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wissen Sie das?“ schrie der Dicke kreidebleich und kassierte umgehend eine Maulschelle wegen „ungebührlichen Verhaltens und lauten Schreiens“, wie sich Carberry ausdrückte.

      „Sie scheinen Ihre Silbersäcke vergessen zu haben, die Sie in der Sänfte mitführten“, sagte Hasard verächtlich. „Von daher ist nicht schwer zu erraten, daß Sie im Laufe der Zeit Unmengen an Silber gehortet haben müssen. Sie haben es gescheffelt, Sie Gauner. Und Sie zittern nicht, weil in der Silberschatulle Ihres Königs eine Ebbe bevorsteht, sondern weil der Silberstrom nicht mehr durch Ihre Taschen fließen konnte. Sogar jetzt, in dieser Situation des Mangels an Arbeitssklaven, schaffen Sie noch Silber beiseite! Das muß man sich mal vorstellen!“

      Die Qualle sackte noch mehr in sich zusammen – Beweis dafür, wie sehr Hasard recht hatte.

      „Mann! Wir sollten dieses Landhaus auseinandernehmen!“ stieß Jean Ribault hervor.

      Hasard winkte ab. „Wir haben hier Wichtigeres zu tun. Bringt ihn in einen anderen Nebenstollen und verpaßt ihm einen Knebel, damit wir das Gejammere nicht mehr zu hören brauchen.“

      „Ich bin ruiniert!“ röchelte der Dicke.

      Der Profos grunzte befriedigt. „Wie mich das freut, Fettmops! Noch fröhlicher wäre ich natürlich gestimmt, wenn ich dir deinen Speckhals umdrehen dürfte. Na, vielleicht erlaubt mir das mein Admiral, wenn hier alles vorbei ist.“

      „Er ist Admiral?“ fragte der Dicke bibbernd.

      „Natürlich. Dachtest du, er sei Sargtischler oder Lampenputzer? O nein! Er ist Großadmiral aller vereinigten chinesischen, babylonischen und alemannischen Flotten, die unter dem Großkreuz des Ordens der schrägen Isabella segeln und erst kürzlich ihr Banner auf der Rückseite des Mondes aufpflanzten. Klar?“

      „N-nein“, flüsterte der Dicke mit schreckgeweiteten Glubschaugen. Es war ja auch sehr verwirrend, in wessen Hände er da gefallen war. „Schrä-schräge Isabella – wer ist das?“ stotterte er.

      „Die Nichte der Hure von Babylon“, sagte Carberry mit dumpfer Stimme und rollte entsetzlich mit den Augen.

      Die Männer mußten sich umdrehen, um ihr Grinsen zu verbergen. Es war ja auch mal wieder starkes Profosgeschütz, was der gute Carberry auffuhr.

      „Ed!“ mahnte Hasard sanft. „Verfrachte ihn in einen Nebenstollen.“

      „Jawohl, Großmeister!“ Und schon fuhr Carberry den Dicken an: „Hoch mit dir, du Schmalzfaß! Oder muß ich erst böse werden?“

      Der Dicke quälte sich hoch, wurde von Carberry in einen Nebenstollen dirigiert, durfte sich hinlegen und wurde geknebelt.

      Als der Profos zu den Männern zurückkehrte, rieb er sich die Pranken und sagte: „Der ist eingestimmt, darauf könnt ihr euch verlassen. Oder was meinst du, Sir? Soll ich noch mehr aufdrehen?“

      „Ich glaube nicht, Ed“, sagte Hasard lächelnd. „Schätze, das genügt. Danke, daß du mich zum Großadmiral ernannt hast.“

      „Hab’ ich gern getan, Sir“, sagte der Profos treuherzig. „Also, jetzt haben wir den Dicken vereinnahmt. Und wie geht’s weiter?“

      „Darüber wollte ich mit euch sprechen“, erwiderte Hasard. „Was mir wichtig war, habe ich erfahren: Don Ramón wird erst morgen in Potosi zurückerwartet, die Suche nach ihm wird frühestens losgehen, wenn diese Ratsversammlung beginnt. Bis dahin wird ihn niemand vermissen, denn ich schätze, er hat sich verbeten, in seinem Landhaus gestört zu werden. Was ich plane, ist folgendes: Er wird morgen seine Ratsversammlung abhalten, jedoch in unserer Begleitung. Ich werde ihm diktieren, was er seinen Señores zu sagen hat. Damit diese Señores aber ‚eingestimmt‘ sind und wissen, daß hier ein kompromißloser und harter Gegner am Werk ist, werden wir heute nacht den Pulverturm sprengen. Das hat auch den Nebeneffekt, daß wir sie im gewissen Sinne entwaffnen, denn wo kein Pulver ist, kann nicht mehr geschossen werden. Ferner wird ihnen für längere Zeit das Pulver fehlen, das sie brauchen, um sich ihre Stollen in den Berg zu sprengen. Wir selbst allerdings werden uns mit Pulver eindecken, und zwar für unseren Rückzug aus Potosi. Da könnte man beispielsweise mit einer Sprengung einen Bergpfad zum Einsturz bringen.“ Hasards Blick wanderte über die Männer. „Hat jemand Bedenken, Einwände oder einen anderen, besseren Vorschlag?“

      Die Männer starrten ihn stumm an – und grinsten.

      Dann jedoch sagte Dan O’Flynn: „Ist das nicht riskant, den Kerl zur Ratsversammlung zu begleiten?“

      Hasard schüttelte den Kopf. „Pater Augustin, mit dem wir die Geiselnahme erörterten, meinte, auch als Geisel habe Don Ramón Befehlsgewalt, und man werde ihm gehorchen. Im übrigen soll ja gerade die Sprengung des Pulverturms die Señores einschüchtern. Ich werde ihnen dazu ein paar freundliche Worte sagen und erklären, die Sprengung sei ein Werk meiner Truppen gewesen, die zu diesem Zeitpunkt auch die Stadt umstellt hätten.“

      „Phantastisch!“ sagte Jean Ribault begeistert. „Ich gestehe, daß mir Dans Bedenken auch kurz durch den Kopf gingen, aber der Bluff mit den Truppen sticht. Grandios!“

      Dieser Meinung waren die anderen Männer auch.

      Hasard bestimmte Jean Ribault, Karl von Hutten, Pater Aloysius, Dan O’Flynn, Carberry und Matt Davies zum Unternehmen Pulverturm. Sie nahmen vier Maultiere mit.

      Der Pulverturm – ein Gemäuer aus schweren, roh behauenen Felsbrocken – stand am südöstlichen Stadtrand zwischen Potosi und Cerro Rico. Das hatte seinen guten Grund, denn ein Pulverturm inmitten einer Stadt war Teufelswerk. Kein spanischer Baumeister würde so verrückt sein, diesen Bau in einer Stadt zu errichten. Stets befand er sich am äußeren Rand der Stadt, aber natürlich innerhalb der Stadtmauer.

      Nur – im Falle der Stadt Potosi hatten die Baumeister auf eine Mauer verzichtet. Die Legende berichtet, daß einer dieser Señores lachend gesagt hätte: Eine Mauer, Leute? Die könnt ihr euch sparen! Eure Mauern sind die Felsgrate auf Hunderte von Meilen rings um eure Stadt! Und dazwischen liegen Stadtgräben, nämlich Schluchten und tiefe, unbegehbare Täler, die unüberbrückbarer sind als das Wasser eines Stadt- oder Burggrabens!

      Sicher, der Señor Baumeister hatte recht gehabt, dachten sie doch alle mit Schaudern an die „Straße“ nach Lima oder Arica, die über höllische Pässe, schwingende Hängebrücken über tosenden Wildbächen oder mörderischen Wüsten führte. Sie hatten ja alle von Lima oder Arica aus über diese „Straße“ reisen müssen, um die gelobte Silberstadt Potosi zu erreichen.

      Einer der Stadtgründer hatte sogar stolz erklärt: Wir bauen die erste Stadt dieser Welt ohne Mauern! Denn nie wird ein Feind wagen, zu unserer Stadt vorzudringen!

      Wenn wir uns nicht täuschen, werden die anderen Señores damals, als sie mit ihren ersten Prunkbauten beschäftigt waren, zu diesem markigen Spruch beifällig genickt und gemurmelt haben: recht hat er, wahr gesprochen!

      Und der Verlauf der letzten Jahrzehnte seit der Stadtgründung hatte die These von der Unangreifbarkeit der Stadt ohne Mauer bestätigt. Nie war ein Feind zur Stadt vorgedrungen. Nie!

      Aber Cartagena war überfallen worden, Panama, Havanna, Porto Bello, Vera Cruz – Küstenstädte, befestigt mit Mauern und dennoch dem wilden Zugriff von Piraten preisgegeben.

      Aber Potosi lag am Ende der Welt.

      Sie würden sich noch wundern, diese reichen, satten und selbstzufriedenen Bürger der Stadt.

      Da lag also dieser Pulverturm abseits der Stadt – aus Sicherheitsgründen, die jedem Bürger verständlich waren. Es wäre ja auch ungemütlich gewesen, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Völlig klar.

      Nur war – hatte daran niemand gedacht? – diese abseitige Lage des Turms auch geradezu ideal für Bösewichter, welche die Absicht hatten, die Bergwelt mit einem Knall zu erschüttern. In der Stadt hätten sie keine Chance gehabt, sich dem Pulverturm auch nur bis auf zehn Schritte zu nähern – in der Dunkelheit der Nacht, versteht sich.

      Draußen verhielt sich das anders.

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