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Ordnung, schonkheit

      Als ich nach einigen Minuten wieder bei mir war, lachte Mama. »Was ist so witzig?«, fragte ich.

      »Nichts. Du hast wahrscheinlich zu viel Sonne abbekommen. Du bist sehr empfindlich. So wie Papi.« Ich fragte mich, ob ich wirklich so empfindlich war.

      Später bekam Mama, als sie gerade die Wohnung putzte, einen Magenkrampf. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Zum Glück kannten wir genügend Ärzte in Tel Aviv.

      Einer ihrer ehemaligen Studienfreunde untersuchte Mami. Sie hatte ein Myom und musste noch am gleichen Tag notoperiert werden. Zoé und mich wollte sie im Krankenhaus nicht dabei haben. Ich fühlte mich erschlagen und einsam.

      Abends ging ich mit einer Freundin, die seit dem Golfkrieg in Tel Aviv wohnte, etwas trinken. Danny, mein nach England verzogener Schulfreund, ging auch mit. Wir fuhren nach Yaffa.

      Yaffa ist das alte Tel Aviv – eine uralte Hafenstadt mit arabischem Flair. Die kleine Stadt ist berühmt für ihren biblischen Bezug zum Propheten Jona. Jona kommt im Judentum, im Koran und in der Bibel vor. Als Kind mochte ich die Geschichte sehr. Dass ein Wal Jona verschluckt und auf G ttesbefehl wieder ausgespuckt haben soll, fand ich faszinierend. Ich stellte mir vor, dass der »Jonawal« vor Yaffas Küste im Meer wohnte.

      Ich war froh, mit meinen Freunden nach Yaffa fahren zu können. Meistens machten wir dort einen Abstecher zu Abulafia, einem berühmten arabischen Stehrestaurant mit köstlichen Backwaren und anderen Spezialitäten. Dieses Mal fuhren wir zu einem Lokal, in dem es Malaauch (eine Art arabisches Pizzabrot) mit frischen Tomaten gab.

      Das Restaurant lag in einer alten malerischen Gasse direkt am Hafen. Wir saßen auf dem Boden und bestellten eine Wasserpfeife mit Apfelgeschmack, die wir im Kreis rumgehen ließen. Meine Hauptbeschäftigung an diesem Abend bestand darin, einen Rauchring durch den anderen durchfliegen zu lassen. Ich konnte wunderschöne Rauchringe blasen. Fast so schön wie die der unschuldigen blauen Raupe bei Alice im Wunderland.

      Ich fühlte mich gut, weil Danny neben mir saß. Danny hatte einen siebten Sinn für meine Familiendramen. Er fragte mich aber nie danach und ich war ihm dankbar dafür. Nily, meine Freundin, hatte ihren Freund und noch ein paar Jungs mitgenommen. Einer fixierte mich unentwegt und bald schon wirkte seine Aufmerksamkeit wie ein warmer Mantel auf mich.

      Es war nicht er persönlich – er war nur ein Symbol dafür, dass es vielleicht irgendwann gut werden könnte in meinem Leben. Vielleicht könnte ich hier zur Schule gehen. Wir unterhielten uns eine Weile. Danach gingen wir am Strand spazieren. Diese Clique junger Menschen nahm alles leicht und unbeschwert und ich wollte unbedingt ein Teil davon sein.

      »Why are you living in Germany?«, fragte mich der Junge.

      »Why are you living here?«, fragte ich verärgert. Ich wusste, er würde gleich auf Nazideutschland anspielen. Ich kann nun mal nichts dafür, dass meine Großeltern und Eltern sich für Deutschland entschieden haben.

      »Because my grandparents obviously didn’t want to live in Nazigermany after the war.«

      Aus ihm sprach der ganze Stolz, es in unser Land geschafft zu haben. In einigen Jahren würde er in die Zawa (die israelische Armee) gehen. Ganz bestimmt wollte ich mich heute Abend nicht dafür rechtfertigen, warum ich ein so unreflektiertes Leben in Deutschland führte.

      »Mazal tov«, sagte ich und ging auf die Toilette. Als ich zurückkam, sagte er: »Sorry, lets start new. Do you want to meet my grandma?«

      Was für ein Tempo, dachte ich irritiert. Ich schaute ihn etwas ratlos an.

      »No«, sagte er hastig, »I mean she would love to meet someone jewish from Germany. She speaks jiddisch and she misses her old European world.«

      Das klang schon etwas authentischer, etwas zerrissener, etwas vertrauter – wie konnte ich dazu nein sagen. »Sure«, sagte ich. Wir gingen am Strand spazieren.

      Als er mich zu küssen versuchte, schreckte ich verärgert zurück. Trotzdem ging ich glücklich nach Hause, mit dem Gefühl, für irgendjemanden auf dieser Welt eine Bedeutung zu haben.

      In den nächsten Tagen erhielt ich Blumen, sehr liebe Nachrichten an der Hotellobby und eine Einladung, am Nachmittag mit ihm zu einem Baseballspiel zu gehen. Ich nahm die Einladung an und hoffte, nicht wieder einen Kuss abwehren zu müssen. Ich wollte mich ganz einfach gut fühlen, ohne etwas geben zu müssen. Ich wollte abgelenkt sein.

      Die nächsten Wochen verbrachten wir viel Zeit miteinander. Ich ging gerne zu seiner Oma, die mit mir Jiddisch sprach. Sie machte Rogalach, ein jüdisches Gebäck, für uns.

      Seine Oma machte mir zu schaffen. Die grüne Nummer auf ihrem Arm war kürzer als die von Opa. Hieß das, sie war länger in Auschwitz gewesen, viel länger als Opa? Sie war jung für eine Oma. Wenn sie es nach Israel geschafft hatte, musste ich mich dann nicht doppelt anstrengen, hierher zu ziehen? Alle Leute hier passten so gut zu mir, Israel passte so gut zu mir, alles war so vertraut, schwer, melancholisch und zerbrechlich.

      Die wenigen Schwarzweißfotos an der Wand, die an die toten Angehörigen erinnerten, der Dillgeruch, der sich mit dem Geruch der Hühnersuppe vermischte, sogar die urdeutsche Wanduhr gab es bei uns und bei ihnen. Und natürlich die Teegläser, die alle jüdischen Großeltern besitzen.

      Als mich meine beste Freundin aus Frankfurt anrief, fragte sie, was es Neues gäbe. Ich erzählte ihr von dem Jungen.

      »Ist er dein Freund?«

      »Ich denke schon«, sagte ich.

      »Aber du hast schon einen zu Hause!«, erinnerte sie mich wütend.

      Ich dachte an meinen Opa, der auch für jede Situation eine andere Frau hatte. »Manche können mehr haben«, sagte ich verärgert darüber, dass sie so kleinlich war. »Er ist eben nicht hier«, entgegnete ich und hängte auf.

      TEL AVIV MIT DEN MÄDELS

      Oma war schon lange nicht mehr da. Ich war das erste Mal alleine in Tel Aviv. Ich war sechzehn und dauernd in den Straßen unterwegs. Tel Aviv im Sommer ist der Treffpunkt aller europäischen Juden. Am Gordon Beach tummeln sich tagsüber Jugendliche aus verschiedensten Städten. Die Atmosphäre ist einzigartig. Die deutschen Jugendlichen kennen sich größtenteils von den Jugendfreizeiten der Zentralen Wohlfahrtstelle. An den Strandabschnitten wird Französisch, Englisch, Holländisch gesprochen. Es ist ein kunterbunter Mix.

      Ich habe es geliebt, in der Wohnung meiner Großeltern frei und unabhängig von anderen wohnen zu können. Gleichzeitig ist man nie alleine, wenn man das nicht will, weil überall jemand ist, den man kennt. Meine beiden engsten Freundinnen waren auch in Israel, wohnten aber etwas außerhalb in Ramat Gan in der Wohnung ihrer Oma. Meistens verabredeten wir uns für vormittags am Strand, teilten uns zu dritt zwei Liegen, quatschten und lasen den ganzen Tag. Abends ließen wir uns durch das junge Tel Aviv treiben, redeten mit wildfremden Menschen oder schlossen uns den restlichen Frankfurtern an, um tanzen zu gehen.

      Eines Nachmittags am Strand lernte eine meiner Freundinnen einen Soldaten kennen. Sie war so hin und weg von ihm, dass sie uns nicht darüber informierte wohin sie sich mit ihm verkrümelte. Sie war schon über drei Stunden verschwunden, als es langsam dämmerte und es Zeit wurde, nach Hause zu gehen. Weit und breit keine Spur von ihr. Langsam wurden wir unruhig und machten uns Sorgen. Wir machten uns Vorwürfe, dass wir unsere Freundin nicht besser im Auge behalten hatten. Wer weiß, mit wem sie unterwegs war. Uns fiel nichts Besseres ein, als auf das Holzhaus der Küstenwache, die an Baywatch erinnerte, hochzusteigen, um unsere Freundin per Lautsprecher am Strand ausrufen zu lassen.

      Der Rettungsschwimmer unseres Strandabschnittes lachte ausgiebig über unsere Sorge, rief unsere Freundin dann trotzdem aus.

      Ihr Name ertönte am ganzen Strand durch die veralteten rauschenden Sprechanlagen. Einige Minuten später kam unsere Freundin wütend durch den Strand gestapft: »Sagt mal, seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Habt ihr nichts Besseres zu tun, als mich zu blamieren?«

      Als sie sich beruhigt hatte, mussten wir lachen. Ich schlug vor, dass sie sich bei mir für

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