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Berücksichtigung des in dieser Arbeit zugrundeliegenden sozial-konstruktivistischen Lernverständnisses, sind Aufgaben stets Lerngelegenheiten, bei denen Lernende aktiv auf einer Tiefenstrukturebene zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Sachverhalt angeregt werden, sei es im Rahmen einer einfachen Übungsaufgabe oder durch ein komplexes Problem. Betrachtet man hingegen jegliche Lernaufforderungen, wie Fragen oder Anweisungen, bereits als eigentliche Aufgabe, geht man von einem instruktionistischem Lernverständnis aus. (Leuders 2014, S. 34) Während solche unterrichtlichen Handlungen wie Aufforderung, Anforderungen oder Fragen mehr den unterrichtlichen Oberflächenmerkmalen zugeordnet werden, beziehen sich Lernaufgaben auf die gewünschte Tiefenstruktur von Unterricht (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 21). Somit kann die in der Theorie kontrovers diskutierte Frage, ob jede unterrichtliche Handlung bereits als Aufgabe gilt, für den Rahmen dieser Arbeit verneint werden.

      Aufgaben werden in Lern- und Leistungsaufgaben unterteilt, wobei erstere für die vorliegende Arbeit relevant sind. Lernaufgaben, im Gegensatz zu Leistungs- oder Beurteilungsaufgaben, initiieren eigenständiges Lernen der Schüler*innen und regen durch inhaltsbezogene Problemstellungen oder andere Formen von Lernaufträgen die Auseinandersetzung mit einem spezifischen Unterrichtsinhalt an (Keller & Bender 2012, S. 8). Lernaufgaben unterstützen folglich den Kompetenzerwerb, Leistungs- oder Beurteilungsaufgaben hingegen zielen auf die Kompetenzüberprüfung ab. Diese Unterscheidung ist deshalb sinnvoll, weil Lern- und Prüfungssituationen unterschiedlichen Gesetzmässigkeiten folgen: Mittels vielfältigen Lernaufgaben wird den Lernenden ermöglicht in ein Thema einzutauchen, Zusammenhänge zu entdecken, Fragen zu stellen und Sachverhalte tief zu verstehen. Sie werden dabei von der Lehrperson begleitet und unterstützt. Fehler werden produktiv genutzt, um Unverstandenes zu erkennen und zu klären. In Beurteilungssituationen andererseits braucht es Aufgaben, die zu einer möglichst eindeutigen Lösung führen und die die Lernenden alleine sowie möglichst ohne Fehler bewältigen können. (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 40)

      Seit einigen Jahren ist in der Erziehungswissenschaft als auch in den Fachdidaktiken eine wissenschaftliche Akzentverschiebung in Richtung Lernaufgaben beobachtbar (Keller & Reintjes 2016, S. 15). Wie bereits im Kapitel 3.1 aufgezeigt, lässt sich deren Popularität zum einen mit der Idee einer konstruktivistischen Didaktik erklären (vgl. Diesbergen 2012, S. 46); zum anderen sind verschiedene bildungspolitische Entwicklungen dafür verantwortlich, dass Lernaufgaben in den letzten Jahren ein vielbeachtetes Thema geworden sind. Drei Kontexte, die insgeheim ineinandergreifen, werden in diesem Zusammenhang genannt. Der erste Kontext bezieht sich auf die internationalen Schulleistungsmessungen (z. B. PISA, TIMSS) und die in diesem Zusammenhang teils ernüchternden Resultate, welche zu einem Umdenken von Aufgabenformaten zwang. Der zweite Kontext umfasst die Einführung von Bildungsstandards, die teils als Reaktion auf die unerwarteten Resultate der internationalen Schulleistungsvergleiche entwickelt wurden. Sie beschreiben die zu erwerbenden Kompetenzen in Form von Basisstandards für bestimmte Klassenstufen und wurden 2011 von der EDK als nationale Bildungsziele in Kraft gesetzt. Sie ermöglichen einerseits auf nationaler Ebene Leistungsvergleiche durchzuführen, anderseits bilden sie gleichzeitig die Grundlage für die neue Generation der Lehrpläne (vgl. Grundansprüche im Lehrplan 21). Der dritte Kontext bildet diese neuen kompetenzorientierten Lehrpläne und die damit verbundene Output-Orientierung von Lehren und Lernen. Diese Akzentverschiebung verhalf ebenfalls dazu, dass Lernaufgaben in den letzten paar Jahren in der Wissenschaft als auch Unterrichtspraxis einen Aufschwung erlebten. In diesen Lehrplänen werden zwar keine eigentlichen Lernaufgaben vorgegeben, jedoch spielen sie bei der Operationalisierung der Kompetenzen eine zentrale Rolle, weil Lernaufgaben die «kleinste Einheit» von Kompetenzorientierung darstellen, die guten Unterricht ausmachen. (Criblez 2016, S. 28–32)

      Ob die Lernziele basierend auf den Kompetenzbeschreibungen aus dem Lehrplan erreicht worden sind, kann man nur über die Performanz prüfen. Damit ist die Art und Weise oder der Grad der Bewältigung gemeint, wie eine Anforderungssituation gemeistert wird. Die Performanz wiederum zeigt sich über das Lösen entsprechender Lernaufgaben, die Einblicke in die Vorstellungen, Erfahrungen und Dispositionen der Lernenden geben (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 34). Lernaufgaben mitsamt der daraus resultierenden Performanz ermöglichen demnach das Sichtbarmachen des Lernens, wie es Hattie in seinen Kernbotschaften verlangt. Damit meint er, dass Lernaufgaben allen Beteiligten wichtige Rückschlüsse über das Lernen und Lehren geben können, weil sie Erkenntnisse darüber liefern, was die Schüler*innen konstruieren, bereits verstehen oder noch missverstehen (Hattie 2015, S. 280–81). Gute Lernaufgaben sind facettenreich und decken meist mehrere Kompetenzniveaus ab. Zudem bieten sie nicht nur Lerngelegenheiten zum Aufbau von fachlichen, sondern auch von überfachlichen (d.h. sozialen, methodischen oder personalen) Kompetenzen (Reusser 2014a, S. 85). Zusammengefasst kann demnach festgehalten werden: «Aufgaben als Aufforderung zur gezielten Auseinandersetzung mit einem Inhalt sind als stoffinhaltliche Materialisierungen und prozessdidaktisch inszenierte Lerngelegenheiten der Dreh- und Angelpunkt eines kompetenzorientieren Unterrichts.» (Reusser 2014a, S. 80).

      Es gibt verschiedene Typen von Lernaufgaben, die innerhalb eines Lernprozesses unterschiedliche Funktionen wahrnehmen (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 41). Ausgehend der konstruktivistischen Lernvorstellung, ist der Aufbau von Wissen ein Prozess, der schüleraktiv erworben, aufgebaut und erfahrbar gemacht werden muss. Damit Kompetenzen aufgebaut werden können, braucht es kognitiv aktivierende Lernaufgaben sowie das Durchlaufen eines vollständigen Lernprozesses. Hans Aebli, auch er ein Vertreter des Konstruktivismus, bringt bereits in den 1980er Jahren den Grundgedanken des Unterrichts als Durchlaufen eines Lernzyklus in seinem PADUA-Modell zum Ausdruck. Das Akronym PADUA steht für Problem stellen, Aufbau, Durcharbeiten, Üben und Anwenden. Ziel des Unterrichts ist entlang der fünf Lernphasen Wissen in Form von anwendungsbeweglichen Operationen und Begriffen aufzubauen. Reusser bearbeitet 1999 dieses Modell weiter und braucht dafür das Akronym KAFKA, welches die folgenden Lerntätigkeiten beinhaltet: Kontakt herstellen, aufbauen, flexibilisieren, konsolidieren und anwenden. Er formuliert die Begrifflichkeiten konsequent aus Sicht der Lernenden und definiert den Einstieg in den Lernprozess offener (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 40–41). Unabhängig davon wie diese einzelnen Phasen genannt werden, wichtig ist, dass es für die Kompetenzentwicklung funktional verschiedene Aufgabenstellungen oder -typen zum Beispiel im Sinne von Einstiegs-, Vertiefungs- Übungs- und Anwendungsaufgaben braucht (Reusser 2014a, S. 92–94; Leisen 2010, S. 64). Wilhelm und Kolleg*innen (2014, S. 1) verfeinern diese Aufgabentypisierung weiter und geben ihrem Modell den Namen LUKAS. LUKAS steht für «das in LUzern entwickelte Modell zur Entwicklung Kompetenzfördernder Aufgaben-Sets» (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 38). Ein Aufgabenset beschreibt eine Lerneinheit und besteht aus zwei oder mehreren Lernaufgaben, die sich in der Regel auf einen bestimmten gemeinsamen Fachinhalt beziehen und von den Lernenden nacheinander bearbeitet werden (Astleitner 2006, S. 18).

      Die Autor*innen des LUKAS-Modells betonen, dass dem Lernprozess kein lineares Verständnis von Kompetenzentwicklung zugrunde liegt, sondern die verschiedenen Typen von Lernaufgaben dynamisch und individuell in ein lernwirksames Zusammenspiel gebracht werden müssen. Es müssen dabei für eine Lerneinheit nicht immer alle Aufgabentypen berücksichtigt werden, sondern jene ausgewählt oder entwickelt werden, die für den geplanten Kompetenzaufbau von Wichtigkeit sind (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 41–42; Luthiger et al. 2014, S. 58). Die nachfolgende Gegenüberstellung dieser drei Lernprozessmodelle (vgl. Abbildung 7) verdeutlicht nochmals, dass Lernaufgaben zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Unterricht verschiedene Funktionen einzunehmen müssen, um den Kompetenzerwerb ganzheitlich zu ermöglichen.

Vollständiger Lernzyklus PADUA (Aebli, 1997) Lerntätigkeiten KAFKA (Reusser, 1999) Aufgabentypen LUKAS-Modell (Wilhelm et al. 2014)
P Problem stellen K Kontakt herstellen Konfrontationsaufgaben

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