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Anteile können sich auf eine Position einigen. Im anderen Fall erzeugt der Kopf einen steten Strom immer wieder ähnlicher Gedanken. Er kann damit nicht mehr aufhören und verliert zunehmend das, was er so dringend sucht: Sicherheit.

      Am anderen Pol können einem die eigenen Fühl-, Denk- und Verhaltensprogramme (Ciompi 1997) eine Orientierung suggerieren, die scheinbar keiner weiteren Überlegungen bedarf. So kann auch das Vermeiden von Vorstellungen das Kernbedürfnis Sicherheit beeinträchtigen.

      Das Kopfzentrum kann nur dann gut ausbalanciert arbeiten, wenn es die beiden anderen Zentren mit in der Wahrnehmung hat. Steuerungsfähigkeit entsteht hier, wenn man Handlungsimpulse und Gefühle ernst nimmt und die eigene Begrenztheit immer im Blick hat.

       1.2.3Bauch – Autonomie

      Im Bauchzentrum geht es um Grenzen, Abstand wahren, seinen Platz einnehmen, zusammengefasst: um Raum, mithin Handlungsspielraum. Mit diesem Begriff ist all das ausgedrückt, was »Autonomie« meint. Denn Handlungsspielraum braucht es, um sinnvolle Entscheidungen treffen zu können. Naturgemäß ist das Kernbedürfnis Autonomie dem Verstand und dem Bewusstsein nicht immer direkt zugänglich.

      Um eine Ahnung davon zu bekommen, stelle man sich einen überfüllten Bus oder Zug vor: Viele Menschen fühlen sich in einer solchen Situation eingeengt und manche berichten, dass sie ungeachtet der Luftqualität kaum atmen können, es wird also nicht nur eng im Außen, sondern der eingeschränkte Handlungsspielraum erzeugt auch Enge im Körper. Das erleben diese Menschen als reale Bedrohung ihrer Autonomie.

      Wenn man von einer reinen Bauchentscheidung spricht, die man getroffen habe, meint man damit lediglich, dass es für diese Entscheidung keine wirkliche (bewusste) Begründung gab. Wenn es gut ausgeht, dann hat der Bauch »instinktiv richtig« gehandelt. Wenn es nicht so gut ausgeht, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Bauch ignoriert hat, was das Herz fühlte und was der Kopf dachte. Handlung entsteht durch spontane Impulse und diese kommen aus dem Bauchzentrum. Noch für die überlegteste und abgewogenste Handlung, wie und wo auch immer sie vorbereitet und beeinflusst wird, braucht es am Ende einen Entscheidungsimpuls. Wenn man versucht, Handlungen im Herz- oder Kopfzentrum zu generieren, gerät man unweigerlich ins Stocken.

       Die Bauchpole: Gelähmte versus unkontrollierte Impulse

      Wenn Spontaneität verloren geht, erscheint es einem nicht mehr möglich, eine autonome Entscheidung zu fällen. Manchmal wird man von sich selbst überrascht, wenn dann doch die schon erwähnte reine Bauchentscheidung greift. Aber meist übernimmt entweder der Kopf und rattert unentwegt auf der Suche nach Sicherheit oder das Herz, indem es auf parafunktionalen Gefühlen (Bohne 2010a) beharrt, oder gleich beide zusammen. Die sich im Bauch weiterhin anbahnenden Impulse werden nun als zu risikoreich eingeschätzt mit der Folge, dass sie entwertet oder zumindest rationalisiert werden. So haben sie nicht mehr genügend Raum, die Autonomie geht verloren und sie erlahmen. Dies kann punktuell vorkommen, so wie zum Beispiel fast jedem das Phänomen Prokrastination (Aufschieberitis) bekannt ist. Doch Menschen, die dauerhaft unter gelähmten Impulsen leiden, werden von sich selbst und ihrer Umwelt als zäh und langwierig empfunden. Sie sind keine guten Entscheidungsträger, denn es dauert einfach zu lange, bis sie zu einem fassbaren Ergebnis kommen. Das Kernbedürfnis Autonomie steht nur begrenzt als Ressource zur Verfügung.

      Das Bauchzentrum agiert jedoch von Natur aus unwillkürlich und schnell. Manchmal so schnell, dass ein Impuls sich der Kontrolle entzieht, und damit befindet man sich am anderen Pol. Jeder kann dort mal hingeraten, z. B. wenn er jemanden ungewollt anschreit. Sehr impulsive Menschen bewegen sich häufiger in die Richtung dieses Pols und werden von daher als relativ unberechenbar erlebt.

      Mangelhafte Impulskontrolle kann aber auch das Gegenteil von Autonomie erzeugen: Wer nicht an sich halten kann und dem Chef unverblümt »die Meinung geigt«, dem kann fristlos gekündigt werden. Was sich im ersten Moment vielleicht wie ein Befreiungsschlag anfühlt, endet womöglich in einer nur noch größeren Abhängigkeit, sei es der des Arbeitsmarktes oder von der Agentur für Arbeit. Oder er findet sich auf einer neuen Arbeitsstelle wieder, bei der er sich noch weit mehr unterordnen muss als vorher. Womöglich, weil er sich abermals impulsiv entschieden hat, ohne die anderen beiden Zentren ausreichend mit einzubeziehen.

      Das Bauchzentrum kann nur dann gut ausbalanciert arbeiten, wenn es auch den beiden anderen Zentren Raum zugesteht und von deren ganz eigener Kompetenz profitieren kann. Steuerungsfähigkeit entsteht hier, wenn es ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Kooperation und kognitiver Leistung gibt.

       1.2.4Die Kernbedürfnisse als intrinsische Motivation

      Ich betrachte die Kernbedürfnisse als intrinsische Motivatoren. Sie können mangelhaft repräsentiert sein, aber sie entstehen nicht aus einem Mangel heraus, sondern sind ursprüngliche Kräfte, die uns unwillkürlich mehr oder minder unbewusst antreiben. In uns allen ist ein autonomes Selbst angelegt. Wir alle leben in Beziehung mit anderen. Wir alle brauchen Orientierung und Sicherheit. So gesehen sind die Kernbedürfnisse die drei Quellen, aus denen sich der strukturelle Raum der Psyche bildet und zugleich gespeist wird.

      Die folgenden Beispiele sollen veranschaulichen, wie die Kernbedürfnisse im alltäglichen Miteinander andauernd vorhanden sind. Es kann spannend und aufschlussreich sein, sich ihre ständigen Wechselwirkungen auch bewusst zu erschließen.

      (Im Folgenden: A = Autonomie, B = Beziehung, S = Sicherheit)

       a) Peter und Petra treffen sich

      Peter und Petra sind alte Schulfreunde. Sie haben sich lange nicht gesehen und sind am Bahnhof verabredet. Petra kommt mit dem Zug, er wartet in der Eingangshalle. Petra sieht ihn und geht noch »ganz schnell« zur Abfahrtstafel, um zu schauen, wann der letzte Zug zurückfährt (S). Peter ist irritiert, dass sie ihn nicht zuerst begrüßt (B). Als sie auf ihn zukommt, meint er etwas schnippisch: »Du kannst es wohl nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen«, er ist – wenn auch leicht – verletzt (B). Bei Petra entsteht Unsicherheit und sie fragt sich, warum Peter so »komisch« sei (S+B), trotzdem will sie ihn umarmen (B). Peter ist dabei etwas reserviert, für ihn ist ihr Verhalten jetzt etwas zu aufdringlich (A). Petra denkt: »Hat der sich aber verändert seit dem letzten Mal!« (Projektion: Sie möchte sich auskennen [S]). Sie weiß nicht recht, wie sie jetzt reagieren soll (A+S+B).

      Es ist vorstellbar, dass diese klitzekleine Anfangssequenz Folgen für die weitere Beziehung hat, weil beide nicht wissen, was genau passiert ist.

       b) Im Seminar

      Genau diese Geschichte erzähle ich in einem Seminar. Kurz darauf ist Pause und eine Teilnehmerin kommt auf mich zu, während ich gerade dabei bin, am Laptop die nächsten Folien zu überprüfen (S). Während sie mich anspricht, schaue ich auf die Leinwand, worauf sie sagt: »Ich sehe schon, dass interessiert dich nicht« (B). Ich schaue zu ihr und sage: »Ich habe nur noch eine Folie gesucht« (S), aber da ist sie schon weg (A). Jetzt bin ich genervt: »Sieht die denn nicht, was ich gerade tue?! (B) Soll ich sofort parat stehen?!« (A). Ich gehe ihr nach und wir können im klärenden Gespräch über unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen lachen (B+S).

       c) Wohnungsfinanzierung

      Vor einiger Zeit habe ich zwecks einer Wohnungsfinanzierung ein Darlehen aufgenommen. Seither habe ich eine Lieblingsbank: Von Anfang an kann man entsprechend dem eigenen Bedarf das jeweils auftretende Kernbedürfnis stillen.

      Autonomie:

      Die Identitätsprüfung erfolgt via Skype, für mich entspricht das meinem Bedürfnis nach Handlungsspielraum, weil ich nicht auf der Post anstehen muss für die Ausweiskontrolle. Technisch gibt es ausreichend Möglichkeiten, Dokumente zu scannen und hochzuladen, ich kann also jederzeit das Nötige selbst tun.

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