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Ruf der Pflanzen. Jutta Blume
Читать онлайн.Название Ruf der Pflanzen
Год выпуска 0
isbn 9783864081804
Автор произведения Jutta Blume
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Die Götter entscheiden, wer lebt und wer stirbt, nicht wir. Unsere Kinder gehören in die Kette der Ahnen, sie werden sich einmal um unsere Geister kümmern, ihnen Speise und Trank und ein Zuhause geben. Was sollen wir machen, wenn wir keine Angehörigen mehr in der Welt haben?«
»Ach Johanna, das alles gilt hier nicht. Das Kind gehört dem Herrn, auf dessen Plantage es geboren wurde. Wenn du Glück hast, behält er es, wenn du Pech hast, verkauft er es, sobald es groß genug ist, und du siehst es nie wieder. Das Kind wird niemals wissen, wenn du in die Welt der Geister übergetreten bist.«
Der Geruch des Essens beendete ihre Diskussion. Glücklicherweise schliefen sie nicht in derselben Baracke. »Wir reden morgen weiter«, sagte Johanna und ging zu ihrer Baracke.
Die heutige Ration bestand wie immer aus Maniok mit einem Löffel wässriger Bohnen. Ife nahm ihre Portion in Empfang und ließ sich außerdem Essen für den Patienten in der Baracke und für Coba geben.
Sie war so hungrig, dass sie alle drei Portionen hätte verschlingen können. Wenn sie Glück hatte, war der Kranke zu schwach, um zu essen. Coba hingegen würde sie niemals ihre spärliche Mahlzeit vorenthalten. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, hockte sie sich zwischen die anderen vor eine der Hütten.
Das ohrenbetäubende Quaken der Frösche erfüllte den Yard. Während des Essens waren alle zu erschöpft, um nur ein Wort zu sagen. Erst als die Näpfe leer waren, begann hier und dort eine gemurmelte Unterhaltung, so gedämpft wie die Stimmung nach diesem Tag, an dem die Herrschaften wieder einmal ihre Willkür gezeigt hatten. Es war an der Zeit, Coba ihr Essen zu bringen. Ife hatte Angst vor der Krankenbaracke, Angst noch einmal dem Geist der Toten zu begegnen. Sie wollte erst zu Cobas Hütte gehen, vielleicht war die Alte ja aus ihrer Ohnmacht erwacht und hatte sich aus eigener Kraft zu ihrer Hütte geschleppt.
Sie ging an den schemenhaften Baracken vorbei, hinaus in die absolute Dunkelheit. Cobas Hütte lag noch hinter den Baracken, die sich zwanzig oder dreißig Sklaven teilten, schon ganz nah an den dichten Körper des Waldes gedrängt, gefährlich nah an der Freiheit. Aus der Dunkelheit wehte ein schwerer, erdig-feuchter Duft herüber, mischte sich mit dem süßen Geruch der Pflanzen, die hier und dort an den Barackenwänden standen, um die bösen Geister fernzuhalten.
Ife stampfte beim Gehen auf, um die Schlangen zu verscheuchen. Erst vor einem Monat war ein Sklave auf eine Viper getreten und erblindet, weder Coba noch der indianische Medizinmann hatten ihm helfen können. Mit einem blinden Sklaven konnte der Mister allerdings wenig anfangen. Er hatte ihn bei seiner nächsten Reise in die Stadt mitgenommen, und niemand wusste, was aus ihm geworden war.
Coba lebte in der ehemaligen Hundehütte von Sir Henry, einem großen wolligen Tier, das in der feuchtwarmen Hitze eines Tages einfach die Zunge herausgestreckt und nie wieder zurück ins Maul genommen hatte. Das war es mit Sir Henry, und offenbar hatte die Missus die Hundehaltung aufgegeben. Nun lebten nur noch die Hunde auf der Plantage, die nachts mit den Wachen patrouillierten, kurzhaarige braune Tiere mit hängenden Lefzen und furchterregenden Eckzähnen. Sir Henry war dagegen ein gutmütiges und träges Tier gewesen, das die Missus hinter einen Zaun gesperrt hatte, um es vor den anderen Hunden zu beschützen.
Nach seinem Ableben hatte die Missus die Hütte von Sir Henry in die hinterste Ecke der Plantage zwischen die Sklavenunterkünfte tragen lassen, um nicht mehr an ihn erinnert zu werden. Am ersten Tag hatte niemand recht etwas mit ihr anzufangen gewusst, beinahe schon hätten die Männer sie zerkleinert und ins Feuer geworfen. Doch dann kam jemand auf die Idee, hinein zu kriechen, was ihm aber nicht gelang. Und andere folgten seinem Beispiel, es wurde ein absurdes Schauspiel, bei dem die erwachsenen Sklaven auf einmal die Rolle des adeligen Hundes einnahmen. Manche stießen sich Kopf und Schultern und fluchten, andere brachen bei dem Versuch, sich durch das Loch zu winden, in unbändiges Gelächter aus. Coba stand mit verschränkten Armen daneben und gab keinen einzigen Kommentar von sich. Die Menge feuerte die jeweiligen Hunde an: »Noch ein bisschen die Luft einziehen!«, spotteten sie, »An dir ist ein englischer Hund verloren gegangen« oder: »Mach Platz, so ist’s brav, Henry!«. Als sie sich genug amüsiert hatten, kam Coba mit ihrer Strohmatte, kroch ohne Schwierigkeiten durch das Loch, und niemand hat seitdem versucht, ihr Sir Henrys ehemaliges Haus streitig zu machen.
Ife stieß einen Pfiff aus, als sie die Hütte erreichte. Coba antwortete nicht wie gewöhnlich mit einem leisen Glucksen, sondern flüsterte kaum hörbar: »Ja, ich bin zu Hause.« Stockfinster wie es war, konnten sich die beiden Frauen nicht ansehen, und so wusste Ife nicht, wie arg sie Coba zugesetzt hatten. Sie hockte sich hin und tastete mit einer Hand ins Innere der ehemaligen Hundehütte. Coba antwortete mit einem leichten Druck ihrer kleinen, knochigen Hand.
»Iss«, sagte Ife und schob die Schale durch das Loch.
»Nein, sie haben mir den Appetit verdorben. Iss du lieber, du hast heute sehr viel Kraft verbraucht. Mir sagt meine Mutter Dyodyo, wir bräuchten heute nichts essen. Schlafen muss ich, das ist alles.«
»Hat sich jemand um deine Wunden gekümmert?«
»Nein, sie haben keine Ahnung.«
»Aber du musst gesalbt werden, durch deine Wunden können die bösen Geister eintreten. Warte, ich besorge Limonensaft und Pfeffer.«
»Ach lass, ich will einfach nur hier in der Dunkelheit liegen, die Augen schließen, vergessen. Ich will vergessen, wie oft ich überlebt habe und dass ich zu heilen begann, um nichts als meine eigene Haut zu retten, nicht weil mir ein Winti zu helfen geboten hatte.
Ich will vergessen, dass dieser Mister und diese Missus elendige Würmer sind, Maden, denen niemals Flügel vergönnt sein werden. Ich will die Schwestern vergessen, die mir genommen wurden und die eine, die fortgegangen ist und von der ich nie wieder gehört habe. Ich will alles vergessen, was ich gelernt habe, damit sie nie wieder das aus mir herauszupressen versuchen, was ich nicht in Worte fassen kann. Lasst mich als dumme Närrin sterben, nutzlos für die Arbeit und auch sonst unbrauchbar. Wieso sollte mir dann noch jemand zu essen geben? Lasst mich über Nacht alles vergessen, was ich je gesehen und erfahren habe, auch meinen Namen, und dann nehmt dieser armen Irren das Letzte, und alles wird gut sein.«
Ife erschrak. So hatte Coba noch nie geredet, die zähe Coba, die schon so viel erlebt hatte, weit Schlimmeres als heute, von dem sie aber nie reden mochte. Wieso brachte sie ausgerechnet der rotgesichtige Herr dazu, ihren Lebensmut aufzugeben?
»Du darfst so nicht reden. Deine Winti sind erschöpft, aber schon morgen werden sie dich wieder mit Leben erfüllen und den Herrschaften ins Gesicht lachen, du wirst sehen. Lass mich nur schnell alles holen, um deine Wunden zu waschen.«
»Nein, ich verbiete es dir. Du brauchst Ruhe.«
»Nein, es geht schon wieder besser. Warte, ich bin gleich zurück.« Ife wollte schon forteilen, doch dann erinnerte sie sich, dass die benötigten Dinge in der Krankenbaracke waren. Sie hielt inne. »Was ist heute in der Krankenbaracke geschehen?«
»Am Morgen brachten sie einen Patienten im Fieberwahn, der nicht mehr alleine gehen konnte. Ich habe ihm einen Sud aus Quinarinde aufgesetzt, dann hörte ich dich plötzlich nach mir rufen. Also bin ich losgegangen und habe dich bei der Siederei gefunden, du warst farblos geworden wie eine Weiße und ich dachte, ich würde dich verlieren. Während ich noch bei dir war, hörte ich schon wieder eine andere Stimme aus der Krankenbaracke. Die Frau lag ganz zusammengekrümmt auf ihrem Lager und hat geschrien, bis ihre Stimme schließlich immer schwächer wurde. Ich habe versucht, herauszufinden, wie sie es getan hat, aber der Schmerz erlaubte ihr nicht zu sprechen. Ich habe ihre Geister und Ananan Keduaman Keduampon angerufen, doch mitten in der Zeremonie haben sie mich schon wieder unterbrochen und mich ohne eine Erklärung fortgeschleift. Ich bin nicht schuld, dass sie fortgegangen ist, wie sie sagen. Ananan Keduaman Keduampon und ihre Geister haben sich getroffen, und die Geister haben sich entschieden, mit Ananan Keduaman Keduampon zu gehen. Sie wollten nicht an diesem unbarmherzigen Ort bleiben.«
»Ich verstehe nicht, was dieser fremde Mister damit zu tun hat.«
»Gar nichts. Er war auf einmal da und stellte mir alle möglichen Fragen, in einer seltsamen Sprache, sodass ich fast gar nichts