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Pack Sklaven gekauft, zu einem völlig überhöhten Preis, wie er meinte, und schon nach einer Woche verweigert sich die erste, indem sie den Weg zu ihren Ahnen wählt.

      Sie konnte er ja nicht mehr strafen, also hat er sich eine andere Schuldige gesucht. Damit die anderen aus dem Pack nicht denselben Weg gehen, damit sie sehen, es wird jemand dafür büßen müssen, sagte er. Und wie er so dabei war, mich auspeitschen zu lassen, kam dieser andere Herr, fragte ihn, was geschehen sei, und wer ich sei und so weiter. ›Die vermaledeite Heilerin, die zu nichts taugt‹, hat er gesagt und ihm von der Toten erzählt, und dann wollte der Fremde wissen, mit welchen Pflanzen ich sie behandelt habe, und ob ich sie vorher schon behandelt habe, also ob ihre ›Kondition‹, wie er es nannte, erst durch meine Behandlung gekommen ist. Damit hat er den Mister glauben machen, ich hätte sie nicht nur nicht retten können, ich hätte sie vielleicht sogar absichtlich vergiftet mit meinen Kräutern. Obwohl das ja gar nicht stimmt, sie war vorher nicht bei mir, sie hätte mal besser zu mir kommen sollen. Nein, sie hat keine Kräuter genommen, sie hat an sich selbst Hand angelegt.

      Aber der Mister wollte gar nichts mehr von mir wissen, sein Urteil stand fest. Dieser Fremde, der hat ihn immer wieder unterbrochen und gesagt, er müsste mich wichtige Dinge fragen, und dann hat er mich nach Pflanzen gefragt, aber er gab ihnen Namen, die ich noch aus keinem Munde gehört habe, weder von den Medizinmännern noch von uns, von den Herrschaften sowieso nicht, denn sie kennen keine Pflanzen außer dem Zuckerrohr. Er dagegen nannte jede Pflanze mit zwei Namen, so als wären sie feine Leute, die einen Vornamen und einen Familiennamen haben. Und weil ich nicht verstand, wovon er redete, wurde auch er wütend und dachte, die Peitsche würde mich schon verstehen machen.«

      Das war die seltsamste Geschichte, die Ife jemals von Weißen gehört hatte. »Was ist es, was er wissen will? Ich verstehe es noch immer nicht.«

      »Wenn ich es verstehen würde, würde ich dir deine Frage beantworten, so viel ist sicher. Seine Fragen würde ich nicht mal beantworten, wenn ich es könnte.« Ein Frohlocken war in Cobas Stimme eingekehrt, das Ife aufatmen ließ.

      »Ich denke, er weiß gar nicht, was er wissen will«, fuhr Coba fort. »Er fragte alles und nichts und dann schrieb er alles in ein dickes Buch. Weil ich ihn nicht verstand, hat er ein anderes dickes Buch geholt, in dem Bilder von Pflanzen waren. Er hat dann auf die Bilder gezeigt und mich gefragt, ob ich die Pflanze kenne, ob sie hier wächst und ob ich sie bei Krankheiten gebrauchen würde. Aber ich hatte schon gar keine Lust mehr zu antworten, und so habe ich nur noch den Kopf geschüttelt und darauf gewartet, dass mir endlich das Bewusstsein schwindet.«

      »Glaubst du, dass sie mich auch unter Verdacht haben?«

      »Sie haben nicht von dir gesprochen, aber du musst sehr, sehr vorsichtig sein. Ich kann jetzt nicht viel für dich tun.«

      »Liegt die Tote noch in der Baracke?«

      »Mach dir keine Sorgen, sie werden sie weggebracht und irgendwo verscharrt haben.«

      »Dann gehe ich jetzt hin.«

      »Ich habe doch gesagt, du sollst das lassen und schlafen.«

      Doch Ife hörte nicht. In der Krankenbaracke roch es nach dem Schweiß des Fiebernden und getrocknetem Blut. Rasch zerstieß Ife Limetten und Pfefferschoten mit einem Mörser und kehrte mit dem Saft zu Coba zurück. Aus der Hütte drang der schwere Atem des Schlafs. Ife konnte an Cobas Arm rütteln wie sie wollte, die alte Frau weigerte sich aufzuwachen. Schließlich gab sie auf und stellte den Limettensaft vorne in die Hütte.

      »Komm mit mir in die Wälder«, flüsterte sie der Schlafenden zu, doch die wollte einfach nicht antworten.

      2

      Ich werde mich von John verabschieden gehen, dachte Ife schon zum zwanzigsten Mal an diesem Vormittag. Und wie die neunzehn Male davor, verwarf sie den Gedanken sogleich. Wissen war Schuld, eine Bürde, die Ife niemandem zumuten wollte. Erst recht nicht John, der nur versuchte, aus dem Schlimmsten das Beste zu machen. Der von ihr nie mehr verlangt hatte, als alles zu vergessen, wenn er sie in seine Arme schloss. Der neben ihrer Haut den Rauch des Tabaks liebte. Für diese beiden Dinge konnte er leben, hatte er ihr einmal gesagt. John existierte außerhalb von Vergangenheit und Zukunft. Er trug die Qualen des Tages mit Gleichmut, einzig die Erwartung des Tabakrauchens am Abend ließ ihn den Tag durchstehen.

      Sie hätte ihn bitten können, mit ihr zu fliehen. Aber sie wusste, dass es falsch wäre. Er war es nicht, den sie für einen gemeinsamen Weg wählen würde. Er war einer unter vielen, jung und kräftig, mit einer tiefen und weichen Stimme, wenn er zu ihr sprach. Er hatte ein glattes Gesicht, das manchmal lächelte, wobei seine Augen stets ernst blieben. Er hatte noch alle Zähne, bis auf den linken oberen Eckzahn, den er sich versehentlich mit dem Griff der Sense ausgeschlagen hatte. John sprach den Dialekt ihrer Eltern, was ihm den Geschmack eines heimischen Herdfeuers verlieh. John war warm und samtig, nur manchmal war der Samt seiner Haut von gar zu vielen Furchen durchzogen.

      Manchmal sehnte sie sich nach seiner Berührung wie ein einsames Tier, und so hatte Ife manches Mal die Vorsicht vergessen. John dachte sowieso nicht darüber nach, wie er überhaupt nie an die Zukunft dachte. Seit sie wusste, dass es geschehen war, hatte Ife alleine versucht, sich die Zukunft dieses Kindes vorzustellen. Seine ersten Worte wären in Johns und ihrem Dialekt erklungen, was für ihre Eltern eine große Freude gewesen wäre. Dann hätte es weitere Worte gelernt, den üblichen Kauderwelsch, und bald hätten sich die Befehle in seine Sprache gemischt. »An die Arbeit!« und »Schneller!« hätte es zu sagen gelernt. Sobald es laufen konnte, hätte es gelernt, nützliche Dinge zu tun. Je älter es geworden wäre, desto weniger hätte sie von ihm gesehen. Das Kind wäre nicht ihres geblieben. Brauchte man die tatkräftigen Hände des Heranwachsenden und wäre er von guter Gestalt, so behielt man ihn auf der Plantage. Dafür musste ein Kind die ersten Jahre überstehen. Genauso wie die frischen Sklaven, weigerten sich viele Kinder einfach, an diesem Ort unter den Lebenden zu bleiben.

      All dies war nicht die Geschichte von John und Ife, vielleicht würde es einmal die Geschichte Johns und einer anderen sein. Sie hätte ihm gerne gesagt, dass er ihre Flucht nicht persönlich nehmen sollte. Johns Gesicht mischte sich in ihrer Vorstellung mit den Gesichtern anderer: zerfurchter Gesichter, selten lachender Gesichter, leerer Gesichter, leidender Gesichter; es war keines dabei, das Bestand hatte. Das einzige, das ihr klar erschien, war das runzlige Gesicht Cobas, ihrer großartigen Lehrerin.

      Ife dachte an die Schlangen und die Schlingpflanzen im Wald, und es ließ sie schaudern. Sie hatte vor einiger Zeit ein altes verrostetes Hackmesser unter ihrer Matte versteckt. Es schien ihr kaum geeignet, um sich gegen wilde Tiere zu verteidigen. Am meisten Angst hatte sie vor den Pekaris, weniger vor den Jaguaren, von denen sie noch nie einen zu Gesicht bekommen hatte. Die Weißen hatten am meisten Angst vor den Indianern, obwohl sie offiziell ihre Verbündeten waren. Ife wusste nicht, ob sie Angst vor den Indianern hatte, aber sie hatte Angst, in den Wald zu gehen.

      Man erzählte sich in Sugar Creek die Geschichte des Paters, der auf der Durchreise auf der Plantage Quartier bezogen hatte, das ihm der Mister nur sehr widerwillig gewährt hatte, denn der Mister hasste die katholischen Missionare, die mit ihrem Eifer selbst bei den Plantagensklaven nicht Halt machten. Wenn es nach ihm ginge, hätten die Holländer die Pater aus dem Hinterland jagen sollen, zumal sie alle dem Lager der Feinde, der Spanier, angehörten. Aber es gehörte sich nicht, einen weißen Reisenden abzuweisen, nicht hier in der Wildnis. Jener Pater war am Abend, bevor er sich schlafen legte, von einem Giftpfeil mitten in die Brust getroffen worden. Wer den Pfeil geschossen hatte, ließ sich nie herausfinden, die einen sagten, es wären die Indianer gewesen, die die Soutanenträger mehr hassten als alle anderen Fremden, weil sie ihnen nach den Seelen trachteten. Andere behaupteten, es wären die entflohenen Sklaven aus dem Wald gewesen, die einen Überfall auf die Plantage geplant hatten, und die der Pater dabei gestört hatte. Ein paar fehlende Schweine untermauerten diese Theorie. Niemand machte sich die Mühe, den Tod des Paters aufzuklären, auch nicht der verängstigte junge Geistliche, der die Leiche drei Tage später mit zwei schwarzen Helfern abholte, um sie in der geweihten Erde bei der Mission zu bestatten.

      Am Abend hakte sich Ife auf dem Weg von der Arbeit bei Azuka unter, um sich vor weiteren neugierigen Fragen von Johanna zu schützen. Azuka sang leise, mehr für sich

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