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die Waagschalen hängen, ist ein in die Krone eingearbeiteter Mechanismus, dessen Fundament sich auf dem Scheitel der Göttin befindet. Das bedeutet, dass der Ausgleich, den der Mensch mit seiner Umwelt anstrebt, in den Gedanken bzw. auf seiner Vorstellungsebene montiert ist, und nur die Verschiebung dieses »Montagepunktes« eine andere Ausrichtung oder Weltbild zulässt. Jede Bewegung des Gestänges wird die Waagschalen verschieben, die Perspektive verändern, die als fixe Grundlage auf der Bewusstseinsebene montiert ist. Damit würde sich der Brillant als Symbol der zementierten Form zerstören und auf der morphischen Ebene könnte beispielsweise – wie die Chaosforscher behaupten – der Flügelschlag eines Schmetterlings auf der anderen Seite der Hemisphäre zu einem Tornado führen. Da die Bewegung des Gestänges also sowohl vom Einfluss der Außenwelt wie auch von der Kraft unserer Vorstellung abhängt, kann man mit Fug und Recht behaupten, die Welt ist genau so, wie wir sie uns vorzustellen gelernt haben.

      Man könnte aber auch sagen, dass eine übertriebene Haltung nach Ausgleich und Kontrolle gerade Ungleichgewicht heraufbeschwört, und dass der Mensch alles andere als eine frei handelnde Persönlichkeit ist, sondern nur immer im Verhältnis und in Anbindung an seine soziale oder religiös verinnerlichte Moral handeln kann. Zyniker würden es so formulieren: Die gesellschaftliche Bindung gibt das Gerüst vor, innerhalb deren engen Regeln sich der Mensch zwar frei entscheiden kann, was aber nichts mit Freiheit zu tun hat, sondern höchstens ein Bild von Freiheit generiert, oder, in einen Vergleich übertragen, die Freiheit der Zwangsamputierten zur freien Auswahl der Farbe ihres Holzbeins darstellt. Indem man gegen dieses Ungleichgewicht wiederum mit dem Streben nach Gleichgewicht vorgeht, bekämpft sich der Ausgleich selbst in der Motorik seiner eigenen Dynamik. Dahinter steckt ein tiefer Konflikt des menschlichen Strebens nach Ordnung, Unordnung zu verbannen, indem es das Leben in Schubladen von Recht und Unrecht einschließt. Das führt letztlich darauf hinaus, dass man die eigene Subjektivität über die Subjektivität der anderen stellt, weil man durch die Mechanismen der Individualität oder das aufoktroyierte Weltbild zu ungewohnten Gesichtspunkten stets eine negative Haltung einnimmt.

      Die weibliche Gottheit ist Harlekin4, schließt Crowley seine Betrachtungen mit einem interessanten Vergleich ab, sie ist der Partner und die Erfüllung des Narren. Sie ist die als Manifestation bezeichnete letztendliche Illusion, der vielfarbige und ränkevolle Tanz des Lebens selbst (…) Alle Dinge sind Harmonie und Schönheit; alle Dinge sind Wahrheit; denn sie heben sich gegenseitig auf.2 Er will uns sagen: Die weibliche Gottheit ist eine Synonyme für das menschliche Bedürfnis, sich einen überschaubaren Rahmen zu schaffen, indem es das, was es fühlt und empfindet, in eine Struktur dualer Wahrnehmung einschachtelt, damit der menschliche Verstand es verarbeiten kann. Das Substrat dieser Verdichtung oder Kristallisierung wurde von der Gesellschaft zu einer verbindlichen Struktur erweitert und damit zur Grundlage gemacht, auf dem sich die soziale und kulturelle Entwicklung des Menschen überhaupt erst entwickeln konnte. Das zeigen nicht nur die Straußenfedern der Maat, der ägyptischen Göttin der Gerechtigkeit, die die Schultern unserer konzentrierten, die Welt aus ihrer eigenen Vorstellung heraus schöpfenden jungen Frau bedecken, sondern auch die rhombische oder rautenförmige Form, Symbol des kosmischen Gleichgewichts, das sich von außen nach innen und wieder von innen nach außen richtet. Es ist das große Zusammenspiel der Gegensätze, die sich im ruhenden Pol des Zentrums (Schwertspitze) »ausbalancieren«. Deshalb ist das, was wir als Ausgleichung bezeichnen, nach den Instinkten und Trieben vielleicht die wichtigste menschliche Kraft und Voraussetzung für die menschliche Entwicklung, die uns in der Evolution von der Spezies der instinktgebundenen Naturen wegentwickeln ließ. Der Advocatus Diaboli würde behaupten, »ausgleichende« Gerechtigkeit ist für den Menschen die Schaltstelle, an der sich das innere Empfinden mit dem äußeren Geschehen zu einem verbindlichen Gesellschaftssystem verknüpft und damit die Voraussetzungen schafft, die im Laufe der Jahrtausende die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ermöglichten. Diese sind aber gleichzeitig auch die Antipoden für die wilde, triebhafte und undomestizierte Instinktnatur und damit die Voraussetzung für die vom kollektiven oder moralischen Gewissen der Gesellschaft erpresste Form von Schuldgefühlen.

      Weiterführende Bemerkungen

      1 Dieses Schwert symbolisiert die »befriedigte Frau«. Crowley schreibt: Aus dem Mantel der lebhaften Ausgelassenheit ihrer tanzenden Flügel treten ihre Hände hervor; sie umfassen den Griff des Phallischen Schwertes des Magiers.5 Das bedeutet im übertragenen Sinn, dass sie den Phallus des Mannes beherrscht. Die Kugeln am Schwertknauf sind in Form der göttlichen Triade Kether–Chokmah–Binah angeordnet, wobei die zusammengezählten Anfangsbuchstaben K-CH-B (20 + 8 + 2) die Zahl 30 ergeben, die wiederum mit dem dieser Karte zugeordneten hebräischen Buchstaben Lamed (Peitsche, Zügel, Stachelstock) korrespondiert.

      2 Und das nicht nur weil Waage ein Zeichen der Venus ist, sondern weil sie der Partner des Narren ist, die tanzende Göttin mit der Andeutung des Harlekins. Es ist die Gestalt einer jungen und schlanken Frau, die sich genau auf ihren Zehenspitzen im Gleichgewicht hält. Sie ist mit den Straußenfedern der Maat – der ägyptischen Göttin der Gerechtigkeit – gekrönt, und auf ihrer Stirn trägt sie die Uräusschlange, den Herrn des Lebens und des Todes. Sie ist maskiert und ihr Gesichtsausdruck zeigt ihre geheime, innere Befriedigung über ihre Beherrschung jeglichen Elements des Ungleichgewichts im Universum.6

      Brief vom 12. Juli 1940 von Lady Harris an Crowley, nachdem Teile der Karte von ihm bemängelt worden sind7: Die Ausgleichung ist mir suspekt. Nun hat sie auch noch darauf bestanden, Beardsley8 zu sein! Auch der Harlekin spielt immer wieder hinein und hinaus, und so muss ich mich dreinfügen. Aber warum Harlekin? Gibt es da überhaupt eine Verbindung? Auch will sie sich nicht hinsetzen, sondern steht im Gleichgewicht auf den Zehen. Was als Entwurf daraus resultiert, ist gut. Das Blau soll Kobalt sein, nehme ich an. In der Anleitung heißt es Blau-Blaugrün. Blasses Smaragdgrün. Dieses Smaragd ist ein abscheuliches Pigment auf Plakatmalereien.

      Formal korrespondiert das Bild der sich selbst ausbalancierenden Gestalt aber genauso mit der Karte des Magus, der sich im Gegensatz zum »hängenden« Narren wie eine Primaballerina auf dem Berg der Dualitäten im Gleichgewicht hält. Dieser ist zwar nicht maskiert, aber er ist von zwei Schlangen gekrönt, die seinen Kopf wie einen Turban umschlingen. Es sind die Uräusschlangen der ägyptischen Göttin der Gerechtigkeit, Maat, die, von Crowley fälschlicherweise zitiert, auf der Karte der Ausgleichung fehlen. Auch sein Lächeln ist ähnlich wie bei der Frau maliziös. Wo diese, wie zitiert, ihrer Befriedigung über die Beherrschung jeglichen Elements des Ungleichgewichts im Universum Ausdruck gibt, grinst der Schelm, da er sich in seiner Göttlichkeit entdeckt. Das bedeutet auch: Der Magier erkennt sich selbst in seinem Sein, denn der Weg ist das Ziel seines wahren Willens. Beide hängen aber gleichzeitig an den Fäden des Narren9, dem wahren und ursprünglichen Schöpfungsimpuls, der selbst wiederum vom Geist der Luft durchdrungen ist. Das Ass der Schwerter schildert uns diesen (dualen) Bewusstseinssprung als ein mächtiges, nach oben weisendes Schwert, das die Krone mit den zweiundzwanzig Strahlen durchbohrt. Die Krone ist das Ziel, das die Geburt der Dualität darstellt, der göttliche Impuls, der Himmel und Erde, männlich und weiblich, Geist und Natur trennt. Es ist das gleiche Schwert, das in der Hand der Ausgleichung mit der Spitze nach unten Crowleys Leitspruch darstellt: Liebe ist das Gesetz – Liebe unter Willen!

      Andere Verbindungen

      – Gesellschaftliche Zusammenhänge –

       Erst wenn wir merken, dass Gerechtigkeit die Maske ist, hinter der wir beim anderen das bekämpfen, was wir bei uns verstecken, kann das Schwert der Weisheit das Geheimnis durchdringen.

       Baphomet – Tarot der Unterwelt

       Die Bestandesaufnahme des Narren

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