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für Gerichte und Behörden“: Zahlen, Daten, Fakten.“ Universitas Mitteilungsblatt 2/20, 25. Abrufbar unter: www.universitas.org./wp-content/uploads/Universitas_220_web.pdf (Stand: 22/08/2020).

      Snell-Hornby, Mary/Kadrić, Mira (Hrsg.) (2012). Die Multiminoritätengesellschaft. Beiträge zum Symposium “Sprache, Identität, Translationswissenschaft, 14.–15. Oktober 2011 im Oratorium der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Berlin: Saxa.

      The Book of Common Prayer according to the Use of the Church of England together with The Psalter or Psalms of David. 1905. Oxford: OUP.

      Dolmetschen. Macht. Asyl

      Translatorisches Handeln in Konfliktsituationen

      Franz Pöchhacker

      Abstract: Mit Bezug auf den Arbeitsschwerpunkt von Mira Kadrić im Bereich des Gerichts- und Behördendolmetschens setzt sich dieser Beitrag mit den Themen Macht und Konflikt auseinander, denen im Rahmen des juristischen Dolmetschens ein zentraler Stellenwert zukommt. Im Kontext einer Berufungsverhandlung im Asylverfahren wird analysiert, wie die Macht der DolmetscherIn im komplexen institutionellen Handlungsgefüge zur Geltung kommen kann. Anhand der konfliktbeladenen Phase der Überprüfung der Glaubwürdigkeit in der Asylanhörung wird auf diskursanalytischer Basis gezeigt, wie sich eine professionelle DolmetscherIn positioniert und wie sie durch ihr translatorisches und koordinierendes Handeln bedeutenden Einfluss auf den Inhalt und Ablauf der Anhörung und möglicherweise auch auf den Ausgang des Verfahrens nehmen kann.

      1 Einleitung

      Der vorliegende Beitrag, der sich mit einigen Schlüsselthemen im Bereich des Kommunaldolmetschens auseinandersetzt, knüpft in mehrfacher Weise an die dolmetschwissenschaftliche Arbeit von Mira Kadrić an, deren Wirken mit den Beiträgen in diesem Band gewürdigt werden soll. Als Kollegen, der nun schon gut ein Vierteljahrhundert lang in freundschaftlicher Verbundenheit mit ihr Seite an Seite und sogar Tür an Tür im Auf- und Ausbau der Translationswissenschaft an der Universität Wien engagiert ist, fällt mir dieses In-Beziehung-Setzen besonders leicht. Schließlich tBeilen wir nicht nur den selben Dienstort, sondern auch die Konzeption unseres Faches im Sinne des zunächst von und dann gemeinsam mit Mary Snell-Hornby (1995) propagierten Integrated Approach. In diesem kommt dem lange Zeit vernachlässigten Dolmetschen in gesellschaftlichen Institutionen eine zentrale Bedeutung zu, wenn es gilt, für anderssprachige Personen das Recht auf Sprache, gleichberechtigten Zugang und faire Verfahrensabläufe zu gewährleisten. Mira Kadrić hat dies am eigenen Leib in mehreren Rollen erlebt ‒ als Migrantin aus Bosnien ebenso wie als spätere Gerichtsdolmetscherin im Aufnahmeland und in weiterer Folge dann als international renommierte Expertin für die Ausbildung von professionellen DolmetscherInnen für Gerichte und Behörden. Zugleich hat sie ihre lebenspraktische Dolmetscherfahrung eingehend reflektiert und vor allem in ihrer Habilitationsforschung (Kadrić 2011, 2012) das Thema Macht in den Fokus gerückt, das, wie Prunč (2012:326f.) nachvollziehbar macht, in der vom Konferenzdolmetschen geprägten Tradition der Dolmetschwissenschaft unterbelichtet geblieben war.

      Das Thema Macht soll deshalb buchstäblich im Zentrum dieses Beitrags stehen. Der Titel „Dolmetschen. Macht. Asyl“ spielt dabei auf den eines Aufsatzes an, in dem Mira Kadrić (2012) ihre empirischen Untersuchungen zur Rekrutierung von DolmetscherInnen im österreichischen Polizeiwesen präsentiert. Das Verhältnis von Macht und Menschenrechten, insbesondere dem Recht auf Asyl, wird im gegenständlichen Fall auf diskursanalytischer Basis thematisiert. Konkret wird anhand einer Konfliktsituation im Rahmen einer Asylanhörung gezeigt, inwiefern und auf welche Weise DolmetscherInnen in ihrer institutionellen Rolle Macht ausüben können. Davor wird der theoretische Rahmen für die Beschreibung des institutionellen Bedingungsgefüges und die Analyse der Gesprächsauszüge skizziert.

      2 Machtvolles Handeln im translatorischen Bedingungsgefüge?

      Wie einleitend erwähnt, wird in der Wiener Schule der Translationswissenschaft seit den frühen 1990er Jahren ein integrativer disziplinärer Ansatz verfolgt, der stark in der funktionalen Translationstheorie (Holz-Mänttäri 1984, Vermeer 1990) verankert ist. So wurde unter anderem das Simultandolmetschen bei internationalen Fachkonferenzen (Pöchhacker 1994) und eben auch das Dolmetschen bei Gericht (Kadrić 2009) als translatorisches Handeln im Sinne von Holz-Mänttäri und Vermeer (Prunč 2012, Kap. 5) analysiert. Als besonders wertvoll erwies sich dabei die Sichtweise von der Einbettung translatorischen Expertenhandelns in ein aus der Auftragsbeziehung resultierendes Bedingungsgefüge. Allerdings wurde das Verhältnis zwischen AuftraggeberIn und TranslatorIn als prinzipiell kooperativ und bestenfalls als ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis konzipiert; Konflikte oder Machtungleichgewichte waren kaum Thema, was auch durch die Fokussierung auf Fachtexte als Gegenstand von Bestell-, Produktions- und Liefervorgängen bedingt gewesen sein mag. Beim Dolmetschen ist das Auftragsgefüge weitaus komplexer, weil nicht (nur) ein Text (bzw. „Botschaftsträger“) bestellt wird und zu liefern ist, sondern ein interaktives Handeln in einer sozialen Situation ‒ konkret: einer zwischenmenschlichen Kommunikationssituation. Über die AuftraggeberIn‒ExpertIn-Beziehung hinaus werden dadurch die Beziehungen in der Triade der Interaktionsbeteiligten (d.h. primäre Gesprächspartner und DolmetscherIn) zum Thema, und diese sind gerade im Bereich gesellschaftlicher Institutionen wie Behörden und auch Dienstleistungseinrichtungen per definitionem durch ungleiche Machtverhältnisse geprägt.

      Während institutionelle Kommunikation trotz ausgeprägter Abhängigkeitsverhältnisse auch sehr kooperativ angelegt sein kann ‒ beispielsweise im Gesundheitswesen oder in der Asylberatung, gibt es im behördlichen Kontext Interaktionskonstellationen, in denen die beiden primären Gesprächspartner deutlich unterschiedliche, ja sogar ausgesprochen konträre Interessen und Ziele verfolgen (siehe dazu Parameter 6, „shared vs. conflicting goals“, in der Typologie von Alexieva 1997/2002). Das polizeiliche Verhör eines Verdächtigen wäre dafür ein typisches Beispiel; ein weiteres, das Gegenstand dieses Beitrags ist, ist eine Anhörung im Asylverfahren, bei der die angegebenen Fluchtgründe von der Behörde auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft werden. Das Wort von „der Behörde“ deutet wiederum auf die Vielschichtigkeit des Interaktionsgefüges hin, das im Folgenden noch näher zu beschreiben sein wird. Zunächst aber sei die Skizze des theoretischen Rahmens um die Konstrukte der Rolle und Macht von Dolmetschenden ergänzt.

      Ungeachtet der kooperativen oder konfliktiven Beziehung zwischen den primären Gesprächspartnern stellt sich die Frage nach der Positionierung und den Handlungsmöglichkeiten der DolmetscherIn in der triadischen Interaktionssituation. Eine erste Antwort darauf gab der Soziologe Bruce Anderson (1976/2002), der die Position des Mittlers („man in the middle“) als Diener zweier Herren mit ihren nicht unbedingt kompatiblen Anforderungen problematisierte. Er sah Rollenkonflikte gleichsam vorprogrammiert, da die fallspezifischen Rollenanforderungen nicht im Detail festgelegt seien: „the interpreter’s role is always partially undefined“ (Anderson 1976/2002:211). Darüber hinaus sah er die Gefahr einer Überfrachtung der Dolmetscherrolle (role overload) durch situativ bedingte Leistungsanforderungen. Zugleich aber sah Anderson diese Schwächen zum Teil durch die Machtposition kompensiert, die aus der bilingualen (und wohl auch bikulturellen) Kompetenz des Dolmetschers erwächst: „Thus his position in the middle has the advantage of power inherent in all positions which control scarce resources“ (Anderson 1976/2002:212). Nützt die DolmetscherIn diese Macht in dem Ermessensspielraum, der sich durch die unklaren Rollenerwartungen eröffnet, so sei von einem außergewöhnlich großen Einfluss auf den Ablauf der dolmetschervermittelten Interaktion auszugehen.

      Wie bereits erwähnt, blieb dieser frühe Problemaufriss in der Dolmetschforschung weitgehend unbeachtet, solange das internationale Konferenzdolmetschen mit seiner „Normalkonfiguration“ von „etwa gleich mächtigen Partnern“ (Prunč 2012:32) im Vordergrund stand. Umso eindringlicher forderte Cronin um die Jahrtausendwende eine Neuorientierung ein, nicht zuletzt um die komplexe Frage der Macht beim Dolmetschen zu thematisieren: „power is everywhere in the definition, context and practice of interpreting“ (2002:387).

      Zuerst gar nicht im Blick, dann omnipräsent? Ohne Zweifel bedarf das Konstrukt der Macht und deren situations-

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