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daß es sich um einen Wahnsinnsakt der vier Posten handeln könnte, die vermißt werden. Die Bluthunde sind alle tot – man spricht von einem Massaker. Was in dem Zwinger passiert ist, gibt den Bürgern ein weiteres Rätsel auf. Übrigens – wo der Pulverturm stand, gähnt ein riesiger Trichter. Der Explosionsdruck hat die Hütten und Baracken der Aufseher davongeblasen, einige sollen ziemlich verletzt sein.“

      „Suchaktionen?“ fragte Hasard knapp.

      „Offenbar noch nicht.“ Pater Aloysius grinste. „Man wartet auf die Rückkehr des Provinzgouverneurs, weil’s auch so schön bequem ist, ihm die Verantwortung für alles Weitere zuzuschieben. Ein gutes Zeichen, finde ich. Es beweist, wie sehr sie alle Befehlsempfänger sind, die sich scheuen, selbst initiativ zu werden. Also: bei den Stadtoberen und Bürgern Verwirrung, Unsicherheit, ängstliches Abwarten, Rätselraten.“

      Hasard rieb sich die rechte Bartseite. „Klingt nicht schlecht, Bruder. Klingt wirklich nicht schlecht. So, dann wollen wir mal den Dicken einstimmen auf das, was ihm bevorsteht. Holst du ihn, Ed?“

      „Mit Vergnügen, Sir. Soll ich freundlich zu ihm sein oder den Wüterich spielen?“

      Bevor Hasard antworten konnte, sagte Dan O’Flynn: „Beides ist bei dir gleich schrecklich, Mister Carberry. Also brauchst du dich überhaupt nicht anzustrengen oder zu verstellen.“

      Der Profos stemmte die Pranken in die Hüften und holte Luft.

      Hasard seufzte und sagte mit leichtem Tadel: „Mister O’Flynn! Nicht du wurdest von Mister Carberry befragt, sondern ich, und ich brauche keinen Vorsprecher. Müßt ihr eigentlich immer wie Hund und Katze sein?“

      „Ed und ich?“ fragte Dan O’Flynn erstaunt zurück. „Aber wir sind doch nicht wie Hund und Katze, Sir. Wir sind Freunde! Nicht, Ed?“

      „Jawohl!“ dröhnte der Profos. „Dan und ich sind die dicksten Freunde, Sir. Du brauchst dich nur daran zu erinnern, daß mich mein Freund Dan vor ein paar Stunden davor bewahrte, vom Berg erschlagen zu werden. Mutig vergriff er sich an mir und stieß mich aus dem tödlichen Bereich der einstürzenden Decke. So handelt nur ein echter Freund, so wahr ich Edwin Carberry heiße. Das mußt du bedenken, Sir, wenn du sagst, wir seien wie Hund und Katze. Ich wüßte auch gar nicht, wer von uns der Hund und wer die Katze sein sollte. Mein Freund Dan ist allenfalls ein Kater, wenn ich der Hund bin – oder umgekehrt, was, wie?“

      Hasard seufzte ein zweites Mal. „Ich korrigiere mich – ihr seid beide die größten Schlitzohren der ‚Isabella‘-Crew! Und jetzt hol den Dicken, Ed!“

      „Aye, Sir, freundlich oder als Wüterich?“

      „Beides!“

      „Geht klar, Sir.“ Carberry feixte zu Dan hinüber, und der feixte zurück. Sie sahen beide aus, als hätten sie gerade der Großmutter des Teufels mit feurigen Kohlen eine Wärmflasche unter den Hintern gepackt – diese Spitzbuben!

      Es war eine gute Stimmung, besser konnte sie nicht sein. War nicht alles bisher glatt verlaufen? Und der Pulverturm existierte nicht mehr. Die Bluthunde des Luis Carrero würden nie mehr einen flüchtenden Indio verfolgen, stellen und zerfleischen. Allein das hatte den mörderischen Aufstieg nach Potosi gelohnt. Und ihren Trumpf hatten sie noch gar nicht ausgespielt: Don Ramón de Cubillo.

      Carberry hatte ihn wie ein abgeschossenes Karnickel hinten am Kragen und hievte ihn in die Mitte der versammelten Runde, wo der Dicke in sich zusammensackte.

      „Jetzt wirst du geschlachtet, Don Ramón!“ sagte Carberry mit dumpfer Stimme. „Die schräge Isabella hat mit uns Zwiesprache gehalten und ihr Orakel verkündet. Vernimm es wie ein Mann, auch wenn du ein Haufen Scheiße bist!“

      Hasard räusperte sich – es bezog sich auf die „Vulgärsprache“. Vielleicht sollte er wirklich mal – na ja, ein Donnerwetter konnte nicht schaden. Später, wenn sie wieder auf See waren. Wenn überhaupt. Das Schwerste stand ja noch bevor.

      Hasard musterte den Dicken, der wie ein Buddha in ihrer Mitte saß, allerdings wie ein sehr verunglückter Buddha, mit dem er nur rein äußerlich etwas gemeinsam hatte – die Dicklichkeit. Und wenn die Buddhafiguren stets ein friedvoll lächelndes Gesicht zeigen, das ihre Erhabenheit über das weltliche Jammertal ausdrückt, so war bei dem Dicken nichts davon zu bemerken. Bei ihm war alles nach unten gebogen.

      Aus trüben Augen starrte er stumpf vor sich hin. Die Nachtruhe hatte wenig zu seiner Erholung beigetragen. Natürlich war er von dem Donnerschlag des in die Luft geflogenen Pulverturms wach geworden und hatte gedacht, der Himmel wäre auf die Erde gestürzt. Daß er überhaupt noch lebte, erschien ihm wie ein Wunder.

      Genau in diese Überlegung hinein – als könne er Gedanken lesen – sagte Hasard: „Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden, Cubillo, an einem verdammt dünnen Faden, an einem Fädchen. Sie wissen das, nicht wahr?“

      „Ja“, flüsterte der Dicke. Er schielte zu Hasard hoch, der an der Stollenwand lehnte, die Arme über der Brust verschränkt. In den Augen des Dicken flackerte nichts anderes als hündische Angst.

      Hasard sagte: „Bevor ich Ihnen einen Vorschlag unterbreite oder anbiete, wie Sie eine Chance zum Überleben haben, möchte ich Sie darüber informieren, daß sich Ihr Oberaufseher Luis Carrero seit etwa Mitte November in unserer Gewalt befindet, daß wir bereits mehrere Transporte zwangsrekrutierter Indios abgefangen und sie befreit haben, daß wir ferner in dieser Nacht den Pulverturm von Potosi gesprengt und auch die Bluthunde des Carrero getötet haben. Im übrigen ist Potosi in dieser Nacht von meinen Truppen umstellt worden. Können Sie mir folgen?“

      „Uaah“, ächzte der Dicke. Sein qualliges Gesicht sah so ungenießbar aus wie ein alter Käse, in dem die Maden herumturnen und in den Löchern Kriegen spielen.

      Hasard dachte, hoffentlich kippt mir der Kerl nicht aus den Stiefeln. Er sagte scharf: „Haben Sie mich verstanden, Cubillo?“

      Der Dicke nickte schwach und flüsterte: „Jawohl, Señor Großadmiral!“

      Wie gut, daß er nur zu Hasard schielte. Denn die Kerle grinsten wie Honigkuchenpferde.

      „Dann hören Sie jetzt gut zu, Verehrtester“, sagte Hasard mit metallischer Stimme. „Ein paar meiner Generäle und ich werden Sie gegen elf Uhr zur Ratsversammlung in Ihre Residenz begleiten, wo Sie gemäß meinen Instruktionen bestimmte Befehle erteilen werden. Sollten Sie sich weigern, dann reißt das dünne Fädchen, das Sie noch mit dem Leben verbindet. Das ist ein Versprechen. Bleiben Sie jedoch fügsam und sind zur positiven Mitarbeit bereit, dann ist das Ihre Chance, zu überleben. Auch das ist ein Versprechen, und ich gehöre zu jenen Männern, die ihr Versprechen halten.“

      Natürlich, der Dicke grapschte nach jedem rettenden Strohhalm, der ihm gereicht wurde. Das Risiko für Hasard bestand in der Ungewißheit, ob diesem Bastard zu trauen war. Männer, die es – wenn auch durch die Gnade ihres Königs – bis zum Gouverneur oder gar Vizekönig gebracht hatten, waren keineswegs als Trottel einzustufen. O nein, sie brauchten für ihr Amt schon eine gehörige Portion an Verstand, diplomatischem Geschick, Durchsetzungsvermögen und Härte. Das waren durchaus positive Eigenschaften, die sich allerdings bei Typen wie Don Ramón de Cubillo oder Don Antonio de Quintanilla, dem Gouverneur von Kuba, noch mit höchst unerfreulichen Anlagen mischten, deren übelste die Gier nach Gold und Silber war.

      Kurz, die Frage lautete, ob der Dicke einen harten Kern hatte, aus dem heraus er es fertigbrachte, sie zu überlisten.

      Im Moment jedoch schimmerte nichts als Hoffnung in den Augen des Don Ramón.

      „Ich tue alles, was Sie anordnen, Señor Großadmiral“, sagte er, und seine Stimme hatte einen festeren Klang als bisher. „Das verspreche ich Ihnen, und ich halte auch meine Versprechen.“

      „Das wird sich herausstellen“, sagte Hasard. „Vergessen Sie in keiner Sekunde, daß immer eine Pistole auf Sie gerichtet ist, und meine Generäle und Männer sind Scharfschützen.“

      „Von hinten durch die Brust ins Auge – oder umgekehrt: von vorn durchs Auge in die Brust“, sagte Carberry mit seiner dumpfen Stimme.

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