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beim Wirt. Für alles. Glaub nicht, dass du deine Dollars irgendwo verstecken kannst. Das lockt nur Langfinger an.“

      „Wenn ich ein Trinkgeld bekomme, bewahrt ihr es für mich auf?“, fragte sie eifrig.

      „Natürlich nach Abzug aller Kosten,“ knurrte er.

      Luise nickte verständig. Aber im Stillen fragte sie sich, was der Mädchenhalter meinte. Für ihr Essen, die Unterkunft, die Kleidung und die Reisen hatte Schneider aufzukommen, so stand es im Kontrakt.

      Ihr Album hat sie kaum mehr angerührt, seit sie mit Elisa zusammen auf der City of New York englische Wörter gesammelt hat. Jetzt kramt sie das Büchlein hervor, schlägt es auf, nimmt einen Stift zur Hand und beginnt Zahlenreihen untereinander zu schreiben.

      Die vier hessischen Mädchen, so rechnet sie aus, bringen es an einem Tanzabend im Saloon auf etwa einhundert Dollar. Von diesem Verdienst zieht der Wirt bestimmt etwas für sich selbst ab, und das nicht nur für Kost und Logis. Zusätzlich verdient er an den Drinks, die sich seine Gäste genehmigen und den Tänzerinnen spendieren müssen.

      Was übrig bleibt, bekommt Köberer, der von seinen Einnahmen wiederum etwas an Schneider abgeben muss. Aber was verdienen die Mädchen selbst damit, dass sie sich von all den Kerlen anfassen und im Kreis herumschwenken lassen? Plötzlich kommt ihr der Mietpreis, den der Vater für sie bekommt, nicht mehr so märchenhaft hoch vor.

      Ein Mädchen kann in einer Saison etwa zweieinhalbtausend Dollar einbringen, rechnet Luise weiter, wenn es an hundert Abenden im Saloon tanzt. Ziemlich viel, selbst wenn man alle Kosten für die Reise, die Kleidung, ihre Unterkunft, das Essen, den Wirt und den Mädchenhalter davon abzieht. Ein amerikanischer Dollar, das hat ihr Elisa auf der Überfahrt in Erfahrung gebracht, ist etwa soviel wert wie in der Heimat zwei Gulden.

      Was aber geschieht mit diesen Schwindel erregenden Beträgen? Solange Luise auch mit dem Bleistift an den Zahlenkolonnen entlangfährt, sie findet es nicht heraus.

      Weder Köberer noch die Gastwirte, bei denen sie bisher abgestiegen sind, wirkten besonders reich. Ihre Häuser sind schäbig, das Essen fade, und kaum einer hat eine Frau.

       Elftes Kapitel

      „Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde!“ Bevor sie ihre Augen schließt, haucht sie spät in der Nacht noch die Lutherworte.

      Vielleicht ist es schon geschehen, denkt sie jetzt oft: Vielleicht dient sie bereits einem bösen Feind und nicht mehr Gott, ihrem Herrn.

      Sie weiß, dass viele Burschen mehr von ihr wollen als nur tanzen. Sie versteht die unausgesprochene Frage genau, wenn einer beharrlich auf die Tür zum Hinterzimmer starrt und seine Hände an ihrem Körper herabwandern lässt. Dann reißt sie sich los und schüttelt zornig den Kopf. Und schämt sich zugleich dafür, dass sie die Männer zu solchen sündigen Wünschen verleitet.

      Ihr beharrlicher Widerstand und die Furcht, die hinter dem starren Lächeln aufblitzt, scheinen deren Begehren aber noch zu steigern. Sie prügeln sich fast darum, ihre Dollars für einen Tanz mit Luise auszugeben und wollen ihr anschließend viele Drinks spendieren.

      Wie schnell hat ein Mädchen seine Unschuld verloren und ist für immer verdorben! Fast jeden Sonntag hat der Pfarrer in Langenhain auf der Kanzel davor gewarnt. Seine Predigten hat sie damals oft nicht richtig verstanden. Aber mit verdorbenem Fleisch oder Gemüse kennt sie sich aus: Man darf es nicht einmal mehr an die Schweine verfüttern, sondern muss es gleich auf den Misthaufen werfen.

      Zum Glück ist das hellgelbe Zeug, das der Wirt ihnen in kostbaren Kelchen aus dünnem Glas serviert, kein echter Schaumwein, sondern nur kalter, verdünnter Tee. Luise kann viele Gläser davon trinken ohne schwindelig zu werden.

      In der Heimat hat sie oft gesehen, wie es Leuten ergeht, die zu viel Bier oder Branntwein in sich hineinlaufen lassen: Irgendwann liegen sie mit dem Gesicht im Dreck.

      Und keiner hilft ihnen auf.

       Zwölftes Kapitel

      Jemand rüttelt an ihrer Schulter. Sie blinzelt unwillig. Ihr Kopf schmerzt, und es ist viel zu hell. Durch ein Loch im Dach fällt ein Sonnenstrahl und blendet sie.

      Für einen Moment weiß sie nicht, wo sie ist.

      Dann fällt ihr wieder ein, was Köberer am Abend angekündigt hat: Heute reisen sie weiter. Es sei an der Zeit für einen anderen Saloon in einer anderen Goldgräberstadt. Die Männer gäben mehr Geld aus, wenn man ihnen immer wieder frische Mädchen anböte. „Die sollen ruhig weiter daran glauben, dass sie eine von euch erobern können“, hat er mit einem schmierigen Grinsen zum Wirt gesagt.

      „Aufwachen! Und zwar ein bisschen plötzlich!“, bellt Mathilde sie an.

      Luise ist todmüde, fühlt sich wie zerschlagen, beginnt aber folgsam, sich aus ihrer Decke zu schälen. Vielleicht findet sich später im Planwagen ein Platz zum Weiterschlafen.

      „Beeil dich“, drängt Mathilde.

      „Sind alle schon bereit? Schickt dich Köberer?“, fragt sie verwirrt. Die Andere lacht verächtlich auf: „Der sagt nicht viel. Liegt mucksmäuschenstill in seinem Wagen und rührt sich nicht.“

      „Es ist ja noch früh am Morgen. Befiehlt der Wirt, dass wir schon abreisen?“

      „Der hat sich noch nicht blicken lassen. Schnarcht in seiner Kammer“, Mathilde klingt jetzt nicht mehr ganz so selbstsicher, „aber Köberer – er sieht krank aus. Oder ich weiß nicht. Es muss ganz plötzlich gekommen sein.“

      Schlagartig ist Luise wach. Zitternd klettert sie hinter der anderen Deutschen die Stiege hinab und stolpert aus dem Saloon ins grelle Sonnenlicht.

      Hinter dem Haus steht der Planwagen, in dem sich Köberer schlafen legt, sobald der letzte Gast den Saloon verlassen hat. Sein klappriger Gaul, den er an einen Baum gebunden hat, starrt sie trübsinnig an.

      Vorsichtig schlägt Luise die Plane zurück. Ein Kopf mit fettigem, grauem Haar lugt unter einer schmuddeligen Decke hervor. Seltsam still liegt der Mann da.

      „Herr Köberer?“, fragt sie leise.

      Er rührt sich nicht.

      „Wir müssen nach einem Arzt schicken“, stößt sie erschrocken hervor. Ihr Herz schlägt bis zum Hals.

      „Dem hilft keiner mehr“, erwidert Mathilde grob.

      Scheu streckt Luise ihre Hand nach der Stirn des Mannes aus: Sie ist eiskalt.

      „Dann wecken wir den Wirt. Schnell! Er muss dem Sheriff Bescheid geben!“

      „Polizei? Bist du noch bei Trost?“

      Luise antwortet nicht.

      „Den Köberer macht keiner mehr lebendig, das steht fest. Wenn der Sheriff kommt, glaubt er bestimmt, dass wir Mädchen den Alten kaltgemacht haben. Und nimmt sich seine Sachen: das Pferd, den Wagen und so.“ Kalt und drohend fährt Mathilde fort: „Und uns lässt er in San Quentin einsperren.“

      Luise erschrickt: Von diesem Gefängnis hat sie schon gehört. Dorthin werden Schwerverbrecher aus San Francisco gebracht. Wer einmal in San Quentin landet, so heißt es, kommt nie wieder heraus. Egal ob Mann oder Frau.

      „Vor ein paar Jahren haben sie hier oben ein Mädchen gehängt. Es war ihnen egal, dass sie schwanger war. Hat wohl einen Kerl erstochen, der ihr die Tür eingetreten hat oder so. Die Goldgräber haben kurzen Prozess mit ihr gemacht“, weiß Mathilde, „willst du, dass uns dasselbe passiert?“

      „Aber wir haben doch nichts gemacht“, wendet Luise kläglich ein. Erst jetzt bemerkt sie die Schwestern, die mit weit aufgerissenen Augen stumm im Gras sitzen und ihre Bündel an sich pressen.

      „Wie blöd bist du eigentlich? Ich habe dir doch schon einmal erklärt, dass alles, was wir hier tun, vom Gesetz verboten ist. Alles!“ Mathilde zieht ein Gesicht, als säße sie in einer Amtsstube und leiert

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