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ka kinzn, trink di milech.«

      Es hatte keinen Sinn, ich musste trinken.

      Opa: »Wen du wirst nischt sain lib, wird kimen der gubenuar.«

      Ich aß brav auf und wir machten uns auf dem Weg zum schuk. Opa lief schnell, marschierte mehr, als dass er ging. Er fiel in einen Lauftrab. Er ließ meine Hand nicht los und zerquetschte sie fast mit seiner Stärke. Wenn ich zu langsam ging, sagte er: »Chipke, chipke!« Oder er brüllte so laut »Achtung«, dass alle sich nach uns umdrehten.

      Wir liefen die Ben-Yehuda-Straße runter und gingen an meinem Lieblingsladen mit den Hundebabys vorbei. Ich sagte: »Opa, warte, vielleicht ist hier das Einhorn drin.«

      Opa: »A einhorn?«

      Ich: »Opa, di host gesugt, me wern sichn dus letzte einhorn.«

      Opa: »Dus einhorn wird san oifm schuk.«

      Ich: »Wus soll an einhorn oifm schuk?«

      Opa: »Wus wilst di oifm schuk?«

      Ich: »Gur nischt, di wilst gain oifm schuk.«

      Opa: »Channele, di weist, wus is a polizei?«

      Ich: »Jo, Opa.«

      Opa: »Wen di wirst mich fraign noch a mul weign deim einhorn, wer ich riefn di polizei. Sei werdn dich abhoiln.«

      Ich schwieg, bis wir auf dem Markt angekommen waren. Dort angekommen, veränderte Opa seine Haltung. Er spannte seine Muskeln an und hielt Ausschau. Er zerrte mich vorbei an den würzigen Gemüseständen auf den Teil des Marktes, wo es frische Hühner gab. Es stank schrecklich nach Fleisch und Blut. Opa ließ sich viel Zeit beim Aussuchen des Vogels. Die Hühner wurden bei lebendigem Leibe gerupft und ich konnte nicht hinsehen, wie sie kämpften und schrien.

      Wenn Kinder keine Vegetarier oder Green-Peace-Anhänger werden sollen, dann wäre es empfehlenswert, solche Situationen in früher Kindheit zu vermeiden.

      Opa kaufte ein Tier, wobei er den Verkäufer mit dem Preis auf ein Minimum drückte. Dann ging es zum Gemüse. Opa führte mich im Nacken oder an der Schulter vor sich her. Er suchte sich den Stand mit dem meisten Betrieb aus. Ich mochte diesen Griff nicht, aber wenn ich nicht gehorchte, drohte er mir mit der Faust, so dass ich es vorzog, vor ihm herzulaufen. Dabei fürchtete ich mich nie vor Opa, er hätte mich nie geschlagen, aber er wollte sich einfach nicht mit meinen kindlichen Wünschen auseinandersetzen. Opas Leben war auf das Essenzielle, Notwendigste reduziert. Geld verdienen und essen. Für mehr reichte die Kraft nicht mehr. Für Erklärungen an ein vierjähriges Mädchen schon gar nicht.

      Er signalisierte mir, dass er nun einen wichtigen Auftrag erfüllen müsse, bei dem ich ihn nicht stören dürfe, sondern ihm behilflich sein solle. Sorgfältig suchte er das Obst und Gemüse aus. Er steckte mir Zitronen, Aprikosen und Kräuter in die Hosentaschen. Bei der Kasse angekommen, setzte er mich auf seinen Trolli, der bereits voll mit Essen war. Er bezahlte die Tüten, die er in der Hand hatte. »Opa, wir misn dus auchet bezuln.«

      Er drohte mir erneut und fragte: »Sol ich rifn di polizei?«

      Ich hielt den Mund und so zogen wir von Stand zu Stand. Auf dem Rückweg besserte sich Opas Laune. Er war höchst zufrieden mit seiner Beute und wurde nun richtig zugänglich und zärtlich. Er sagte: »Ietzt wern me kochn a gite joiech.«

      Über die Jahre wurde ich eine perfekte Diebin. Opas Gefühl, einen rechtmäßigen Anspruch auf Essen zu haben, übertrug sich auf mich. Opa hatte kein Unrechtsbewusstsein. Auschwitz war nun mal keine Besserungsanstalt – manche meinen das ja. Man hatte ihm so vieles genommen, was waren da schon ein paar Bananen und Äpfel? Ich klaute nicht oft, aber wenn es an etwas fehlte, nahm ich es mir einfach. Vorwiegend klaute ich Schminke. Ich war jetzt zwölf, aber bekam kein Taschengeld, weshalb ich mir nichts Eigenes leisten konnte. Mama um Geld für Schminke zu bitten, hätte ich mich nie getraut. Ich bin mit Kindern von Millionären aufgewachsen – und obwohl ich mir nicht viel aus Geld machte, wollte ich bei manchen Punkten einfach mithalten können. Also organisierte ich mir die Produkte, die mir fehlten. Ein schlechtes Gewissen hatte ich dabei nicht.

      Opa sagte dazu: »Gik no der potz hat a soi fiel wus kratz jenem wenn ich nehm a bissele. Shat nischt.« Wäre ich nach einer langen Erfolgssträhne nicht erwischt worden, weiß ich nicht, ob ich jemals aufgehört hätte zu stehlen. Opa klaute wenigstens nur Essen. Ich stahl oberflächliche Mädchensachen und so piepste es, als ich aus dem Laden ging. Da ich unschuldig aussah, traute ich mich, dem Ladenbesitzer eine Lüge nach der anderen aufzutischen. Dass ich die Produkte in einer anderen Filiale gekauft hätte, sie sollten doch dort die Kassenrolle kontrollieren. Ich stritt alles ab, ich konnte mich nicht mit meiner Rolle als Diebin identifizieren. Schließlich musste Mama kommen. Sie fragte mich, ob ich die Sachen geklaut hätte, und ich bejahte. Da ich unter 14 war, drohte mir zum Glück keine Strafe. Ich dachte, ich würde ein Donnerwetter von Mama zu hören bekommen. Mir war alles unwichtig, nur Mama wollte ich auf keinen Fall enttäuschen.

      Sie aber blieb seelenruhig und fragte, wieso ich das getan hatte. Ich sagte ihr, dass ich kein Geld hätte und dass ich Beautyprodukte liebte. Mama sagte, wenn ich ihr verspreche, dass dies nie wieder vorkomme, sei alles in Ordnung. Dann gingen wir das erste Mal seit Papas Tod zu zweit ein Eis essen. In wirklich wesentlichen Situationen reagiert sie wie ein Engel.

      Ich war unglaublich erleichtert über Mamas Reaktion. Ich schwor mir selbst, nie wieder so etwas zu tun und habe seit damals nie mehr etwas organisiert.

      OPA UND DIE SCHOKOLADE

      Anna ist die Pflegerin meines Opas. Sie soll sich um den Haushalt kümmern. Sie putzt nicht gerne, sie kocht auch nicht gerne. Dafür geht sie gerne mit Opa zu LH. LH ist der HL auf der Bergerstraße. In hebräischen Gebetsbüchern liest man von rechts nach links und nicht von links nach rechts. Deswegen heißt der HL für Opa LH.

      Bei LH gibt es keine Kamera. Das wissen Anna und Opa. Anna ist sehr breit und zieht sich ein Kleid mit vielen Taschen an. In die Taschen steckt sie zur Hälfte Wurst und in die andere Hälfte muss sie für Opa was einstecken, sonst darf sie nicht mehr mit ihm zu LH.

      Ach ja, Lesen und Schreiben. Wenn Mama Opa einen Antrag oder einen Vertrag unterzeichnen ließ, schrieb Opa die Buchstaben einzeln auf und verband sie hinterher zu einem ganzen Wort. Dann schaute er mich zufrieden an und fragte voller Stolz: »Soll ich nuch epes schraibn

      Irgendwann fragte ich ihn: »Opa, bist di nischt gewein in a schul

      »Awade bin ich gewein in a schul.«

      »Wi lang?«, fragte ich.

      »Ich weis? Bastimt a ganz jur. Bis ich bin gewein sibn

      »Far wus bist di nischt geblibn lenger

      »Es is gekimen emezn hot geschlugn ma brider. Denuchtem hob ich im gegeibn a trenn in dreid. Dus is gewein der sin von deim direktor. Denuchtem wolt ich nischt mer gain.«

      »Un dein brider

      »Meir, is gegangen

      »Wus host di gemacht

      »Ich hob gehandlt

      »Mit wus

      »Oi, Channele, mit alem, wus is du gewein

      »Mit wus

      »A mul mit epeln, a mul mit eiern

      »Fin wanet host di gehobt die sachn

      »Fin dem hoif fin meine eltern

      »Wen ich hob gemacht a gitn toisch, a git gescheft, hob ich bakumen a bisl gelt. Fin dem hob ich gekent koifn nuch a hin oder a kose

      »Kim, Chanischi, ich werd dir epes geiben.« Ich wusste, was jetzt folgte. Opa und Anna führten mich stolz in Opas Schlafzimmer. Er holte seinen Schlüssel zum Kleiderschrank raus, den er immer verschlossen hielt.

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