhalten, dessentwegen ihr der heilige Schleier vorenthalten blieb?

      Drei Tage nach dem Lichtwunder erschien Bischof Willibald in Heidenheim, nur begleitet von zwei Diakonen und dem Heiden von der Lichtung. Im Angesicht jenes heiligmäßigen Mannes fühlte sich Michal nicht wie dessen Nichte, sondern wie eine Unwürdige, die seinem Stamm allenfalls an den äußersten Enden des Astwerks entsprungen war. Während er den Marktplatz überquerte, wo die Menschen zusammengelaufen waren, schlug er nach allen Seiten das Kreuzeszeichen. Von seinem Bischofsstab strömte, im Gegensatz zu Wulfhardts Stab, keine Bedrohung aus, vielmehr erschien er wie der Stab eines guten Hirten, der seine Herde schützt. Der Stab war gleichsam das einzige Insigne, welches die erhabene Stellung verriet, denn er trug ansonsten nur eine braune Mönchskutte aus einfachem Wollstoff, nichts bedeckte die grauen Haare. Doch sein gütiger Blick flößte jedem Menschen auf dem Marktplatz mehr Bewunderung ein, als es eine Krone vermocht hätte. Welch würdiger Bischof der römischen Kirche! Welche Verderbtheit hatte sie dagegen in Wulfhardts Antlitz erblickt, dem Bischof der fränkischen Kirche.

      Seine Schwester Walburga erwartete Willibald an der Klosterpforte. Sie verneigte sich vor ihm, er umarmte sie. Alsdann zog er sich in das Mönchskloster zurück, um zu speisen und ein wenig zu ruhen. Gerade war er im Klosterhof verschwunden, da sagte Walburga: „Heute ist ein besonderer Tag, Schwester Michal. Mein Herz jubelt, weil ich meinen Bruder, den Bischof, endlich wiedersehe, noch dazu gesegnet mit guter Gesundheit in seinem zweiundsechzigsten Lebensjahr. Doch auch dein Herz soll jubeln: Ich werde unseren Bischof bitten, dir heute den heiligen Schleier zu verleihen.“

      Michal zuckte zusammen, so unerwartet traf sie die Nachricht. Sie schlug die zusammengepressten Hände vor den Mund, sodass die Fingerspitzen die Nase berührten. „Oh danke! Ich danke dir, meine gute Tante!“

      „Nein“, wehrte die Äbtissin ab. „Danke mir nicht. Du hast den Schleier wahrlich verdient.“ Sie neigte ihren Mund etwas näher an Michals Ohr. „Danke, dass du das Licht in das Kloster gebracht hast. Deine beherzte Tat rettete mich vor der Anklage Wulfhardts.“

      „Gott entzündete dieses Licht.“ Michals Mund verzog sich zu einem Lächeln.

      „Wahrlich, Gott hat in dir eine tapfere Streiterin. Und nun begebe dich in die Schreibstube, bis der Bischof uns ruft.“

      Michal tat, wie ihr geheißen, doch war ihre Hand zu zittrig, um Buchstaben auf Pergament zu bannen, und als Willibald sie zum Gottesdienst rief, fühlte sie sich schwach wie noch nie in ihren achtzehn Jahren und hätte sich am liebsten auf dem Dachboden verkrochen. Doch Aebbe fasste sie am Arm. „Du bist ja ganz blass, Schwester Michal. Na komm, gehen wir ein wenig nach draußen, da geht’s dir gleich besser.“

      „Ich weiß nicht …“, protestierte Michal, doch da hatte ihre Freundin sie schon vor die Tür gezogen.

      Sie folgten Walburga. Sie führte Willibald zum Wynnebaldsbrunnen,

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