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Gründe für den System-Kollaps. Auch wenn es in den Monaten, die auf den Mauerfall folgten, anders erschien: Die DDR-Bürger kämpften nicht dafür, Bananen einkaufen zu können oder Levis-Jeans, sie gingen für Bürger- und Menschenrechte auf die Straße. Gingen das Risiko ein, von der Stasi in Visier genommen zu werden oder im Betrieb Ärger zu bekommen, falls sie beim Demonstrieren gesehen wurden.

      Man hat sich die Freiheit und das neue System mehr oder weniger hart erkämpft. Die Friedliche Revolution von 1989 ist eine Leistung, die man würdigen muss – in Ost und West. Das geschieht, meiner Meinung nach, heute viel zu wenig. Die erkämpften Rechte nimmt man gern als selbstverständlich hin. Ich glaube, dass viele es verschmerzen könnten, wenn es von heute auf morgen keine Bananen mehr zu kaufen gäbe. Aber ich stelle mir den Aufschrei vor, wenn man von heute auf morgen seine fünf neuen Bundesländer nicht mehr verlassen dürfte. Und einen Antrag stellen müsste, um nach Polen in den Urlaub zu fahren. Dass man Übernachtungsgäste in der eigenen Wohnung in ein Hausbuch bei einem ‚Hausvertrauensmann‘ eintragen müsste. Oder wenn die Kinder nicht studieren dürften, weil diese oder man selbst nicht in eine bestimmte Partei eintreten will. All diese Erniedrigungen waren Normalität in einem Unrechtsstaat, der von manchen heute verklärt wird.

      Diese neuen Rechte und Freiheiten haben natürlich eine Kehrseite. So wie sich die Ostdeutschen ein Westdeutschland vorstellten, wie sie es aus dem Westfernsehen kannten, und wie sie sich dementsprechend das vereinte Deutschland gewünscht hatten, wurde es meist nicht. Besonders in den ersten Jahren gingen viele wirtschaftlich durch ein Tal der Tränen. Und einige haben den Systemwechsel, materiell gesehen, nie für sich nutzen können. Besonders tragisch ist das für diejenigen, denen es ohne eigene Schuld nie gelungen ist, nach der Wende wirtschaftlich auf die Füße zu kommen: Wenn man im Osten einen Beruf gelernt hatte, der von heute auf morgen nicht mehr gebraucht wurde oder wenn ganze Industrielandschaften plötzlich brach lagen – wie sollte es dann weitergehen, besonders für Leute, die den Großteil ihres Berufslebens schon hinter sich hatten. Sollten nun alle den Arbeitsplätzen hinterherziehen und den Osten verlassen? Von den 14.000 DDR-Betrieben unter Treuhand-Verwaltung wurden 4.000 geschlossen, Hunderttausende Jobs im Osten gingen verloren.

      Doch die allermeisten haben den Systemwechsel genutzt, das Beste daraus gemacht und sich eine neue Existenz aufgebaut. Zwar ist vieles im Osten noch nicht mit dem Westen vergleichbar, das Lohnniveau hinkt noch immer hinterher und die Vermögen und Bankguthaben sind deutlich kleiner. Doch in der DDR wäre der Wohlstand immer sehr viel kleiner gewesen. Das sieht man daran, wie bescheiden der Luxus selbst in der Wandlitz- Siedlung war – die SED-Führung lebte auf dem miefigen Niveau der westdeutschen Mittelklasse.

      So gibt es heute einige Ostdeutsche, die finanziell sehr erfolgreich sind und viele, die ein gutes oder mittleres Einkommen haben.

      Trotzdem höre ich immer wieder eine gewisse Unzufriedenheit über die Situation im vereinigten Deutschland, selbst bei erfolgreichen Ostdeutschen wie Beamten, Ärzten, Unternehmern: Viele stimmen in einen fast larmoyanten Kanon ein. Sie empfinden, dass ihre Lebensleistung in der ehemaligen DDR nicht wertgeschätzt wird und über die DDR nur abfällig gesprochen wird. Dass Ost-Themen immer nur angesprochen werden, wenn es um rechtsradikale Auswüchse geht oder um sonstige Klischees, die man dem Osten so schön zuordnen kann. So mancher denkt manchmal wehmütig zurück an die späten 1980er Jahre, an die belebten Städte und die vielen jungen Menschen dort. Heute sind zahlreiche Regionen des Ostens überaltert, oft ist die Bevölkerung um 20 Prozent und mehr geschrumpft, weil die Jungen keine Perspektive in Gera, Rostock oder Finsterwalde sahen. Viele Ostdeutsche fragen sich, wer die Schuld dafür trägt, dass es nicht geklappt hat mit den „blühenden Landschaften“. Vielen fällt in diesem Zusammenhang nur die Treuhand ein.

      Wie meine Co-Autorin Carolin Wilms sehe ich eine von einigen Ostdeutschen, oft aus dem linken Lager, geforderte Wahrheitskommission, die die Aktivitäten der Treuhand ‚aufarbeiten‘ soll, sehr kritisch. Ich bin nicht davon überzeugt, dass diese Kommission einen großen Beitrag zur Zufriedenheit der Ostdeutschen mit ihrer Rolle im vereinigten Deutschland leisten kann, auch wenn ich mir wünschen würde, dass es so einfach wäre. Klar, Ungerechtigkeit sollte offen angesprochen werden. Doch ich denke, damit müsste man ganz woanders anfangen, denn das Problem scheint deutlich komplexer zu sein und die Treuhand ist nicht der Schlüssel allen Übels.

      Das erste Übel war, dass die DDR-Bürger 40 Jahre lang in einer sozialistischen Diktatur gelebt haben, mit allem was dazu gehört: Überwachung im Großen und Kleinen, Indoktrination, Willkür, Bedrohung der eigenen Person oder von Nahestehenden, Bevormundung. Das Schlimme war: Die meisten hatten sich irgendwann daran gewöhnt. Wie sich die meisten im Dritten Reich an die Schrecken der Nazi-Diktatur gewöhnt hatten. Man hat sich darin eingerichtet, man ist mit dem Strom geschwommen. Die Alltäglichkeit der Erniedrigung konnten die Menschen kaum anders ertragen, als sich damit zu arrangieren. Joachim Gauck hat in einem Fernseh-Porträt von einer „Erziehung der Gefühle“ gesprochen, als er einen seiner Söhne am Bahnhof gen Westen verabschiedete, da dessen Ausreiseantrag genehmigt worden war. Jeder in der DDR wusste, was das bedeuten konnte: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Familie für Jahre, Jahrzehnte getrennt war, war äußerst hoch. Und trotzdem verabschiedeten sie sich kühl und gefasst, nicht tränenreich und verzweifelt, wie es eigentlich einer solchen Trennung entsprochen hätte. Erziehung der Gefühle. So etwas bringt nun mal eine Diktatur hervor, genauso wie ein großes Maß an Unmenschlichkeit und Kälte.

      Mir fehlt in der derzeitigen Diskussion, dass man sich diese Dinge noch einmal vor Augen hält, dass man sie klar benennt. Denn nur so werden, nach meinem Empfinden, die Vorgänge im Osten verständlich. Spreche ich Ostdeutsche, die heute im Rentenalter sind, darauf an, spüre ich ein gewisses Widerstreben, darüber zu reden. Diese Generation hat einen großen Teil ihres Berufslebens in der DDR verlebt. „Es war halt so“, höre ich oft, mal resignierend, mal trotzig. Manchmal spüre ich sogar einen gewissen Stolz: Wir haben es durch diese Zeit geschafft, mit Mut, mit möglichst viel Rückgrat, manchmal mit Härte. Erziehung der Gefühle.

      Ich glaube, es bringt nichts, sich nur an den Westdeutschen abzuarbeiten. Es ist unbestritten, dass es in der Wendezeit und danach Konflikte mit Wessis gab, dass man sich, oft berechtigt, aber oft auch unberechtigt, von ihnen ungerecht behandelt fühlte und eine Besatzer-Mentalität gespürt hat. Es ist vielleicht einfacher, da es ein klar zuzuordnendes Feindbild gibt: die, die aus dem Westen kamen. Es lenkt auch wunderbar davon ab, dass wir uns in vieler Beziehung wichtigen Problemen noch immer nicht ausreichend gestellt haben, wie der Aufarbeitung unserer DDR-Diktatur und der Unmenschlichkeiten, die tagtäglich von unseren Mit-Ossis an uns begangen wurden.

      Es ist an der Zeit, sich das einmal bewusst zu machen und die alltägliche Menschenfeindlichkeit offen anzusprechen, die in der DDR herrschte. Es ist eben nicht normal, sich gegenseitig auszuspionieren. Dass wir in der DDR nicht sagen durften, was wir gerade lesen. Dass die Kinder im Kindergarten gefragt wurden, wie denn die „Eins“ im Ersten Programm bei den Nachrichten im Fernsehen aussieht, um festzustellen, ob die Familie zu Hause Westfernsehen schaute. Dass es ein Problem war, wenn man konfessionell gebunden war oder auch sonst von der sozialistischen Gesellschaftsnorm abwich. Denn das ist, meiner Meinung nach, einer der Schlüssel für die Schieflage, die heute im Osten noch herrscht. Man kann bis heute dem kalten Hauch der Diktatur im Osten noch immer ein bisschen nachspüren. Auf Ämtern, in Schulen, in der Verwaltung, in Krankenhäusern. Immer dort, wo Menschen eine gewisse Machtposition über andere haben, findet man noch viel zu häufig Verhaltensweisen vor, die an die ehemalige DDR erinnern. Der Ton dem Bürger, dem Patienten, auch manchmal dem Kunden gegenüber ist oft äußerst rau, egal, ob derjenige vor dem Tresen aus dem Osten oder aus dem Westen kommt. Wenn bis heute darüber hinweggesehen wird, wenn wir uns dagegen nicht erwehren, wenn wir nicht klar machen, dass wir solche Verhaltensweisen nicht tolerieren, wird das Missempfinden im Osten bleiben. Das setzt aber auch voraus, dass man noch einmal deutlich macht, dass das systematische Kleinmachen der Bürger in der DDR Unrecht war und kein zu tolerierendes Verhalten. Ich konnte es vor ein paar Jahren kaum glauben, dass zwei demokratische Parteien im Rahmen von Koalitionsverhandlungen nach einer Landtagswahl ernsthaft darüber stritten, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei oder nicht, und damit erniedrigendem Verhalten gegenüber Mitbürgern Vorschub leisteten. Eine Mentalität des „Das war nun mal so, so macht man das eben“ auch auf dieser Ebene wird das Miteinander unter den Menschen im Osten

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