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man selbst. Wer würde da nach ein paar Polizisten fragen?

      Vom Treppenhaus drang Lärm herüber. Männerstimmen.

      »Du solltest zu einem Doktor gehen, Jungchen.« Die hohe, aber trotzdem angenehme Stimme der Alten tanzte im Singsang der Russlanddeutschen. »Deine Gesicht sieht nicht gesund aus.« Ihre Brille saß auf der rundlichen Nasenspitze. Sie blinzelte ihn kurz über die schmale Fassung hinweg an.

      Richtig! Dr. Stiller.

      »Ja. Danke.« Er stand mühsam auf und schenkte der alten Frau ein Lächeln.

      »Wird bestimmt wieder gut, deine Gesicht!«, lächelte sie zurück und kümmerte sich wieder um die wirklich wichtigen Dinge.

      Die Intensivstation, auf der Dr. Stiller hoffentlich arbeitete, befand sich am Ende eines schmalen Flurs. Unterwegs passierte Beck den Eingang zu den Operationssälen, die alle auf Hochtouren liefen. Beck war gerade dabei, die zweiflügelige Milchglastür zur Station aufzuwuchten, als er hinter sich Schreie hörte. Beck drehte sich um und konnte gerade noch erkennen, wie der Bodybuilder, den er im Hinterhof des Reviers glaubte abgehängt zu haben, in den Wartebereich humpelte, gefolgt von drei oder vier Männern. Die meisten von ihnen um die zwanzig oder wenig darüber. Sie lachten, während Besucher und Patienten schrien und versuchten, das Treppenhaus zu erreichen oder in die Stationsflure zurückzuweichen.

      Da erkannte Beck den Jungen, der ihm in der Sparkasse seine Waffe entrissen und dann auf ihn geschossen hatte. Der Junge fuchtelte mit einer Pistole in der Luft rum. Dann zeigte einer der anderen Männer in seine Richtung!

      Daniel Ritter hatte die Ärztin in der Ambulanz mit körperlicher Präsenz gebeten, ihm die Scherbe aus dem Oberschenkel zu entfernen. Seine Begleiter räumten derweil eine der Kabinen und trugen die Frau, die mit gebrochenem Bein auf der Liege lag, in den Flur. Nach der regelrechten Hinrichtung Storms vor dem Polizeirevier hatte dort einen Moment Stille geherrscht. Die Steinewerfer, vielleicht dreißig Jugendliche, starrten auf Ritter und den durchlöcherten Polizisten zu seinen Füßen. Das war etwas anderes, als sich in der Rolle des Schlächters durch ein Videospiel zu ballern! Das war keiner der blutrünstigen Filme, die nach Mitternacht liefen (Achtung! Diese Sendung ist für Zuschauer unter sechzehn Jahren nicht geeignet!)! Das hier war die Wirklichkeit! Es war real, fand statt und der Mann da auf dem Gehweg war tatsächlich tot! TOT!

      Ritter hatte in die Runde geschaut. He, er war der Held!

      »Was glotzt ihr so? War doch bloß ’n Bulle!«

      Einige traten den Rückzug an, es reichte! In jeder Hand noch einen Stein, war ein Junge mit im Schritt nasser Hose in einem Hauseingang verschwunden, während eine Siebzehnjährige mitten auf der Straße zusammenbrach und hysterisch zu weinen begann. Der Junge mit dem südländischen Aussehen kam auf Ritter zu und hielt ihm Becks leer geschossene Heckler & Koch P7 hin. »Gibt’s da drin frische Munition?« Seine brüchige Stimme holperte noch unentschlossen zwischen Kindheit und Erwachsensein hin und her.

      »Klar, Mann.« Er hatte ihn MANN genannt! »Da ist ’n ganzer Schrank voll!«

      Mehmet grinste, war dann über Storm hinweggestiegen und an Ritter vorbei ins Revier gegangen.

      »Los, kommt rein. Ist alles da, was wir brauchen!«

      Das Mädchen schlug wild um sich und schrie: »Mörder! Ihr seid alle Mörder!« Sie wurde von vier Teenagern weggebracht. Sie wehrte sich, versuchte sich zu befreien und schrie: »Die kriegen euch! Euch alle kriegen sie!«

      Aber Ritter lachte nur und warf ihr eine Kusshand zu.

      »Oder willst du lieber …?« Dabei hatte er obszön mit der geschlossenen Hand den Lauf seiner Maschinenpistole gerieben. Drei lachten über Ritters guten Witz, dann folgten sie ihm und Mehmet ins Revier, um sich zu bewaffnen. Jeder Einzelne der fünf war bereits einmal Gast in diesem Raum gewesen.

      Mehmet, in Donaueschingen geborener Sohn türkischer Einwanderer, hatte man mit neun Jahren erstmals festgenommen. Wegen zweier Kaugummis. Sein Vater hatte ihn windelweich geprügelt. Bei den folgenden Diebstählen beteiligte er seinen alten Herrn an der Beute. Mal brachte er ihm eine Flasche Schnaps mit − die der brave Moslem natürlich nicht anrührte, sondern an einen Penner verkaufte −, mal fiel ein Hemd oder ein Paar Wischerblätter ab. Zuletzt brach er Autos auf und räumte aus, was sich irgendwie verkaufen ließ oder er passte die Kleinen hinter der Schule ab und erleichterte sie um ihr Taschengeld. Davon hatte er seinem Vater nichts abgegeben.

      Mehmet, fast fünfzehn, wirkte trotz des dunklen Flaums über seiner Oberlippe jünger. Er war klein und zierlich und hatte die schulterlangen, pechschwarzen Haare dick eingegelt und straff zusammengebunden.

      Hermann Fuchs war ebenfalls in der Sparkasse mit dabei gewesen. In der Innentasche seines weiten Mantels trug der bisherige Sozialhilfeempfänger zwanzigtausend Euro in einem dicken Geldbündel. Der Start in ein neues Leben! Er konnte seine Verhaftungen wegen Trunkenheit oder Erregung öffentlichen Ärgernisses, vor allem aber die Nächte in der Ausnüchterungszelle des Reviers, nicht mehr zählen.

      Mario, neunzehn, und Alex, zweiundzwanzig, waren Brüder, aufgewachsen bei ihrer Mutter, die machte, was ihre Söhne wollten, seit Alex ihr vor neun Jahren sein Taschenmesser an die Kehle gesetzt hatte und darauf hin dann auch das erbetene Geld fürs Kino bekam. Sie waren mehr oder weniger zufällig zum Revier gekommen, angelockt vom Geschrei der Menschen.

      »Du blutest, Alter.« Mario hatte sich eine Maschinenpistole über die Schulter geworfen, drei volle Magazine in die Hose gesteckt und dabei auf Ritters Bein gezeigt.

      »Weiß ich, Mann. War der Scheißbulle, der abgehauen ist.«

      Mario zuckte die Schultern. »Solltest vielleicht ins Krankenhaus, oder?«

      Die anderen, inzwischen ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet, standen im Halbkreis um ihren Helden herum und nickten.

      Zwei Straßen weiter hatten sie einen Geländewagen angehalten, den notgedrungen sehr kooperativen Fahrer zum Aussteigen aufgefordert und waren zur Klinik gefahren.

      »Lasst die Knarren hier, macht bloß ’n blöden Eindruck.«

      Alex blieb im Wagen, während Daniel Ritter mit seiner unbewaffneten Eskorte die Klinik betrat. Nur Mehmet hatte sich von seiner frisch geladenen P7 nicht trennen können. Er trug sie hinten in der Hose unter seinem T-Shirt (cool!). Und Fuchs glaubte, er müsse seinen neu erworbenen Reichtum mit einer Maschinenpistole schützen, die er unter seinem Mantel versteckt hielt.

      Die Ärztin lehnte sich an die Wand und versuchte ihre zitternden Hände vor den Patienten zu verbergen. Nachdem sie die tief eingedrungene Glasscherbe entfernt hatte, verband die Ambulanzschwes ter die Wunde.

      »Sie hätten sich ruhig hinten anstellen können«, plapperte diese. »Wir haben hier gerade wirklich genug zu tun. Wenn jeder so ankommen würde wie Sie!« Ritter konnte sich trotz der Schmerzen ein Grinsen nicht verkneifen. »Was soll daran lustig sein? Die arme Frau, die ihr einfach auf den Flur gelegt habt, hat schon zwei Stunden gewartet! Und der Polizist vorhin hatte bestimmt schlimmere Verletzungen als Sie! Aber hat er sich etwa so aufgeführt? Sie sollten …«

      »Was für ein Polizist?«, unterbrach Ritter sie barsch und war plötzlich völlig schmerzfrei.

      »Na, ein Polizist eben. Weiß nicht, wie er heißt, war aber schon öfter hier, mit Betrunkenen oder so.«

      »Wie sah er aus?«

      »Klein, mit Bart. Sein Gesicht war furchtbar zugerichtet, oh ja. Und die Hand erst!«

      Der Verband war fertig angelegt und Mehmet half Ritter in die Hose. Plötzlich packte Ritter die Schwester und drückte sie gegen die Kabinenwand.

      »Und wo ist er hin?« Sein bitterer Atem erinnerte die Schwester an eiternde Geschwüre. Sie wandte den Kopf ab.

      »Er hat sich nach einem Arzt erkundigt, nach Dr. Stiller.«

      »Und wo finde ich diesen Stiller?« Ritter hatte sie unter den Armen gepackt. Mühelos hob er sie in die Höhe. Die Schwester zögerte nur kurz.

      »Er

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