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Undeutliche Konturen bewegten sich vor dem samtenen Vorhang der Nacht.

      „Bist du das, Hamed?“ fragte plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme.

      Verblüfft ließ er Pfeil und Bogen wieder sinken.

      „Muley Salah!“ stieß er hervor. „Ist denn das die Möglichkeit? Woher kommst du?“

      „Eine dümmere Frage hättest du nicht stellen können, Narr“, sagte Muley Salah barsch. „Wo haben wir uns denn wohl zum letztenmal gesehen, wie?“

      „An der Bucht von Kanais natürlich. Aber ich dachte ...“

      „Das Denken solltest du deinem Kamel überlassen“, unterbrach ihn der andere. „Das wäre gewiß klüger. Also, ich bin nicht abgekratzt, wie du jetzt siehst, Allah sei’s gedankt. Und ich bin auch nicht allein.“

      „Wer ist bei dir?“

      „Fünf Mann – Jussuf, Ahmed, Fausi, Amra und Saied.“

      Hamed steckte den Pfeil weg und hängte sich den Bogen über die Schulter. Er war immer noch überrascht. „Ihr alle habt überlebt? Allah sei gelobt, Allah ist groß. Nun wird alles wieder gut. Tod den Christenhunden, Pest und Aussatz sollen sie vernichten.“ Er drängte sein Kamel näher an die Tiere der anderen heran, und wirklich, jetzt konnte er trotz der Dunkelheit ihre Gesichter erkennen, die ihn unter Turban und Staubschutz angrinsten. „Wie ist dies möglich?“ fragte er immer wieder. „Wie ist es euch ergangen?“

      „Nun hör endlich auf, dich zu wundern“, sagte Muley Salah in dem unwirschen Tonfall, den er schon vorher angeschlagen hatte. Er war ein hagerer Kerl mit einem Geiergesicht, zäh und grausam zugleich, einer der schlimmsten Galgenvögel der gesamten Piratenbande. „Wir sind keine Fata Morgana, schon gar nicht bei Nacht.“

      „Allah und der Prophet haben euch gerettet.“

      „Ja, von mir aus.“

      „Wie?“ fragte Hamed noch einmal. „Ist ein Wunder geschehen?“

      „Beim Gefecht flogen wir gleich ins Wasser“, erklärte Muley Salah. „Das war eigentlich unser Glück, denn die anderen, die noch länger an Bord unserer Schiffe blieben, hat es allesamt erwischt, als die Hunde von Giaurs ihre Bomben warfen. Wir sechs hier schwammen an Land und stießen dort auf unsere toten Kameraden. Du warst schon weg.“

      „Um den Ungläubigen zu folgen“, sagte Hamed, denn es schien ihm, daß ein gewisser Vorwurf in den Worten des anderen mitschwang.

      „Ja. Wir liefen zum nächsten Ort, Ghuka, und holten uns sechs Kamele.“

      „Man gab sie euch freiwillig?“ fragte Hamed.

      „Sohn eines Fettschwanzschafes“, sagte nun Jussuf, ein dicker Kerl mit Schnauzbart und buschigen Augenbrauen. Er lachte, daß sein Bauch zu wakkeln begann. „Bist du denn töricht? Natürlich mußten wir die Leute, die wir in Ghuka trafen, erst einmal davon überzeugen, daß sie ein gutes Werk taten, wenn sie uns ihre Tiere überließen.“

      „Eben“, brummte Muley Salah. „Als das erledigt war, wandten wir uns sofort nach Westen, in der Hoffnung, die Sambuke wieder zu sichten und auch dich zu finden, da wir dich unter den Toten nicht entdeckt hatten.“

      „Bist du von den Toten auferstanden, Hamed?“ fragte Ahmed. Diesmal lachten sie alle.

      „Still“, zischte Muley Salah jedoch sofort. „Wollt ihr die Giaurs auf uns aufmerksam machen? Seid ihr nicht recht bei Trost? Sie könnten uns hören.“

      „Ja, das stimmt“, murmelte der dikke Jussuf. „Schweigen wir also.“ Seine Kumpane verstummten mit ihm, und für eine Weile war nur noch das Schnauben der Kamele und das Flüstern des Windes zu vernehmen.

      „Wo sind die Hunde?“ fragte Muley Salah dann.

      „Komm“, flüsterte Hamed und trieb sein Kamel durch leichte Beinbewegungen an. Er lenkte es auf die nächste Düne, hier verharrte er, wartete, bis Muley Salah neben ihm eintraf, und wies mit dem Finger voraus, nach Nordwesten. „Dort unten sind sie“, raunte er.

      „Bist du ganz sicher? Ich sehe sie nicht.“

      „Ich weiß, daß sie dort sind. Ich warte darauf, daß sie mit der Sambuke vor Anker gehen, wie sie dies bei Dunkelheit zu tun pflegen.“

      Muley Salah atmete tief durch. „Sehr gut. Wir haben uns sehr beeilen müssen; um dich überhaupt einzuholen. Eine Ruhepause würde auch uns guttun.“

      Er verengte die Augen und versuchte, in der Dunkelheit etwas von dem Zweimaster zu erkennen. Bald war ihm, als schälten sich die Umrisse des Schiffes schwach aus der Dunkelheit der Nacht hervor, und er drängte sein Kamel etwas weiter nach links, um der Fahrt der Sambuke zu folgen.

      Hamed, Jussuf und die anderen schlossen sich ihm an. Muley Salah war ihr Anführer, er hatte das Zepter fest in der Hand und bestimmte, was zu tun war. Er war der Kapitän eines der Piratenschiffe gewesen, und außer Hamed hatten die anderen Kerle alle zu seiner Mannschaft gezählt.

      Bald zügelte Muley Salah wieder sein Kamel und begann, leise vor sich hin zu fluchen.

      „Der Scheitan soll diese dreckigen Hunde holen“, sagte er. „Sie halten nicht an. Hamed, bist du immer noch der Ansicht, daß sie vor Anker gehen wollen?“

      Hamed verhielt neben ihm und kaute auf der Unterlippe herum. Er suchte nach Worten und war bemüht, keine falsche Antwort zu geben. Muley Salah war ein unberechenbarer Mann, der auch seinen Kumpanen gegenüber sehr ungemütlich werden konnte.

      „Nun“, erwiderte er darum vorsichtig. „Bislang haben sie es immer getan. Warum sollten sie ausgerechnet heute nacht ihre Gewohnheiten ändern?“

      Muley Salah hatte einen Finger angefeuchtet und hielt ihn jetzt in die Luft. Er nahm ihn wieder herunter und zischte: „Ganz einfach. Der Wind ist viel zu günstig, als daß sie ihn einfach verschenken dürfen. Leuchtet dir das ein?“

      „Du bist ein erfahrener Seefuchs, Muley Salah, ich nicht.“

      „Schmier mir keinen Honig ums Maul“, sagte Muley Salah. „Tatsache ist, daß die Bastarde von Giaurs stur weitersegeln. Und wir müssen ihnen folgen, eine andere Wahl haben wir nicht.“

      Er teilte dies auch den anderen mit, und sie begannen alle verhalten zu fluchen. Weiter zog die kleine Karawane, und nicht sehr viel später konnten alle sieben Kerle sehr deutlich die Position der Sambuke erkennen, denn dort war inzwischen eine kleine Feuerstelle entfacht worden, auf der abgekocht wurde. So wies ihnen ein winziges Fanal den Weg durch die Dunkelheit, der immer weiter nach Westen führte.

      Das Schimpfen der Araber riß nicht ab. Sie verwünschten die Giaurs immer wieder in die tiefsten Schlünde der Hölle, wo Scheitan hohnlachend die Glut unter den Kesseln anheizte.

      Es war ja schließlich auch ein Unterschied, ob man Stunde um Stunde im Kamelsattel sitzen mußte oder wachwechselweise an Bord eines Schiffes segelte, wobei man sogar noch warme Mahlzeiten zu sich nehmen konnte.

      Die Kamele waren zwar zähe Tiere – allen voran Hameds Mehari –, doch auch an ihren Kraftreserven zehrte der nächtliche Ritt allmählich. So manches Mal waren die Männer in den Sätteln versucht, eine Ruhepause einzulegen, doch Muley Salah trieb sie unerbittlich voran und duldete keine Widerworte.

      Denn er wußte, was ihm blühte, wenn Uluch Ali erfuhr, daß sich die Christenhunde einen Teil der Schätze aus dem Wrack geholt und vereinnahmt hatten. Dann würde sehr wahrscheinlich sein Kopf rollen, und er hatte keine Chance mehr, sich aus der Affäre zu ziehen.

      Uluch Ali sah alles, hörte alles und wußte alles – Muley Salah mußte sich sehr beeilen und versuchen, so schnell wie möglich die Schatzkisten an Bord der Sambuke wieder an sich zu bringen. Gelang ihm das nicht, konnte er auch mit der Gnade Allahs nicht mehr rechnen.

      Old O’Flynn hatte den Befehl über die erste Morgenwache am 5. Juni. Er registrierte mit Genugtuung, daß es wieder ein schöner Tag mit wolkenlosem Himmel wurde. Auf dem Wasser war die Hitze erträglich. Solange

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