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naturrechtliche Balance, wie sie zuvor im Matriarchat noch als Grundlage der Ausübung menschlicher Gerechtigkeit diente, sondern vielmehr die an das Patriarchat angepasste Rechtsordnung darstellt, korrespondiert die Ausgleichung auch mit dem Kaiser, was nicht nur die symmetrische Anordnung beider Karten widerspiegelt, sondern auch die Einbindung von Recht und Gerechtigkeit in das Modell des Herrschers als die natürliche Ordnung der Welt erklärt. Die geometrische Aneinanderreihung der verschiedenen Kartenteile zueinander zeigt die Ausgewogenheit oder den Rahmen menschlicher Strukturen, die alles ein- und zuordnen, was sich in der Welt vor unseren Augen bewegt oder bewegen lässt.

      Aus der Verbindung zwischen dem Willen des Kaisers, Ordnung im Chaos zu schaffen, und dem Verlangen der Hohepriesterin, dem Menschen mittels der Bereitschaft der Hingabe an die göttliche Kraft seinen Platz im Lebensgefüge zu sichern, entstand ihr Kind namens Ausgleichung10. Die gemeinsame Frucht muss als Bastard bezeichnet werden, da es die verdrängte Erinnerung des Kaisers an den nicht (be-)greifbaren Urgrund der Auflösung aller Ordnung war, die ihn selbstvergessen in die Arme der Hohepriesterin führte. Die Botschaft des Vaters an sein gezeugtes Kindes lautet also so: Dem Schlund des dunklen Chaos entsprungen musst du dir meine Anerkennung verdienen, indem du die Welt ordnest und deinen Platz durch diese Ordnung behauptest! So wird dem Menschen schon früh von Kindsbeinen an beigebracht, die Verträge der Gesellschaft, in die er hineinwächst, zu verinnerlichen. Daher stellt die Ausgleichung in anderen Decks als Gerechtigkeit oft weniger die Gerechtigkeit als die Rechtsordnung dar. Einerseits schützt sie die Grundpfeiler von Anstand, Recht und Sitte, andererseits macht sie sich aber auch zum Anwalt einer verbindlichen Wahrheit, indem sie uns vorgibt, dass Wahrheit nur sein kann, was von ihr erlaubt worden ist. Das heißt: Ausgleichende Gerechtigkeit verdeutlicht oft nur die Strukturen der Gesellschaft, an denen sich Kaiser und Hohepriester im Verbund mit dem Teufel festkrallen.

      Mit zunehmender Verfeinerung gesellschaftlicher und sozialer Realitäten zieht sich das Netz der sozialen Ausgleichung fester um die Bewegungsfreiheit der Menschen zusammen, und so werden aus ursprünglich guten Absichten durch das Recht oft auch Hindernisse geschaffen, die jegliches spontanes Handeln unterbinden. Die (oft etwas zynische) Sicht des Advocatus Diaboli, stets dem Recht selbst Recht zu geben, damit sich seine Wirksamkeit weiter verstärken kann, krönt sich bisweilen in der Tatsache, dass stets das Richtigere Recht erhält. Falsche oder starre Moral sich selbst und anderen gegenüber ist nicht unwesentlich mit jener unterschwelligen und deshalb auch versteckten und hintergründigen dominierenden psychischen Struktur verknüpft, auf die sich Freuds wertvolle Erkenntnisse unter dem Begriff des Über-Ichs beziehen. Der Höhepunkt dieses Verhaltens liegt beispielsweise darin, dass der Mensch die Hilfe der Götter durch einen Hohepriester anruft, um für seine Verfehlungen zu büßen und damit sein inneres Gleichgewicht wieder auszugleichen – energetisch gesehen eine moralische Verzerrung. Wahrheit ist: Die beiden Seiten der Ausgleichung bekämpfen sich nicht gegenseitig, sondern sie ergänzen einander. Sie stellen zwei Seiten ein und derselben Wirklichkeit dar. Das eine ist nicht der Widerspruch zum anderen, das durch das andere vermieden werden kann, sondern die eine Seite des anderen selbst, die wir vom einen abgetrennt haben, damit die andere Seite als Widerspruch weiterexistieren darf. Deshalb ist schon der Begriff Gerechtigkeit oder Aus-Gleichung ein Widerspruch in sich, denn im Grunde ist alles in sich gleich und das, was widersprüchlich ist, nur eine Perspektive unserer dualen Wahrnehmung, die im Guten wie im Bösen dafür sorgt, dass sich die menschliche Entwicklung vollzieht. Die christliche Moral beispielsweise verteufelt die ungezügelte Triebnatur des Dämons, ohne sich jedoch selbst darüber im Klaren zu sein, dass diese unduldsame Ablehnung selbst ein Teil des Dämons ist. Erst wenn wir akzeptieren, dass wir der Gerechtigkeit in ihrem Schatten nicht trauen können, weil sich dahinter oft der Teufel in der Maske des Gerechten versteckt – das Charisma der Objektivität, mit dem sich die Gesellschaft umgibt, um die Subjektivität ihrer Feinde als Unrecht auszugrenzen –, ist wenigstens der geistige Widerspruch umschifft, dass Gerechtigkeit (aus Sicht des einen) erstrebenswerter sein soll als Ungerechtigkeit (aus der Sicht des anderen).

      Deutungen

      Im beruflichen Umfeld bedeutet diese Karte eine geistige Energie, die die wahrscheinlichste Entwicklung einer Angelegenheit im Voraus abschätzen und uns darüber informieren kann, welcher Weg für uns der beste ist. Taucht die Göttin Justitia auf eine Frage zu Beruf und Alltag auf, ist es ihr Bemühen, uns vor dem Hintergrund unserer selbstkritischen Erfahrungen zu einem klaren Urteil über die weiteren Schritte unseres Vorgehens zu führen. Auf einer anderen Ebene sagt sie aber auch, dass wir uns aufgrund unserer fehlenden seelischen Wärme auf der Suche nach Harmonie von den klar strukturierten Zielen unserer mentalen Vorstellung beeinflussen lassen. Fakt ist: Wir schieben die Konfrontation mit Problemen nicht nur gerne auf, sondern blenden auch den Sinn, der den positiven Teil der Erfahrung ausmacht, aus. Manchmal brechen dann plötzlich starre Fronten vor uns auf, wenn wir alles, was mit Chaos oder Unkontrolle zu tun hat, mit Assoziationen wie Verantwortung und Gleichgewicht beschweren und aus der Angst, den Problemen ins Auge zu blicken, ein verlogenes, wirklichkeitsfremdes »Erfolgsmodell« basteln. Wenn’s ganz übel kommt, erleben wir unser Schicksal letzten Endes nur in den Bereichen als nützlich, in denen wir die Verbindung zur Natürlichkeit des Lebens aus lauter Kontrollsucht als Ganzes verloren haben.

      In emotionalen Dingen deutet die kühle Göttin auf ein Übermaß an Vernunft und Intellekt hin, das unsere Spontaneität und Kreativität begrenzt. Dadurch erschaffen wir uns oft ein Ungleichgewicht zwischen Seele und Geist. Wir leben Liebe und Beziehung durch die Brille von Recht und Unrecht und neigen dazu, alle Gefühle einzuordnen. Somit unterdrücken wir in unserem Bedürfnis nach Harmonie und Gleichgewicht oft starke Energien. Andererseits kann uns diese Karte in Krisensituationen helfen, die Angelegenheit fair und ruhig von allen Seiten zu betrachten. Oder wir erleben gemeinsame Wachstumsphasen, die uns die Möglichkeit einräumen, über alle Verschiedenheiten hinaus Brücken zu bauen und das gemeinsam Verbindliche herauszustreichen. Glücklicherweise treffen wir dabei meist auf Menschen, die unsere Wünsche verstehen und unseren Zielen harmonisch gegenüberstehen. Die also Mitverantwortung für das übernehmen, was wir in ihnen auslösen oder durch sie reflektieren: das Ideal einer ebenbürtigen, auf dem Prinzip der Gleichwertigkeit beruhenden Partnerschaft. Doch das Rätselhafte an der positiven Seite der Ausgleichung bleibt: Sogar wenn wir in der Tiefe der Seele die Ausgewogenheit der Spielregeln in der Gemeinsamkeit meist mehr als die physische Nähe des Partners schätzen, schenkt uns die Karte in Liebe und Beziehung eine die Wirklichkeit verdrängende Harmonie, um die schnöde Welt mit unseren Wunschvorstellungen zu überdecken, die Augen zuzumachen und in Ruhe abzuwarten, wie die Farben unserer Einbildung in unseren Gehirngängen trocknen.

      Ausgleichung im Licht der Erneuerung

      – Tiefergehende Erkenntnisse –

       Anmerkung

      Diese Karte ist die erste des zweiten Paares, die im Thoth Tarot miteinander ausgetauscht worden sind.11 Die Vertauschung der Zuordnungen VIII–XI korrigiert das Ungleichgewicht des Wechsels von IV–XVII nach Crowleys Motto:

       Gleiche jeden Gedanken durch seinen genauen Gegensatz aus, denn die Vermählung dieser beiden ist die Vernichtung der Illusion.

       Buch Thoth, S. 252

       Von der Priesterin zur Göttin (Die Frau mit dem Schwert)

       (…) Verehrt mich

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