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Translationswissenschaft in Wien, mit den Sprachen Arabisch, Dari/Farsi und Türkisch; weitere Sprachen (derzeit Albanisch und als Erweiterungsstudium in Planung Kurdisch) kamen hinzu. Diese postgraduale Weiterbildung in „seltenen“ Sprachen für DolmetscherInnen u.a. im Justizbereich, bei Polizei und Asylbehörden war überfällig – und es war Mira Kadrić Verdienst, diese in die Universitätslandschaft integriert zu haben (s. auch Reichart 2020).

      Inzwischen ist die Fachliteratur zum Thema Dialogdolmetschen (sowie in verschiedenen Ländern das praktische Angebot) für Außenstehende nicht mehr überschaubar: Das muss gewürdigt werden, kann aber in diesem Beitrag nicht angemessen erörtert werden. Stattdessen möchte ich mich auf kulturelle und soziale Aspekte konzentrieren und zwei konkrete Fälle beschreiben, die zeigen sollen, wie wichtig die Zusammenarbeit – und damit die transkulturelle Kommunikation – zwischen NGOs, Behörden und einheimischen BürgerInnen einerseits und Asylsuchenden andererseits für das Gelingen ihrer Integration und letztendlich für die Qualität des künftigen Zusammenlebens in Europa wäre. Beide Fälle stammen aus Vorarlberg, einem Land mit einer langen Geschichte menschlicher Zu- und Abwanderung, mit allen möglichen Folgen.

      2 Die Floristin

      Bei der jungen Syrerin Nour verlief die Kommunikationskette vorbildlich. Sie ist derzeit, im Sommer 2020, als Lehrling in einem Blumengeschäft in Bregenz beschäftigt. Dieses ist ein Familienbetrieb, und der Inhaber ist sehr bemüht, sie zu fördern – und zu behalten. Nour besucht die Berufsschule, hat die gleichen Pflichten und Rechte wie alle anderen MitarbeiterInnen, inklusive eines freien Tags pro Woche, und sie wird von einer Familienangehörigen betreut, die ihr beim Deutschunterricht behilflich ist. Sowohl Nour als auch ihre Betreuerin waren gerne bereit, im Rahmen eines Gesprächs ihre Geschichte – auf Deutsch – zu erzählen.

      Nour stammt ursprünglich aus Damaskus, und dort ging sie als Kind zur Schule. Als die Bombardierungen – im frühen Stadium des Krieges – immer bedrohlicher wurden, beschloss der Vater, mit der ganzen Familie (neben der Mutter auch einem älteren Bruder und zwei kleineren Kindern) das Land zu verlassen. Die nächsten Jahre verbrachten sie im Libanon, dort besuchte Nour die Mittelschule. Den Sprung nach Österreich sowie die weitere Betreuung verdankt die Familie der Caritas: So kam sie mit dem Flugzeug nach Wien, ein Dolmetscher mit arabischer Muttersprache wurde zur Verfügung gestellt, eine Unterkunft organisiert. Die notwendigen behördlichen Maßnahmen sowie die Verteilung der verschiedenen Familien und die Entscheidungen über deren weitere Destinationen übernahm ebenfalls die Caritas. So kam Nour mit ihren Angehörigen und anderen Familien mit einem Bus nach Vorarlberg. Dies geschah gegen Ende des Jahres 2015, als mit der immer größer werdenden Zahl an flüchtenden Menschen und der teilweisen Aussetzung von Grenzkontrollen die zunächst vorherrschende Willkommenskultur ins Gegenteil kippte. Von diesem Stimmungsumschwung bekam Nour wenig mit, sie war als Dreizehnjährige zunächst vor allem von dem Schnee auf den Bergen begeistert.

      Nach der Ankunft in Vorarlberg wurden für die verschiedenen Familien Unterkünfte gefunden und weitere notwendige Maßnahmen getroffen. Bei der Frage, wer bzw. welche Organisation für welche Leistungen zuständig war, wird Nours Erzählung allerdings etwas unklar. Klar war hingegen die freundliche Begrüßung der BewohnerInnen von Rohrbach, dem Stadtteil von Dornbirn, wo die Familie untergebracht wurde; das „Übersetzen“ übernahm der ältere Bruder über das Englische. Ansonsten gab es anscheinend – neben der Caritas – eine ganze Reihe von Institutionen, die Nour auf ihrem weiteren Weg in Vorarlberg geholfen haben. Gesprochen habe ich mit der Projektleiterin der ÜBA (Überbetriebliche Lehrausbildung) des Vereins FAB (Förderung von Arbeit und Beschäftigung), einer Unterabteilung des AMS. Sie hatte Nour an das Blumengeschäft vermittelt, war mit ihrem Fall (und mit vielen anderen auch) bestens vertraut und bezeichnete Nour als ein „Paradebeispiel“.

      Das ist sicherlich ein Idealfall, aber keineswegs eine Ausnahme: Wenn alle Instanzen funktionieren, kann die Integration rasch erfolgen und erfolgreich sein. Am wichtigsten war wohl das vorbildliche Wirken der Caritas, die alle Grundbedürfnisse erkannt, die behördlichen Hürden beseitigt und den Weg zu den Organisationen in Vorarlberg geebnet hat. Hinzu kamen das geregelte Leben mit regulärem Schulbesuch im Libanon und die Hilfsbereitschaft der Menschen in Rohrbach sowie der Vermittlungsorganisationen und des Gastbetriebs. Ganz wesentlich war aber auch die Eigenverantwortung und das Engagement der jungen Syrerin selbst: in der Schule, beim Erlernen der Sprache, bei der Lehre im Betrieb und in der Bereitschaft, sich in grundlegenden Fragen der Kultur des Gastlandes anzupassen, ohne ihre eigene Identität aufzugeben.

      Das ging freilich nicht ganz ohne Probleme: Ihr Wunschberuf wäre eigentlich Köchin gewesen. Als sie aber erfuhr, dass dazu das Probieren von Gerichten mit Schweinefleisch gehörte, sagte sie ab und begann die Lehre zur Floristin. Ihr Kopftuch will sie auch nicht ablegen, ihr Umfeld stört das nicht. Soziale Kontakte in der Berufsschule sind aber nicht immer leicht herzustellen. Auf die Frage, wo sie in zehn Jahren sein möchte, antwortet sie trotzdem: „In Vorarlberg“. Man kann es ihr nur wünschen: Wenn dieser Aufsatz erscheint, wird ihre Lehre beinahe beendet und ihre fünfjährige Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sein.

      3 Zahlen, Fälle oder Menschen?

      Wenn von Asylsuchenden die Rede war, wurde zu der Zeit in den internationalen und deutschsprachigen Medien von immensen Zahlen geschrieben, die nicht zu bewältigen wären, und auch eine Zuwendung wie bei Nour wäre nicht immer leicht durchzuführen. Man erfährt auch von Fällen, die unser Sozialsystem missbrauchen wollen oder einfach kriminell sind. Aber auch das sind Probleme, die mit etwas mehr Wohlwollen, Empathie und Menschenkenntnis, organisatorischem Geschick und auch sprachlicher und transkultureller Kompetenz zumindest verringert werden könnten.

      In seinem Buch Mut zum Recht! Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat (2019) schreibt der Richter Oliver Scheiber immer wieder von Kleinkriminellen, auch unter Einheimischen, die unsere Gefängnisse überbevölkern und das Rechtssystem überlasten (während große Wirtschaftsdelikte weniger genau behandelt werden, aber ungleich mehr Schaden zufügen): Man konzentriert sich auf die Tat selbst und weniger auf den Täter oder die Täterin und deren Hintergrund. Mit der Überwindung der „Klassenjustiz“ könnten die Urteile und letztendlich die gesellschaftlichen Auswirkungen in unserem Rechtsstaat anders aussehen:

      Leitprinzipien der Justiz müssen der einfache, gleiche Zugang zum Recht und das faire Verfahren sein. Das muss sich in Informationspolitik, Sprache und Kommunikation der Justiz niederschlagen. Die Justiz muss innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals verständlich, fair und empathisch agieren und kommunizieren. (2019:72)

      Diese These möchte ich nun auf den zweiten Fall im Bereich des Asyls anwenden, der aufzeigt, wie verhängnisvoll die Kulturproblematik bei mangelnder Kommunikation und Kooperation und dem daraus entstehenden Fehlverhalten sein kann.

      4 „Du hättest nur nett sein müssen“

      Der Mord am Leiter der Sozialhilfeabteilung in Dornbirn durch einen Asylwerber im Februar 2019 hat österreichweit für Empörung gesorgt. Auch das politische Klima wurde vergiftet und sogar die Möglichkeit einer „Sicherungshaft“ für Asylsuchende zur Sprache gebracht. Der Prozess gegen den 35-jährigen Angeklagten Soner Ö. fand Anfang 2020 statt, das Urteil war einstimmig und eindeutig: Lebenslang wegen Mordes. Die Handlung sei „äußerst brutal, rachsüchtig und heimtückisch“ hieß es in der Begründung des Richters (Berger 2020a:10). Als ausschlaggebend wurde der Vortrag des Gerichtsmediziners über die Tat erachtet, der die exzessive Wucht des tödlichen Messerstichs ausführlich darstellte (Berger 2020a:10). Das wäre nach Scheiber ein eklatantes Beispiel für die Fokussierung auf die Tat und weniger auf den Täter.

      Dessen Hintergrund und die Vorgeschichte der Tat wurden in den meisten Medien eher skizzenhaft dargestellt, wobei aber klar sein müsste, dass es sich bei Soner Ö. um keinen klassischen Flüchtling handelt: In Vorarlberg geboren und aufgewachsen, als Jugendlicher in die Drogenszene und Kleinkriminalität geraten, mehrfach verhaftet und in die Türkei abgeschoben, versuchte er vielmehr, die Möglichkeiten des Asylrechts zu benutzen, um nach Vorarlberg zurückzukehren. Wie genau es dazu kommen konnte, wurde von der Journalistin Edith Meinhart 2019 im Magazin profil (2019:32–36)

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