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ein und befand, dass sie alberne Geschöpfe ohne Tiefgang waren. Vielleicht, dachte er bei sich, müsse er sein Glück bei älteren Frauen suchen. Solche gab es in den Nachkriegsjahren zuhauf. Die meisten von ihnen warteten nicht mehr auf ihre Männer. Man konnte ihren Hunger nach Leben spüren. Sie waren leichte Beute.

      Aber auch bei den jungen Witwen wurde Viktor nicht fündig. Entweder kamen sie zu ungelenk und sauertöpfisch daher oder sie umgaben sich mit einer schrillen Frivolität, die jede Natürlichkeit wegspülte.

      Anders war es bei Sabine. Sie war hochgewachsen und blond und sie hatte einen Vater, der Viktors bester Kunde war. Sabine war die Sorte Frau, die einen festen Händedruck hatte und französisch sprach. Wenn sie sich des Deutschen bediente, fädelten sich ihre Sätze zu kleinen Wortungetümen auf, die nie einen Zweifel an ihren Absichten zuließen. „Du trägst kragenlose Hemden über der Hose und das Jackett über dem Arm. Außerdem verzichtest du auf diese schreckliche Pomade. Das gefällt mir. Du gefällst mir“. Mit diesen Worten legte Sabine ihren Kopf ein wenig schief und lächelte schelmisch, was ihr zwei Grübchen in die Wangen trieb.

      Sätze wie diese und ein zerzauster Blondschopf waren dazu angetan, Männer zu überwältigen. Sie überwältigten Viktor. Sabine überfuhr seine Zurückhaltung, zertrümmerte seine Vorsätze, torpedierte seine Zukunftspläne. Sie versetzte Enzyme, Botenstoffe und Hormone in einen ungeordneten Aufruhr, sodass die einfachsten Körperfunktionen Kapriolen schlugen und dort aussetzten, wo es am peinlichsten war. Viktor jonglierte mit Schweißausbrüchen, Darmwinden und Rülpsern, errötete und stammelte, bis sich alles um ihn drehte und er halb ohnmächtig nach Luft rang, während ihn das Wesen vor ihm noch immer anlächelte. Viktor war verliebt.

      Der Vater von Sabine hieß Ernst. Sein Name war Programm. Ernst war ein Kirchenmann. Die Seelsorge betrieb er mit der gleichen Akribie, mit der er während der Kriegszeit für die Reinerhaltung der deutschen Rasse eingetreten war. Eifer konnte man ihm nicht absprechen.

      Ein amerikanisches Entnazifizierungsgremium hatte ihn als „minder belastet“ eingestuft. Ein paar Schreibmaschinenzeilen auf gelblichem Papier hatten ihn reingewaschen. Ernst glaubte an Papiere. Er glaubte an Autoritäten und er glaubte an Gott. Alles hatte seine Ordnung. Alles hatte seinen Platz. Sein Platz war im Schoß der Mutter Kirche, die er niemals wirklich verlassen hatte. So sagte es das Papier. Ernst hatte eine unbefleckte Seele.

      Sein Fleisch war nicht unbefleckt, aber wer war schon vollkommen. Niemand konnte ihn verurteilen. Gott alleine wusste, wie schwierig es war, eine halb erwachsene Tochter alleine großzuziehen. Gott alleine wusste, wie schwer das Leben eines Mannes ohne eine Frau an seiner Seite war. Gott war verständnisvoll und barmherzig. Auch Gott war ein Mann.

      Natürlich hatte Ernst Versuche unternommen, sich nach dem Tod seiner Frau neu zu verheiraten. Die Kirche sah es gerne, wenn ihre Pfarrer in geordneten Verhältnissen aufwuchsen. Es stellte sich allerdings heraus, dass es kein einfaches Unterfangen war, sich einer neuen Partnerin zu öffnen. Ernst hatte seine Eigenheiten. Eigenheiten, wie sie nur Kunstliebhaber hatten.

      Ernst war Liebhaber nicht sehr weit verbreiteter Praktiken, die sich in seiner Fantasie abspielten, wenn er die Kunstkalender verschlang. Und Ernst war vorsichtig.

      Nur ein einziges Mal gab er der Versuchung nach und offenbarte sich einer neuen Bekannten. Sie war ein stets übernächtigt aussehendes Geschöpf mit welken Brüsten und einem großen Verlangen nach familiärer Sicherheit und sozialem Status. Dafür war sie bereit Opfer zu bringen. Opfer, wie sie Männer von einer gehorsamen Frau erwarten durften. Daher schluckte sie ihren Abscheu herunter und ermunterte Ernst ganz ehrlich zu ihr zu sein. Sie wolle seine Wünsche erfüllen. Nur dazu sei sie geboren worden. Um seine Wünsche zu erfüllen. Und Ernst fasste Vertrauen. Er flüsterte ihr mit sichtlicher Erregung einige Sätze ins Ohr. Nachdem sich seine Auserwählte aus ihrem Starrezustand herausgeschält hatte und ihr Schreikrampf abebbte, ohrfeigte sie ihn voller Ekel, versprach ihm einen Termin bei der Polizei und stolzierte aus dem Haus, nicht ohne den Ausdruck „Sau“ mindestens fünf Mal in ihrem Abschiedsgruß zu verwenden.

      Danach machte Ernst keinen ernsthaften Versuch mehr, eine Frau für sich zu gewinnen. Er nahm intensive Zuflucht zu den Kunstkalendern und diente seiner Kirche. Niemand wusste von seinen kleinen Besonderheiten. Niemand, außer Viktor.

      Viktor sprach bei Ernst vor. Sabine hatte ihn gewarnt, ja sie hatte ihn angefleht. Viktor sah nur die Grübchen in ihren Wangen und dachte an den Flaum, den er über ihrem Gesäß spüren konnte, wenn er mit der Hand über ihre Haut strich. Sabine war immer kühl und sie roch wie ein Frühlingsmorgen. Sie wusste nichts von seinen Geschäften, nichts über ihn, aber sie hatte sich in den pickligen, ernsten Jüngling verliebt. Daran bestand kein Zweifel. Sie hatte es ihm auf ihre unnachahmliche Weise gesagt. Sie sagte: „Ich liebe dich“, in dem ihr eigenen bestimmten Ton, der keinen Widerspruch duldete. Sie fügte dem Satz nichts hinzu. Der Satz war perfekt, so wie er war.

      Viktor sagte zu Ernst: „Ich liebe Ihre Tochter.“ Er bemühte sich um ein aufrichtiges Lächeln und Zuversicht.

      Ernst wusste, dass er geschlagen war. Seine Hände krampften und ballten sich zu Fäusten. Sie hielten sich aneinander fest, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. Dann zeigte der Mund des Geistlichen ein resigniertes Lächeln, das rasiermesserscharf und freudlos war. Es war das Lächeln geschlagener Kunstkalenderliebhaber. Das Lächeln hatte etwas Wölfisches. Es verbarg die Zähne hinter blutleeren Lippen.

      Viktor war zufrieden. Sabine konnte ihr Glück nicht fassen. Sie heirateten. Es war kitschig und romantisch. Ein Pärchen, das nichts hatte als die eigene Existenz, ein wenig Aussteuer und ein Mansardenzimmer. Es war perfekt.

      Ernst konnte die Trauung nicht vollziehen. Kurz vor der Hochzeit begann er das Bett zu hüten. Sein Leiden war unbestimmter, aber gravierender Natur. Nach dem Termin erholte er sich rasch. Die Eltern Viktors schickten eine Glückwunschkarte mit einer dürren Gratulation und einem fetten Geldschein.

      Es wurde eine innige Feier. Der Regen, die in den kahlen Bäumen versammelten Krähen, die schlammigen Straßen und die düstere Kälte der Kirche – nichts konnte das Glück des jungen Paares trüben. Wenn sie sich ansahen, hing der Himmel voller Geigen. Ihre Herzen klopften den gleichen Takt und die Zukunft glänzte golden, überstrahlt von dem eigenen unfassbaren Glück.

      Soweit reichten Kitsch und Romantik und es war gut so.

      Als Sabine schwanger wurde, war das Glück für Viktor vollkommen. Bei Sabine konnte man Zweifel haben. Je voller ihr Bauch wurde, desto hagerer wurde ihr Gesicht. Wenn man genau hinschaute, sah man die strengen Gesichtszüge ihres Vaters hinter ihren Grübchen hervorschimmern. Sabine wirkte unzufrieden. Viktor verdoppelte seine Anstrengungen. Jetzt, da er für eine ganze Familie zu sorgen hatte, gab er das Geschäft mit den Kunstkalendern auf. Er hatte das Gefühl, er müsse ein ehrbarer Geschäftsmann werden. Jemand, dem man Respekt entgegenbrachte. Jemand, der sich den Respekt seiner Ehefrau verdiente. Sabine schien in letzter Zeit mit seinem Lebenswandel nicht mehr einverstanden zu sein. Sie beklagte sich darüber, dass Viktor wie ein Straßenköter an den Ecken stand und mit seinen Kunden die Köpfe zusammensteckte, wie es lichtscheues Gesindel tat. Jawohl, genau so drückte sie sich mit weinerlicher Stimme und um den geblähten Leib geschlossenen Armen aus.

      Natürlich hatte sie recht. Sie hatte nur zu Recht. Viktor suchte eine Anstellung und fand sie als Buchhalter in einer Briketthandlung. Zahlen waren Viktors Freunde. Er konnte gut mit ihnen umgehen und sie dankten es ihm damit, dass seine Berechnungen und Aufzeichnungen immer auf den Pfennig genau stimmten. Alles war gut. Alles, bis auf die Bezahlung. Sabine nörgelte. Sie wies mit aufgeworfenen Lippen und geschwollenen Händen auf die schäbige Ausstattung ihrer Wohnung. Die Vorhänge mussten erneuert wurden. Und die Tapeten. Oh Gott, diese Tapeten. Man konnte noch nicht einmal Bekannte einladen, ohne sich schämen zu müssen, klagte Sabine. Wenn sie klagte, erschienen keine Grübchen in ihren Wangen.

      Natürlich hatte sie recht. Viktor hätte erwidern können, dass sie keine Bekannten hatten, die man hätte einladen können. Er hätte darauf verweisen können, dass Sabine mit jedem Tag mehr von dem unleidlichen Naturell ihres Vaters an den Tag legte, der mit sichtbarer Genugtuung den Kummer seiner Tochter zur Kenntnis nahm. Viktor tat nichts dergleichen. Es kam ihm nicht in den Sinn, weil er verliebt war. Liebe

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