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Ife. Sie wartete auf Lebas Kommentar dazu, doch Leba schien schon so von Hunger geschwächt, dass sie es nicht mehr wagte, die Stimme zu erheben.

      Das Glück hatte ihr eine kopfgroße braune Kugel in den Weg gelegt. Ife lachte in Vorfreude auf die Nüsse, die ihr der Kopf, war er erst einmal geknackt, schenken würde. Sie versuchte erfolglos die Klinge ihres Messers in die harte Schale zu zwingen. Weit und breit lag kein einziger Stein am Boden. Ife warf die Kugel mehrmals gegen einen Baumstamm, der sie unbeeindruckt zurückwarf. Sie schleuderte die Frucht in die Höhe, aber sie landete nur mit einem dumpfen Geräusch auf dem weichen Waldboden. Schließlich nahm Ife die Kugel und ging weiter, irgendwann würde sie schon einen Stein finden, mit dem sie die Schale zertrümmern konnte. Sie musste nur Geduld haben.

      Der Wald ließ sie warten. Nichts als Stämme, Ranken und Blätter, so weit sie sehen konnte. Einmal flogen zwei blaue Schmetterlinge vor ihr her, als wollten sie ihr den Weg weisen, erhoben sich dann aber plötzlich steil nach oben. Dann sanken ihre Füße immer tiefer in den Boden, und wenn sie sie hinauszog, füllten sich die Fußstapfen mit wässrigem Schlamm. Sie brauchte jetzt nur die hohle Hand hineinhalten und könnte das Wasser zum Mund führen. Doch sie forderte noch Geduld von ihren durstigen Winti. Ein Bach konnte nicht weit sein, klares Wasser satt, genug für die Bäuche einer ganzen Plantage. Sie konnte ihn schon hören. Sie musste nur hingelangen. Denn nun kratzten dornenbewehrte Sträucher an ihren Beinen, rissen Schrammen, an denen feine Blutströpfchen erschienen. Dichter und dichter wurde das Gestrüpp, es war kein Durchkommen, obwohl das Wasser gleich neben ihr liegen musste. Das Messer war kaum eine Hilfe.

      Sie stapfte parallel zum Bach, dann entdeckte sie einen hüfthohen Gang zwischen den Büschen. Sie kroch auf allen Vieren hindurch und hoffte, kein Tier beim Laben am Wasser zu stören. Ein Tapir konnte sich den Gang gebaut haben, doch auch andere konnten sich über den einfachen Weg gefreut haben, etwa der Jaguar. Der Durst trieb Ife voran. Als sie endlich den Bach vor sich hatte, legte sie ihre Lippen auf die Wasseroberfläche und stillte ihren Durst wie ein Tier. Sie sah sich noch einmal um, ob sich auch kein Krokodil zu einem Mittagsschlaf ins Unterholz gelegt hatte. Aber da war nichts. Sie atmete auf, suchte nun das Ufer nach Steinen ab. Mit einem Kiesel trieb sie einen Riss in die braune Kugel, bis sie die Schale mit der ganzen Kraft ihrer Arme sprengen konnte. Die dreieckigen Kerne sprangen ihr in den Schoß, nun musste sie die zweite Schale öffnen, aber das war ein Kinderspiel. Sie ließ nicht von ihrer Beute ab, bevor sie die letzte Nuss mit den Zähnen zermalmt und heruntergeschluckt hatte. Sie war noch immer sehr hungrig.

      Sie musste sich nun entscheiden, durch den Tiergang zurück in den Wald zu kriechen oder durch den Fluss zu waten. Der Weg durch den Fluss erschien einfacher, außerdem würde sie trinken können, wann immer der Durst sich meldete. Doch Coba hatte sie vor den Flüssen gewarnt. Alle Tiere liebten Flüsse.

      Ife entschied sich trotzdem für den Fluss, um zumindest für eine Weile schneller voranzukommen. Außerdem brauchte jeder, der im Wald leben wollte, Wasser, auch die Freien, die sie suchte. Wenn sie sich nur in Wassernähe hielt, würde sie sie finden, da war sie sich sicher. Jedoch hatte der Fluss keine Eile, kurvig schlang er sich durch das Grün des Waldes, um es von allen Seiten begutachten zu können.

      Bevor die Umgebung in einem undurchsichtigen Grau verschwamm, schnitt sich Ife einige Ranken von den Bäumen und verknotete sie zu einem grobmaschigen Netz, das sie tragen konnte. Sie hängte das Netz zwischen zwei Baumstämme und streckte sich darin aus so gut es ging. Es war nicht bequem, aber immerhin trockener als der Waldboden. Und die Müdigkeit tat das Übrige, um Ife erneut einen tiefen Schlaf zu bescheren.

      Wieder umfing sie die Welt in sattem Grün. Was sie hier zu sehen bekam, war kunstvoller als die einfachen Zuckerrohrpflanzen. Oval, herzförmig, gefingert, gezackt, handgroß, tellergroß und noch größer waren die Blätter – wer hatte sich all das ausdenken können? Waren all diese Blattträger verschieden, oder gab es Brüder und Schwestern unter ihnen, Zwillinge gar, vom Charakter so ähnlich, dass sich die Götter vor ihnen erschreckten? War es möglich, diese Welt zu verstehen, die Pflanzen sprechen zu hören? Selbst Coba, die so viel über ihre Heilkräfte wusste – hatten die Pflanzen sie jemals wirklich angesprochen? »Guten Morgen«, flüsterte Ife in die Höhe, vielleicht war das leise Rascheln über ihr als Antwort zu verstehen.

      Sie löste ihre einfache Hängematte von den Baumstämmen, zögerte einen Moment, ob sie sie für die nächste Nacht bei sich tragen sollte, entschied sich dann, auf den Ballast zu verzichten und zerstörte sorgsam ihr Werk, um keine Spuren zu hinterlassen. Ihr war übel vor Hunger. Sie schnitzte sich einen Speer, mit dem sie sich lauernd ins flache Wasser stellte. Das unruhige Glitzern auf der Oberfläche verstärkte noch ihre Übelkeit. In dem bewegten Wasser konnte sie die Fische nicht sehen. Mehrmals spürte sie einen glitschigen Körper ihr Bein streifen, doch sie konnte den Speer nur blind ins Wasser stoßen. Die Jagd war unter diesen Umständen eine Kraftverschwendung. Ife füllte den Magen mit Wasser und watete weiter. Als sich der Fluss über eine Stufe in die Tiefe fallen ließ, musste sie wieder an sein Ufer ausweichen. Der Weg war nun erstaunlich bequem, und so lief sie trockenen Fußes weiter, das Wasser immer in Hörweite.

      Plötzlich warf sich ein Busch mit seinem gesamten Gewicht auf sie. Für sein lockeres Laub war er seltsam schwer und kompakt. Hart packte er sie im Nacken und drückte ihr Gesicht in den Boden.

      »Ke kere aki?«, raunte er mit tiefer Stimme. Die Sprache des Busches war nicht ihre Sprache, wenngleich ihr der Klang nicht ganz fremd war.

      »Wirst du mich zurück nach Sugar Creek bringen? Sie werden mir die Zehen abhacken, nicht wahr? Lass mich frei, ich bitte dich, ich bin eine nutzlose Sklavin, schwach durch eine schwere Krankheit, sie können nichts mit mir anfangen. Überlass mich hier meiner selbst, ich flehe dich an!«

      Der Busch grunzte und zog sie am Nacken nach oben. Bei genauer Betrachtung verbargen sich zwischen seinen Blättern zwei weiß blitzende Augen.

      »Wen«, sprach der Busch und drehte sich von ihr weg. Geschickt schlängelte er sich durch das Pflanzenreich. Ohne ihn zu verstehen, wusste sie, dass sie ihm folgen sollte. Doch fast verlor er sich schon im Grün, sie musste rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Wer sich so wenig darum kümmerte, ob sie hinterher kam, konnte kein Häscher sein. Bald standen sie an einer Felswand, ähnlich der, die sich Ife in der ersten Nacht ihrer Flucht in den Weg gestellt hatte.

      Der Busch entkleidete sich seiner Blätter. Auch ohne sein Laub war er ein Riese, sie wusste nicht, ob sie so ein großes Exemplar in Sugar Creek hatten. Dieser hier war so prachtvoll, dass sein Besitzer bestimmt zehn Häscher auf ihn angesetzt hatte. Er war nicht nur riesig, sondern auch, bis auf einen dürftigen Lendenschurz, nackt. Er steckte seine Zweige in einen Felsspalt, sah sich nach Ife um und wies mit seinem Kopf nach oben. Er musterte sie kurz, als wenn er fragen wollte: Schaffst du das auch? Ife sah sich die Wand an. Sie war höher als die letzte, die sie erklettert hatte. Stumm folgte sie dem Fremden. Ife beobachtete fasziniert, wie geschickt er Hände und Füße setzte und sich geschmeidig den Felsen hoch bewegte, sodass sie ganz vergaß ihm zu folgen. Er blieb an der Wand kleben und drehte den Kopf zu ihr um.

      »Wen«, sagte er noch einmal. Ife ärgerte sich, dass sie sich vor lauter Bewunderung nicht gemerkt hatte, wo er entlang geklettert war. So musste er von oben auf die Stellen zeigen, an denen sie sich festhalten konnte. Als sie ihn erreicht hatte, packte er sie an den Armen und hob sie über die Kante.

      Hatte es von unten so ausgesehen, als ob auf dem Felsplateau nur der ewige Wald wüchse, bot sich nun der Anblick einer mit dem Wald verwobenen Siedlung. Zwischen den Bäumen spannten sich kleine Dächer aus Palmengeflecht. Davor waren verschiedene Sträucher angepflanzt, Kakao und Bataten konnte Ife erkennen. Das Lager war luftiger als ihre Unterkünfte in Sugar Creek, die Dächer geschickter und filigraner gearbeitet. Unter den Dächern hingen geflochtene Hängematten. Erstaunlich an dem Lager war die Stille, die nicht anders war als im Wald. Ife hatte insgeheim gehofft, das Gemurmel menschlicher Stimmen zu vernehmen, vielleicht ein Lachen, vielleicht einen Schrei. Doch diese Menschen, von denen sie momentan nicht besonders viele sah, waren diskret wie die Tiere des Waldes. Sie verrieten sich weder durch ihre Tritte noch durch ihre Stimmen.

      Ein kleiner alter Mann hockte im Schneidersitz vor einer Hütte und pulte fingerlange dunkelbraune Schoten auseinander.

      Der

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