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für alle Festtage ihres Lebens auszustatten. Aber die Bäuerin Ludwig ist daheim in der Wetterau, und Luise mag ihr Tanzkostüm sehr. Wie schön wäre es, wenn Elisa sie einmal so fein herausgeputzt sehen könnte!

      Die Schnürstiefel, die sie vom Köberer bekommen hat, sind leider auch etwas eng. Selbst wenn sie die Senkel nur locker bindet, drückt das Leder schmerzhaft auf ihren Spann, stößt sie sich jeden Abend die Fußspitzen blutig. Es nützt auch nicht viel, sich die Stofftücher, die an einigen Tagen des Monats ganz anderen Zwecken dienen, um die Zehen zu wickeln. Immerhin ist das Schuhwerk so robust, dass sie es kaum spürt, wenn ihr ein Bursche auf die Füße tritt.

      Schnell füllt sich der Saloon mit dem Lärm und den Ausdünstungen Dutzender Männer. Den ganzen Tag haben sie in Felsen und im Dreck herumgepickelt oder im eiskalten Flusswasser gestanden. Jetzt stinken sie nach Schweiß und Schlimmerem.

      Anfangs hat sich Luise vor diesen Kerlen mit ihren langen Bärten und den wilden Mienen gefürchtet.

      „Was ist los?“, hat Köberer sie nach dem ersten Abend angeschnauzt, „was ziehst du dauernd für eine sauertöpfische Miene? Glaubst du, dass die Burschen das mögen? Die wollen mit dir ihren Spaß haben. Nur dafür zahlen sie!“ Luise wurde rot und antwortete nicht.

      „Soll ich dich wieder zum Schneider bringen? Und mein Geld zurückverlangen, weil du nichts taugst?“, schimpfte Köberer weiter.

      Bitte nicht, flehte sie stumm. Nicht jetzt, wo Anna in diesem Zustand war oder ein gerade erst geborenes Kind in den Armen hielt. Schneider würde sie bestimmt halbtot schlagen, wenn sie vor dem Ende der Saison nach San Francisco zurückkäme.

      „Du kannst froh sein, dass der Georg dich so spät im Jahr noch vermietet hat“, hat Margarethe ihr zum Abschied zugezischt, „ist jedenfalls besser, als dich in eine Hafenspelunke zu geben.“

      Da übt sie lieber zu lächeln. Mit dem kleinen, fast blinden Spiegel vom Waschtrog hockt sie tagsüber auf einem Balken hinter dem Haus. Stundenlang probt sie ihre Mundwinkel weit nach oben zu ziehen, bis ihr ein Grinsen gelingt, das einen ganzen Tanzabend lang wie festgefroren in ihrem Gesicht sitzen kann.

      Wenn sie nach fünfzig, sechzig oder noch mehr Tanzrunden endlich auf ihr Schlaflager auf dem Dachboden sinkt, weicht die Grimasse wie von selbst aus ihrem Gesicht. Ihre Füße schmerzen, die Beine sind dick, die Augen brennen von dem beißenden Qualm im Saloon. Ihre Haut juckt, ihre Ohren sind wie taub von dem ständigen Lärm und sie will einfach nur schlafen.

      Von den drei anderen Mädchen auf ihrem Lager weiß sie nicht viel mehr als die Vornamen: Marie, Elisabeth, Mathilde. Zwei sind Schwestern, gleichen sich mit ihren blonden Zöpfen und den schlichten, bäurischen Gesichtern wie Zwillinge. Die Dritte, Mathilde, ist ein hoch aufgeschossenes, dunkelhaariges Mädchen mit groben Gliedmaßen und Gesichtszügen. Sie ist die Einzige, die es wagt, dem Köberer seine Hand wegzuschlagen, wenn er ihren Hintern zu tätscheln versucht. Leider hat sie die abstoßende Gewohnheit, nach jedem Satz geräuschvoll ihre Spucke hochzuholen und ihren Mund hasserfüllt in die Breite zu ziehen.

      Alle vier Mädchen stammen aus hessischen Bauerndörfern und sprechen denselben Dialekt. Luise versteht jedes Wort von den anderen und mag trotzdem nicht mit ihnen schwatzen.

      Am Morgen bleibt sie so lange wie möglich liegen. Unten im Saloon erwartet sie doch nur der kalte Rauch vom Vorabend und die fade Grütze, die der Wirt ihnen hinstellt. Und manchmal Köberer. Wenn er den Vormittag über nicht schnarchend im Planwagen liegt, versucht er, sie anzutatschen, oder befiehlt ihr herrisch, den Tanzboden zu schrubben.

      Erst gegen Mittag stiehlt sie sich deshalb nach unten, setzt sich in die milde Spätsommersonne auf den Hinterhof und stichelt stumm an ihrer Kleidung herum. Oft hocken die anderen Mädchen schon dort, lachen und schwatzen vertraut miteinander und bemerken Luise kaum.

      Was geschieht, wenn eine mit einem Burschen im Hinterzimmer des Saloons verschwindet, will sie lieber nicht wissen. Mit leeren und gleichgültigen Gesichtern kehren sie danach auf den Tanzboden zurück, während die Männer blöde grinsend in die tiefschwarze Nacht hinaus stolpern.

      Einmal hat Luise heimlich einen Blick in diesen Verschlag geworfen. Sie hat darin nur ein zerwühltes Lager erblickt und einen schäbigen Hocker, auf dem eine Schüssel mit grauem Wasser stand.

      Nur noch ein paar Wochen, sagt sie sich jeden Abend nach dem Gebet. Dann bringt Köberer sie zurück nach San Francisco. Er hat es versprochen.

      Wenn sie morgens die Augen aufschlägt, denkt sie als Erstes an Dora. An die Brüder, an die Tiere im Stall, den Vater, die Mutter und die Großmutter. Manchmal grübelt sie auch darüber nach, wohin es Elisa inzwischen verschlagen hat. Wie schön war es doch, als sie noch zusammen waren!

      Sogar nach dem schäbigen Schlaflager, das sie mit Anna und Tesi geteilt hat, sehnt sie sich jetzt manchmal.

       Zehntes Kapitel

      Seelenruhig nestelt Mathilde zwei Vierteldollarmünzen aus ihrem Strumpfband und lässt sie in ihrem Bündel verschwinden.

      „Woher hast du das Geld?“, fragt Luise und reibt sich erstaunt die Augen. Sie ist gerade erst aufgewacht.

      „Woher wohl?“, die Andere grinst schief, „kannst du dir doch denken. Bekommen habe ich es.“

      „Von Gästen? Und musst es nicht beim Köberer abgeben?“

      Mathilde sieht sie verächtlich an: „Sag mal, wie lang bist du schon in Kalifornien?“

      „Erst diesen Sommer sind wir in San Francisco angekommen.“

      „Verstehe! Dann bist du zum ersten Mal hier oben. Musst wohl noch einiges lernen.“

      Luises wird warm. Ihre Wangen glühen.

      „Also, Lektion Nummer eins,“ beginnt Mathilde herablassend, „ich erklär es dir auch nur, weil du uns sonst das Geschäft versaust: Wenn du mit einem nach hinten gehst, muss er dafür einen oder zwei Dollar beim Wirt bezahlen. Im Voraus. Klar?“

      Luise nickt. Ihr Herz schlägt bis zum Hals. Sie weiß, worum es geht. Glaub bloß nicht, dass Männer dafür immer ins Bordell gehen müssen, hat Elisa einmal gesagt. Es gibt überall welche, die es für Geld machen.

      „Lektion Nummer zwei“, fährt Mathilde unwirsch fort, „wenn er mit dir allein ist, muss er dir zusätzlich mindestens einen Vierteldollar geben. Oder mehr, wenn er Extras will. Du lässt ihn erst ran, wenn er geblecht hat, klar? Das Geld kannst du dir in dein Strumpfband stecken. Oder sonst wohin.“

      „Und was sagt Köberer dazu?“, Luise versucht, sich ihre Unbedarftheit nicht anmerken zu lassen, „Er bekommt es doch bestimmt mit!“

      „Natürlich“, schnaubt Mathilde, „aber er ist ja nicht blöd. Er kann sich denken, dass wir es nicht umsonst machen.“

      „Und was ist, wenn der Sheriff davon erfährt?“

      „Ha!“, geräuschvoll zieht Mathilde ihre Spucke hoch, „was soll er schon machen? Was glaubst du, warum der so häufig im Saloon herumhängt? Etwa um uns zu kontrollieren?“ Sie holt Luft: „Natürlich weiß jeder, dass die Tanzerei im Saloon verboten ist. Wer dabei erwischt wird, muss ins Gefängnis. Das gilt für den Mädchenhalter, den Gastwirt und sogar für uns Mädchen.“ Sie wirft Luise einen gehässigen Blick zu: „Aber du hörst das ja anscheinend zum ersten Mal. Ist vielleicht auch besser, wenn du weiter so tust, als wärst du die Unschuld vom Lande. Manchen Männern scheint es ja zu gefallen.“

      Unvermittelt springt sie auf und poltert die Treppe in den Gastraum hinunter, als habe sie dort etwas Wichtiges zu erledigen.

      Luise geht die Frage von nun an nicht mehr aus dem Kopf: Wie kann sie etwas eigenes Geld verdienen? Sie wird es brauchen, wenn sie eines Tages Dora nach Amerika holt. In ihrem Kontrakt steht, dass sie 50 Gulden pro Jahr zusätzlich bekommen kann, wenn sie folgsam und fleißig ist. Aber was bedeutet das?

      Sie tanzt mit jedem, der danach verlangt, eine Runde, hat sich dem Dienstherren noch nie widersetzt. Aber sie ist nicht so naiv, zu glauben,

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