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Kuba. In Havanna.“

      „Wenn du dich auskennst …“, unwillkürlich senkt Luise ihre Stimme, „vielleicht kannst du mir helfen.“

      „Worum geht es denn?“ Anna wirkt skeptisch.

      „Ich möchte einen Brief in die Heimat schicken.“

      „Wozu das denn? Du bist doch gerade erst fort. Schreib den Eltern lieber eine Nachricht, wenn wir in Amerika angekommen sind.“

      „Nicht an die Eltern. An meine Schwester, die Dora. Ich habe ihr nicht Lebwohl sagen können.“

      „Also, wenn es unbedingt sein muss“, gibt Anna etwas gelangweilt zurück, „du brauchst einen Stift, ein Blatt Papier und einen Umschlag. Das konntest du dir ja wohl denken. Wenn du einen Brief abschicken willst, musst du im Postamt dafür bezahlen, ich weiß nicht genau wie viel. Frag einfach dort … es ist nicht weit von hier. Wenn Schneider dich nochmal raus lässt.“

      „Ich weiß nicht“, zögert Luise, „soll ich ihn darum bitten?“

      „Besser nicht“, antwortet Anna mitleidlos.

      „Ich würde den Brief an den Lehrer schicken“, überlegt Luise weiter, „dann bemerkt der Vater ihn nicht. Schulmeister Faber hilft mir bestimmt und gibt ihn der Dora.“

      „Ach der“, schnaubt Anna verächtlich.

      Beklommen lenkt Luise das Gespräch in eine andere Richtung.

      „Du warst auf Kuba?“, fragt sie scheu, „ist das weit weg?“

      „So ähnlich wie Amerika. Als ich von daheim fort bin, waren die Bäume schon fast kahl. Zu Weihnachten sind wir auf Kuba angekommen.“

      „Hat es dir dort gefallen?“

      „Und wie! Es ist das ganze Jahr über Sommer. Überall wachsen Palmen, und es gibt breite Straßen und prachtvolle Paläste. Wie ich es mir in Paris vorstelle.“

      „Du warst als Tanzmädchen vermietet?“, Luise zögert, „ist der Dienst schwer?“

      Anna kichert. „Dienst? So kann man es auch nennen. Es ist eine verkehrte Welt: Sechs Mal in der Woche ist Feiertag. Du musst dich nur putzen und zum Tanz gehen.“

      Luise zieht das Wolltuch etwas fester um ihre Schultern und reibt ihre Arme. Sie war erst einmal in ihrem Leben auf einem Tanzvergnügen, mit der Mutter in Ober-Mörlen. Es war scheußlich. Den ganzen Nachmittag saß sie in dem halbleeren, riesigen Saal und wartete darauf, dass sie ein Bursche auf die Tanzfläche führte. Aber nichts dergleichen geschah. Es waren fast nur Mädchen gekommen.

      „Wo hast du die Schritte und Drehungen gelernt? Hat es dir jemand beigebracht?“, fragt sie.

      „Darauf kommt es nicht an. Die Männer bezahlen dafür, dass sie uns anfassen und mit sich herumschwenken dürfen.“

      „Sind auch Neger dabei?“

      „Niemals!“, antwortet Anna empört, „alle Schwarzen sind Sklaven. Sie dürfen in die Tanzlokale gar nicht hinein.“

      „Und die weißen Männer? Trinken sie viel?“

      „Klar. Alle. Bier, und natürlich Rum.“

      „Hast du davon gekostet?“

      „Erst denkst du, das Zeug verbrennt dir die Kehle, aber dann schmeckt es ganz gut. Es heißt, sie machen auf Kuba den besten Rum der Welt.“

      „Und wenn die Männer betrunken sind? Werden sie grob?“

      Anna antwortet nicht sofort.

      „Sag es!“, drängt Luise.

      „Wenn es dir nicht gefällt, wie einer dich anpackt, kannst du dem Wirt Bescheid geben. Kannst aber auch einen Peso extra nehmen und in dein Strumpfband stecken.“

      Aus der Dunkelheit meldet sich Tesi mit einer kläglichen Stimme:

      „Könnt ihr still sein? Ich mag jetzt schlafen!“

      „Ist schon gut!“, sagt Anna mütterlich, „morgen erlebst du was Schönes!“ Im Bett rückt sie gnädig eine Handbreit beiseite, um Luise Platz zu machen.

      Vor den Augen der anderen Mädchen mag sie den Abendsegen nicht sprechen. Mit dem Rücken zu Anna legt sich Luise an den äußersten Rand des Lagers und zieht ihre Knie so weit zu sich heran, dass sie über den Bettkasten hinausragen.

      Schon am Mittag hat sie den ziehenden Schmerz im Bauch bemerkt, und jetzt wird es immer schlimmer. Sie presst ihre Lippen aufeinander, damit Anna und Tesi sie nicht stöhnen hören.

      Verstohlen schiebt sie ihr Hemd hoch, legt einen Finger zwischen die Beine und schnuppert daran: Es riecht nach Eisen. Bald wird das Blut in Schwällen aus ihr herausströmen, das Laken verschmutzen und zu braunen Bröckchen in ihrem Hemd gerinnen.

      Leise richtet sie sich noch einmal auf, greift nach ihrem Bündel, kramt die Tücher heraus, die sie von der Mutter bekommen hat, und legt sie sich zwischen die Beine.

      Klumpig und hart wird der Stoff werden und tagsüber bei jedem Schritt ihre Oberschenkel aufscheuern. Doch was soll sie machen? Sie kann nicht wie die Mägde einfach ohne Unterzeug laufen und sich breitbeinig hinstellen, damit alles aus ihr herausläuft.

      Tränen laufen ihr über das Gesicht. Sie hat so gehofft, dass diese rotbraune Schweinerei endlich aufhört, wenn sie erst aus Langenhain fort ist.

       Viertes Kapitel

      Was könnte Luise ihrer kleinen Schwester später von der Überfahrt nach Amerika erzählen? Von einer Schiffspassage, die anfangs vor allem aus Warten bestand und später aus noch Schlimmerem?

      Zum versprochenen Einkaufsausflug zum Jungfernstieg kam es nie. Nach langen Tagen in ihrer Herberge gingen sie in Hamburg endlich an Bord eines Dampfers nach England.

      Es nieselt, als sie im Hafen in den Schiffsbauch hinuntersteigen, und bei ihrer Ankunft in Kingston upon Hull regnet es immer noch. Von der endlosen grauen Wasserfläche, die sie auf der Harlequin überqueren, sieht Luise nicht viel.

      Nur Schneider darf in Hull von Bord und in die Stadt gehen. Margarethe und die Mädchen müssen auf dem Schiff bleiben und eine weitere Nacht in ihren engen und unbequemen Kojen verbringen. Erst am nächsten Vormittag werden sie über einen wackeligen Steg an Land und sofort zu einem Bahnhof geführt. Dort wartet schon der Zug nach Liverpool.

      Schneider hat für seine Reisegruppe Passagen auf der City of New York erworben. Während der Eisenbahnfahrt hört Margarethe nicht auf, lauthals damit zu prahlen: „Wir reisen mit einem hochmodernen Dampfsegler, der extra für Übersee-Passagiere gebaut wurde! In nur zwei Wochen können wir in Amerika sein!“ Alle wissen, dass die ausgedienten Frachtsegler, die neuerdings als Auswandererschiffe dienen, mehr als doppelt so lange brauchen.

      Im Hafen von Liverpool bahnt ihnen ein Agent den Weg durch eine beängstigende Menschenmenge zur City of New York. Das prachtvolle, neue Schiff ist in den oberen Etagen verschwenderisch mit eleganten Deckskabinen, Salons und Speisesälen ausgestattet. Doch diese sind allein für die feinen Herrschaften bestimmt, die sich eine Überfahrt in der ersten oder zweiten Klasse leisten können. Die Schneiders müssen mit Hunderten weiterer Passagiere sofort ins Zwischendeck des gigantischen Dreimasters hinabsteigen. In der Mitte des kargen, stählernen Saals wird ein Wall aus Kisten und Koffern errichtet. An seinen Längsseiten reihen sich dreigeschossige Stockbetten auf.

      Hier ist es von Anfang an laut, eng und dreckig. Es stinkt nach altem Schweiß, menschlichen Ausdünstungen und Urin. Einmal am Tag wird ein warmes Essen ausgeteilt. Die Passagiere müssen den widerwärtigen Eintopf, der von der Decke herabgelassen wird, stehend an einem Tisch hinunterschlingen. Stets muss es schnell gehen, denn die nächsten Hungrigen warten schon darauf, sich die nur flüchtig ausgewischten Blechnäpfe zu füllen.

      Sehnsüchtig starrt Luise schon kurz nach dem Ablegen zu der Luke über der Treppe hinauf, die nur bei sehr schönem

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