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Meckels Messerzüge. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Meckels Messerzüge
Год выпуска 0
isbn 9788711448786
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wir sahen mitten im Gewühl den abenteuerlustigen russischen General Tettenborn mit seinem merkwürdig bepaspelten und bepuschelten Husarenhut, den ich dann noch öfter im Norden Deutschlands wiedersehen sollte. Wir sahen mitten in einer Menge von Männern Ernst Moritz Arndt. Wir hörten, wie er gerade zu – er war es tatsächlich! – Gneisenau sagte: »Hier haben wir jetzt alles geworben, was an die Wand pissen kann!« Wie sich dieser allerdeutscheste Grimmpatriot da täuschte, denn sie hatten durchaus noch andere Menschen angeworben!
Jedenfalls trennten sich am Markt Nummer 3 erst einmal Ludwigs und meine Wege. Nachdem ich mit ihm im Hause Froböß & Comp., dessen Geschäftzweig auf dem Schild neben dem Eingangsportal mit »Spezerey und Röthe« angegeben war, noch einen Café à la Russe genommen hatte, eilte ich schon mal ohne ihn zu den Waffen.
Die beiden Werbestellen für das Lützow’sche Freikorps und für die freiwilligen Jäger lagen nahe beieinander auf der Schmiedebrücke. Zunächst machte ich meine Visite bei den Jägern. Henrik Steffens, der so glückliche Jahre über in Halle nach dem Ableben des Weltumseglers Reinhold Forster die Naturkundeprofessur innehatte, schloss mich seit Jahren wieder einmal in seine Arme. Er sah mich an mit seinen Augen, die waren wie fröhliche Gletscherzungen: »Selbst der größte Anatom aller Zeiten, der einen Freibrief nach dem Jenseits von Krieg und Frieden aus Paris, London, Moskau und aus Wien und Berlin hat, der schickt nun gewissermaßen seinen ihm und mir liebsten Konskriptionsstellvertreter!«
»Ach was, Onkel Henrik!« Ich musste laut lachen. »Ludwig und ich sind ihm einfach nur glücklich entkommen!«
»Nein, wirklich? Wucherer ist auch hier?« Steffens war ganz begeistert. »Und wer stellt dann unsere Uniformen her?«
Der Norweger mit dem inzwischen deutschen Herzen hatte in Breslau als Erster eine bereits berühmte öffentliche Rede zur allgemeinen Mobilisierung gehalten. Sie stand den Reden von Fichte in Berlin in nichts nach. Auf den Konskribierungslisten der freiwilligen Jäger erschien er gleich als die Nummer eins. Hunderte seiner Studenten hatten sich unmittelbar nach ihm dort eingetragen. Jetzt stand er dem Werbe-Bureau vor – wie gleich nebenan Jahn dem der Lützower.
Meckels Schwager Guticke und Reils Sohn waren schon da, ebenfalls meine halleschen Kollegen Krukenberg und Hoffbauer. Im Zentrum des Geschehens aber saß in einer Art Thronsessel der unnatürlich kerzengerade Vorturner Friedrich Ludwig Jahn, von dessen Kopf und Gesicht rötliche Haare weit herunterhingen wie beim Orang-Utang, nur dass der Affe keine derart leberbefleckte Glatze trägt. Orang-Utangs erfinden auch keine Fahnen. Jahn hatte eine erfunden, eine schwarzrote mit goldenen Fransen, angeblich die uralten deutschen Reichsfarben – was ich wissen müsste, halten wir Meckel von Hemsbach doch einen Talar und viele andere Utensilien eines unserer Vorfahren in Ehren, der ein angesehener Richter am Reichsgericht zu Wetzlar gewesen war.
Jedenfalls hatte Jahn seine vom König ausdrücklich verbotene Flagge gehisst, wenn auch nur hinter seinem Lehnstuhl und also »ihm zu Haupten«, wie er das ausdrücken würde.
»Na endlich!«, riefen Guticke und Reil wie aus einem Munde, und alle lachten auf einmal schallend und starrten mich dabei an.
»Unser allertapferster Kamerad ist endlich eingetroffen«, sagte Hoffbauer, den ich nie leiden konnte, weil ich mir immer irgendwie, als Atheist der Meckel’schen Art und Weise, Gott näher vorkommen musste als dieser verdammt unertappliche Theologe. »Meint er getroffen oder eingetroffen«, knurrte ich Hoffbauer an.
Jahn erhob sich und hielt mir feierlich eine Liste und eine von ihm höchstpersönlich eingetunkte Schreibfeder hin. »Sei willkommen«, duzte mich gleich dieser Waldschrat in seinem schwarzen altdeutschen Holzhauerkittel, »und unterschreib hier rieht und strack, also ohne Hudeln und Sudeln – du bist nämlich von nun an die furchtlose Nummer dreizehn von Lützows schwarzer Freischar!«
So bin ich die schwarze Unglückszahl des Freikorps geworden. Mein Ludwig war nach einer Weile auch schon hereingestürmt. Mit dem befehlenden Ausruf »Genau registrieren, wie es hier auf den beiden Schreiben steht!« knallte er die beiden Geldbeutel aus Halle und aus Weißenfels auf den Tisch, und mit dem Zuruf »Keinerlei Sorgen mit irgendwelchem Kapital mehr, mein Albrecht, ich kann jetzt völlig erleichtert davon in den Krieg ziehen!« bekam er unter noch größerem Gelächter seine laufende Nummer, die Achtzehn.
Das Jahn-Bureau hatte als Rekrutierungsort der Lützower Jäger den Vorteil, dass es von vornherein auch ausschankfähig, aus gegebenem Anlass auch ausschankfreudig, war. Auch stand schon im Eingangsschalter, wo Name, Herkunft, Alter und Profession abgefragt und notiert wurden, eine Tabakskiste mit genügend Tonpfeifen zur freien Nutzung bereit. Die Nur-Preußen nebenan bei Henrik Steffens durften und hatten dergleichen nicht. Nach Jahn gehörte ein »mannlicher Trunk« zwar nicht an Klimmel, Pferd und Barren, aber durchaus zur Kriegseinübung. Dieser Mann, das sah ich mit eigenen Augen, trank tatsächlich jeden Schluck für Deutschland. Dabei hatte er große, sogar langfristig überzeugende Momente, dazu selten, dann aber richtig, auch einen trockenen Humor.
Als wir in einem der Nebenräume zu Tische kamen und ich selbstverständlich neben meinem Ludwig saß, flitzten Jahns turnzeuggraue Augen zwischen uns hin und her, dann sagte er wie immer laut und vernehmlich: »Ein Zumwohle auf das Schicksalsjahr 1813! Ein Zumwohle auf euch beide, Achtzehn-Dreizehn!«
Wir hoben die Bierhumpen und alle sahen her zu Ludwig und mir, und mir ging da erst auf, was Jahn gemeint hatte. Ins aufkommende Gelächter und in die begeisterten Pfiffe mit Schulterklopfen hinein sagte mir Ludwig ins Ohr, dass er mit mir nun nicht mehr ausgehen könne. Ich sagte ihm in derselben Weise, dass ein Rübezahl im Turnhemd kein Anlass zur Resignation sein könne.
»Wenn also Wucherer und Meckel gemeinsam auf den Spitznamen Achtzehn-Dreizehn veranlagt worden sind«, grölte der Hautarzt und Ekelprofessor Krukenberg, als ob er wieder zum Korpsstudenten regressiert wäre, »dann braucht jetzt nur einer von ihnen im Kampf fürs Vaterland zu sterben, damit der andere diesen Namen auch wieder los wird!«
»Kann die lahme Nummer zehn mal ihren Rand halten und abwarten«, rief Wucherer, »ob sie von der Schicksalslotterie nicht korrekt gezogen wird, und zwar drei Landsleute vor Meckel und achte vor mir?«
»Auf jeden Fall«, räsonierte Meckels späterer Schwager Guticke laut, »sollten beide für Deutschland sterben und unter einen Deckel kommen, sonst ist dieser Name doch sinnlos!«
Die berühmte 2. Schwadron der Lützower begann in diesen Stunden mit ihrer allen anderen Heeren und Waffengattungen haushoch überlegenen Kampfestechnik – mit dem Schwadronieren.
Dieser erste Tag war auch gleich der schlimmste darin. Wir ließen nämlich Jahn gleich damit drankommen, was uns allen später nie wieder passierte, außer dann natürlich unserm lieben Theodor Körner in seinen düster-grillenhaften Stunden, in denen er immer so aussah, als ob er eine Mitfahrgelegenheit in den reindeutschen Himmel suchte – was ihm dann leider auch, wie du weißt, unter Mitnahme von zwei weiteren Kameraden geglückt ist.
Jahn ist ein begnadeter Deutschredner vor dem germanischen Herrn. Es ist auch nicht so, dass er in Halle und anderswo nichts gelernt hätte. Nur hört sein Wissen, ja sein Interesse überhaupt, gleich hinter dem Prignitzer Elbdeich, wo er geboren ist, auf. Aber er kann gut gewählte Worte setzen, und er weiß, wie weit er damit vor seinen Zuhörern gehen kann. Nur bei uns in Breslau wusste er es noch nicht. Er dachte wohl, wir wären hauptsächlich gekommen, weil wir Spaß daran hätten – und unstillbare Wut dazu –, Franzosen umzubringen. Was er uns des Langen und des Breiten zu erzählen und zu erörtern hatte, verschlug uns damals, einem nach dem anderen, einfach nur den Atem. Jahn hatte unser Schweigen anscheinend als Ehrfurcht davor gedeutet, wie weit man im Krieg à la Jahn denken könne und müsse.
Um es kurz zu machen: Jahn erzählte, um zu zeigen, wie weit ein wahrer Patriotismus reichen solle, wie er und von ihm animierte Leute Anfang des Jahres 1813 etliche der aus Russland noch bis nach Berlin gewankten französischen und somit auch deutschverbündeten Elendsgestalten mit ihren bereits erlangten Quartierbillets so lange bewusst in die Irre geschickt hatten, bis die armen Hunde irgendwo