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Hurdy Gurdy Girl. Irene Stratenwerth
Читать онлайн.Название Hurdy Gurdy Girl
Год выпуска 0
isbn 9783962580704
Автор произведения Irene Stratenwerth
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Seit er mich geholt hat, hat sie Angst“, sagt Elisa und wirkt für einen Moment seltsam zufrieden, „jetzt ist sie nicht mehr so gemein zu ihm.“
Mit einem lauten Knall ihrer Stiefel auf den stählernen Schiffsboden beenden die Iren den Tanz. Die Mädchen schrecken zusammen und springen auf wie ertappt.
„New York!“, schreit jemand durch die Luke herunter, „Land in Sicht! Gott schütze uns!“
Alle springen auf, laufen aufgeregt im Zwischendeck hin und her, reden und lachen.
Luise hätte ihre Freundin gerne noch etwas gefragt: Ob sie auch einmal als Tanzmädchen verdingt war. Aber jetzt ist es dafür zu spät.
Sechstes Kapitel
Als die City of New York anlegt und der Schiffsboden zur Ruhe kommt, erwacht Schneider zu neuem Leben, erhebt sich aus seiner Koje und nimmt energisch die Führung seiner kleinen Reisegruppe in die Hand.
Zunächst heißt es erst einmal wieder Warten. Längst haben alle Reisenden ihre Koffer, Bündel und Körbe an sich genommen und drängen mit ihrem Hab und Gut zur Treppe nach oben. Die Luke bleibt geschlossen, bis alle Passagiere der ersten und zweiten Klasse von Bord gegangen sind. Der Anblick der verdreckten, stinkenden und erschöpften Gestalten, die den Atlantik im Zwischendeck überquert haben, bleibt diesen erspart.
„Ihr haltet euch an mich. Alle!“, schnauzt Schneider seine Frau und die Mädchen an, „wenn eine hier verloren geht, hat sie Schlimmes zu befürchten: Es gibt in Amerika skrupellose Mädchenhändler! Allein reisende Mädchen werden vom Zoll zurückgeschickt oder sofort ins Asyl gesperrt.“
Endlich wird die Luke knarrend geöffnet. Alles stürmt zum Tageslicht hinauf. Auf der Treppe wird es bedrohlich eng; Kisten und Koffer schlagen schmerzhaft gegen Luises Fesseln.
Oben bleibt sie für einen Moment wie geblendet stehen, greift nach Elisas Hand, holt tief Luft und schaut staunend zum Himmel. Wie ein freudiger Schreck durchfährt es sie: Sie ist in Amerika!
Nur flüchtig bemerkt sie, dass der alte Mann, der ihr an Bord so zuwider war, im Gedränge an ihr vorbeigeschoben wird. Er scheint wieder wohlauf, blickt aufgeregt und neugierig um sich. Eine junge Frau hält ihn untergehakt.
Am Kai müssen sie warten, bis das Tor eines riesigen, runden Festungsgebäudes geöffnet wird. Dann strömen sie in eine Halle, die bestimmt zehn Mal so groß ist wie die Kirche von Langenhain. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Ängstlich klammert sich Luise an Elisa fest. „Die Juden nennen dieses Ding hier Kesselgarten“, schreit diese ihr zu, „neuerdings muss jeder, der nach Amerika will, hier durch.“
Margarethe steht so dicht hinter ihnen, dass sie jedes Wort versteht. Sie wirft Elisa einen missbilligenden Blick zu: „Diese Einrichtung heißt, korrekt ausgedrückt, Castle Garden“, belehrt sie die Mädchen, „früher war es eine Festung. Jetzt dient sie unserem Schutz vor Betrügern.“ Ihren kleinen Sohn hält sie mit beiden Armen umfangen, als drohe jemand, ihr das Kind zu entreißen.
An den Wänden der riesigen Rotunde sind mehrere Reihen Balkone angebracht. Männer und Frauen sitzen auf Bänken hinter den Balustraden. Wahrscheinlich sind diese Plätze den Passagieren der teureren Schiffsklassen vorbehalten.
Unablässig werden die neu Angekommenen weiter durch die riesige Halle geschoben. Luise presst ihr Bündel mit einem Arm an ihren Leib, während sie sich mit der anderen Hand an Elisa klammert. Anna hat sich an ihrer Jacke festgekrallt und zieht Tesi am Handgelenk hinter sich her.
Endlich stehen sie vor dem Eingang zu einem dunklen Korridor. Noch einmal wendet sich Schneider zu ihnen um. Er schreit nach Leibeskräften, damit sie seine Ermahnungen verstehen: „Ihr haltet den Mund! Auch wenn euch jemand auf Deutsch anspricht: Antwortet nicht!“
Luise schwitzt. Die Menschen quetschen sich so eng aneinander, dass sie nicht einmal genug Platz hat, um eine fremde Hand von ihrem Hintern wegzuschieben. Der Gestank von all den ungewaschenen Reisenden ist ekelerregend.
Schneider hat sich zu einem vergitterten Schalter vorgearbeitet und gibt dort Auskunft über die Mitglieder seiner Reisegruppe. „Welchen Beruf er in der Heimat ausgeübt hat, woher wir kommen, wie alt wir sind – er muss alles genau angeben“, hat Margarethe ihnen noch auf dem Schiff erklärt und die Papiere, die er beim Grenzübergang vorlegen muss, aus ihrem Bündel gekramt.
Aufgeregt deutet Elisa auf einen Käfig, in dem Dutzende Männer und ein paar Frauen eingesperrt sind. Traurig starren die meisten zu Boden. „Die werden nicht durchgelassen, weil mit ihren Papieren etwas nicht stimmt“, schreit sie Luise ins Ohr, „sie müssen zurück.“
Endlich werden sie in die nächste Halle mit Marktständen weitergeschoben, die Droschkenfahrten und Quartiere feilbieten.
Am Abend holpern sie endlich durch die dunklen Häuserschluchten von New York. Mehrmals schiebt Luise den schäbigen Vorhang der Droschke beiseite und späht hinaus. Unzählige Männer und Frauen eilen durch die Gassen, und nur ab und zu erleuchtet eine Gaslaterne ihren Weg.
Erschöpft lässt sie ihren Kopf auf Elisas Schulter sinken.
Als ihr das Mädchen aus Nieder-Weisel einen Arm um die Schulter legt, kribbelt es ein bisschen in ihrem Bauch.
Siebtes Kapitel
Es beginnt mit einem gewaltigen Druck auf Luises Ohren. Schützend hebt sie ihre Hände zum Kopf, doch gegen das Pfeifen und Rauschen hilft das kaum. Schneider steht mit hochrotem Kopf in der Tür ihrer Kammer. Was er sagt, dringt wie aus weiter Ferne zu ihr vor.
„Schnapp dir deine Sachen! Und zwar ein bisschen plötzlich!“, schnauzt er Elisa an, „ich sag’s dir nicht zweimal.“
Luises Knie zittern. Wie durch einen Nebel nimmt sie wahr, dass Elisa leichenblass wird, aber kein Wort erwidert. Die Freundin, die sonst immer so fröhlich und lebhaft ist, beginnt still ihr Bündel zu packen.
Elisa muss fort.
Unentwegt kreisen dieselben drei Wörter durch ihren Kopf.
Anna und Tesi hocken im hintersten Winkel auf ihrem Schlaflager und klammern sich stumm aneinander.
„Nicht ohne mich“, hört Luise sich sagen, doch es klingt hohl, „wenn Elisa fort muss, gehe ich mit.“
„Soso!“, für einen Moment scheint Schneider überrascht, starrt Luise verärgert an, „was soll das denn werden? Du weißt schon, dass ich dein Vormund bin, als Stellvertreter für meinen Oheim Balthasar? Und dass du mir zu gehorchen hast?“
Es wird still in der kleinen Kammer.
„Der Vater würde es bestimmt erlauben“, gibt sie mit zitternder Stimme zurück, „in der Gaststube haben sie gesagt, dass wir Deutschen als Dienstmädchen in New York gern genommen werden. Ich bezahle natürlich alles zurück, was Ihr für mich ausgelegt habt.“ In der Schule hat sie zwar gelernt, dass man eine Respektsperson mit „Sie“ ansprechen soll und nicht mit dem volkstümlichen „Ihr“. Aber sie kann sich einfach nicht daran gewöhnen.
Wütend holt Schneider bereits zum Schlag aus, doch schon schiebt sich Elisa zwischen die beiden.
„Lass gut sein Luise“, wendet sie sich an die Freundin, „ist lieb von dir, aber keine gute Idee. Dort wo ich hinkomme, können sie dich nicht brauchen.“
Ihr Dienstherr lässt seine Faust sinken. Luise treten Tränen in die Augen.
„In Amerika ist Krieg“, teilt Schneider jetzt mit rauer Stimme mit. Als würde das alles erklären. Als hätten sie diesen Satz in den letzten Tagen nicht ständig gehört: Am kargen Frühstück in der Herberge ist angeblich der Krieg schuld, und daran, dass sie noch immer keine neuen Kleider haben, auch.
Schon als sie aus Castle Garden heraustraten, hat Luise die Uniformierten gesehen. Erst glaubte sie noch, dass die Musikkapelle auf der geschmückten Bühne einen Marsch