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Boden trifft. Crowley glaubt, dass der Höhepunkt des Abstiegs in die Materie das Anzeichen für die Erneuerung durch den Geist ist.8 Poetisch ausgedrückt klingt das so:

       Wandere alleine; trage das Licht und deinen Stab. Und sei ein Licht von solchem Glanz, dass kein Mensch dich erkenne.

       Buch Thoth, S. 253

      Oder aber auch:

       Der Erkennende erkennt stets nur den Schatten seines eigenen Unerkannten. Der Sinn der Wahrheit liegt weniger darin, sie zu erkennen, sondern vielmehr in der Beantwortung der Frage, warum wir sie überhaupt suchen müssen.

       Baphomet – Tarot der Unterwelt

      Das Spermatozoon als geistiges Symbol zeigt weiter an, dass es der gebeugten Gestalt um den Schöpfungsimpuls, den Sinn des Lebens, und nicht um die oberflächlichen Spiegelbilder der auf- und abhüpfenden Alltagsflashs geht, die ihn in seiner Ernsthaftigkeit behindern. Der einzig freie Himmelsausschnitt im riesigen Weizenfeld hinter dem Orphischen Ei offenbart dem Betrachter ganz klar, dass es ihm auf der Ebene des Eremiten gelingt, hinter den Spiegel der gesellschaftlichen Reflexionen zu schauen und einen Blick auf die wesentlichen Dinge zu werfen, an die er sich wieder erinnert. Da dieser Blick aber nicht darauf zielt, festzustellen, ob Menschen ihm auf seinem Weg folgen oder nicht, zeigt diese Karte weniger die Verbindung mit anderen Seelen an als den Wunsch nach Verschmelzung mit der eigenen Erkenntnis. Auf dieser Suche macht er auch vor der Hölle nicht Halt. Der gezähmte, dreiköpfige Höllenhund Zerberus als Symbol der in der Persönlichkeit integrierten Unterwelt, die dem Alten wie ein Schatten folgt, füllt den archetypischen Anteil des bei sich selbst Unentdeckten aus. Dass er aber in den Bereich der Lichtstrahlen fällt, zeigt auch, dass es dem Eremiten trotz bewusster Abwendung gelingt, sich auf einer unbewussteren Ebene damit auseinanderzusetzen. Dem suchenden Menschen eröffnen sich aus dem geheimnisvollen Schoß im Dunkeln die großen Inspirationen, die zu einzigartigen Schöpfungen führen, wie wir sie aus den alten Schriften eines Vergil oder Dante kennen. In diesem Sinne ist er auch der Hinterfrager des überlieferten Weltbildes, die Sicht der Dinge, die er sieht, da man sie ihm von Kindsbeinen an eingeflößt hat, nicht einfach zu übernehmen. Der Trick jeder anerzogenen Kultur besteht nämlich darin, die Leute dahin zu bringen, sich harmonisch mit dem zu verbinden, was man ihnen vordem als Lebensgrundlage eingetrichtert hat – damit die menschliche Gesellschaft überhaupt funktioniert.

      Weiterführende Bemerkungen

      1 Der Eremit erinnert auch an die Legende von Persephone und dies enthält einen Lehrsatz. Im Merkur-Prinzip ist ein Licht verborgen, das alle Teile des Universums gleichmäßig durchdringt; einer seiner Namen ist Psychopompos, der Führer der Seele durch die unteren Bereiche. Diese Symbole werden durch seinen Schlangenstab angedeutet, der buchstäblich aus dem Abyssos herauswächst und das Spermatozoon darstellt, das wie ein Gift entwickelt ist und den Fötus offenbart, schreibt Crowley über diese Karte.9 Darin wird das gesamte Mysterium des Lebens in seinem allergeheimsten Wirken gezeigt.

      Deshalb könnte man den Eremiten auch als das motivierte Streben des Geistes bezeichnen, hinter dem Bild des Hierophanten das Geheimnis der Hohepriesterin zu suchen. Oder noch unverblümter: Auf einer zynischeren, für Crowley typischen Stufe lässt die Karte eine weitere Deutung zu: Des Eremiten magischer Stab verkörpert das zu Gift transmutierte Spermatozoon: Yod = Phallus = Spermatozoon = Hand = Logos = Jungfrau. Damit will er unverblümt ausdrücken, dass der Weg zur Erleuchtung auf sublimierter Onanie beruht und jedes enthaltsam-religiöse Streben auf verletztem und entstelltem Tantra.

      Andere Verbindungen

      – Psychologische Zusammenhänge –

       Das Ende der individuellen Entwicklungsskala des Narren

      Der Zahlenwert des Eremiten (= 9) verrät, dass es sich hier um die personifizierte Selbstfindung in ihrer vollen Größe handelt. Die Ziffer mit dem höchsten Wert ist ihm zugeordnet und damit vollendet er den Reigen einstelliger Zahlen (beginnend beim Magus und beim Narren) als letzten Punkt auf der individuellen Entwicklungsskala. So wie der Magier die Frage Bin ich? kraft seines die eigene Existenz erschaffenden Erkennens eindeutig mit Ja! beantworten kann10, so kann der Weise nun klar erkennen, was oder wer er ist, und zwar gerade durch die weiterführende Erkenntnis, die sich in der Frage verbirgt: Wer ist der, der sich die Frage stellt? Damit steht er auch in vollkommener Harmonie zu seinem Zahlenwert: 9 ist die Zahl, die immer wieder zu sich selbst zurückfindet, denn jede mit 9 multiplizierte Zahl ergibt in der Quersumme wiederum 9.

      Diese fundierte Kenntnis der eigenen Existenz beruht auf der sehr differenzierenden Betrachtungsweise des Eremiten, die strikt das, was er tatsächlich ist, von dem trennt, was andere – oder gar er selbst – auf ihn projizieren. Ebenso trennt er das, was er tatsächlich ist, von dem, was ihn wiederum mit anderen verbindet. Gerade dieser Aspekt der Trennung in vielfältigster Ausprägung führt zu einem der ihn am deutlichsten kennzeichnenden Attribute: die isolierte Abgeschiedenheit. Diese Einsiedelei beschert ihm innere wie äußere Ruhe zur Meditation, um vorausgegange Erfahrungen nicht nur gemacht, sondern aus ihnen auch gelernt zu haben. Es sind niemals die anderen – du bist es immer selbst, ganz allein! ist die weiterführende Konsequenz auf die vorangegangene Aussage der Gerechtigkeit oder Ausgleichung.

      Auf der Reise des Helden entspricht der Eremit dem Archetyp oder dem selbstlosen Diener des eigenen Selbst – im Gegensatz zum Hohepriester, der ein göttliches Bild vom Ich darstellt –, der die Wahrheit in der Seele des Menschen sucht (auch Diogenes hielt mit einer angezündeten Lampe am helllichten Tag in den Straßen von Athen Ausschau nach einem wahren Menschen). Sein Ziel ist es, sich dem Kern der Dinge zuzuwenden und das eingetrichterte Wissen des Hierophanten um seine intuitive Erkenntnis zu ergänzen. Doch ebenso wie der Priester, dessen privater Charakter kaum an das von ihm gepriesene Bild des Göttlichen heranreicht, ohne dass sein Ansehen in der Welt dadurch Schaden nimmt, hat der Eremit im Alltag natürlich auch alle Fehler seiner überragenden Tugenden, die da sind: Erstarrung, Verhärtung, Entfremdung, Verbitterung und Lebensfeindlichkeit. Dieses Sinnbild, das gleichzeitig positiv und negativ ist, kann in der Mythologie als zweifacher Archetyp des alten Weisen und des bösen Zauberers erscheinen – als der gute und der böse Magier.

      Als Mann im Mond personifiziert der Alte mit seiner Laterne auch die kraftvolle Ruhe und innere Sammlung. So wie es bei der Karte Mond – deren Quersumme er bildet11 – auf das Erschließen der inneren Räume ankommt, geht es hier um das Ausloten der bewussten Räume. Dabei dringt er bis zu den Mysterien und in die tiefsten Abgründe vor, denn als einzige der persönlichen Karten kann er die Täuschungen des Ego durchschauen. Er ist das Licht, das die Finsternis des menschlichen Strebens erhellt und sich somit in seinem eigenen Schatten erkennt. Vor diesem Hintergrund ist er der Wahrheit am nächsten: Erkenne dich und du erkennst in dir Gott und Teufel!

      Deutungen

      In der Kampfbahn des alltäglichen Erlebens ist der Eremit ein Symbol des Willens, dem nächsten Elefanten zu begegnen, auf dem der Elefant steht, der die Welt trägt, als Orakel, das uns mitteilt, was wohl das wirkliche Ziel hinter unserer Sehnsucht darstellt. Dabei wählt er mit Absicht die Einfachheit, um sich nicht von äußeren Dingen ablenken zu lassen und seinen Bewusstseinsfokus lieber

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