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Bart zu singen. Zu diesen schlagfertigen Worten wollte er selbst einen seiner turnenden Primaner animiert haben. Das Lied konnte damals wirklich jeder mitsingen – und er staunte schließlich, dass nun keiner von uns mitsang.

      »Fremden zeigt man den Weg«, sagte schließlich der hallesche Philosophieprofessor und Theologe Hoffbauer, seinen Rücken ausdrücklich Jahn zugewandt, »aber die Anzahl der Leute nimmt zu, die noch nicht einmal dieses dreitausend Jahre alte Gesetz von Delphi kennen.«

      »Ich kenne hingegen die Gesetze von Sparta!«, rief Jahn voller Hoffnung, doch noch verstanden zu werden, aber wie mit einem Schlag wandten sich nun wirklich alle von ihm ab und ihren Bieren und anderen Gesprächen zu. »Trommler ohne Trommelstock«, sang Jahn noch einmal laut, »Kürassier im Weiberrock, Ritter ohne Schwert, Reiter ohne Pferd. Mit Mann und Ross und Wagen, so hat sie Gott geschlagen!«

      Einige standen auf, um zu gehen, darunter ich, die Dreizehn. Achtzehn musste noch bleiben wegen der Uniformfarben und anderer Effektenprobleme. Aber ich brauchte jetzt frische Luft, und das nicht etwa deshalb, weil ich anscheinend der einzige Lützower war, der nicht ständig eine salbentopfgroße Tabakspfeifenfüllung am Qualmen hielt.

      Es könnte sein, mein lieber, lieber Heinrich, dass ich, Achtzehn-Dreizehn mit meinem Ludwig, mich an jenem meinem Schicksalstag regelrecht habe ins Freie stürzen wollen. Anders kann ich mir diesen beinahe heftigen Zusammenstoß im Eingangstürstock zum Werbungs-Bureau der Lützower Jäger auf der Schmiedebrücke zu Breslau nicht erklären. Fünf federnde, aber feste Finger bohrten sich in mein Brustbein, sonst hätte ich den anscheinend blutjungen Jäger zu Fuß glatt umgerannt. Dieser nun schien schon voll zugerüstet zu sein. Er war überhaupt der erste Lützower Jäger, den ich in Uniform gesehen habe – schwarze Litewka mit acht goldenen Knöpfen. Aber aus dem hohen Kragen mit blutroten Stößen und Rändern ragte ein in unseren Breiten so von mir noch nicht gesehener edler Griechenkopf. Die goldblonden Haare waren nicht lang genug, um seine kleinen, festgefügten Ohrmuscheln zu bedecken. Er sah mich so freudig erschreckt an, wie wohl ehedem der Jäger Aktaeon die Göttin Diana, als er sie versehentlich beim Baden erwischt hatte.

      »Pardonnez, mon chasseur«, konnte ich nur noch murmeln. Da tat der den Mund auf zu einem fast kindlich strahlenden Lächeln mit kleinen, ebenmäßigen, etwas nach innen gebogenen Zähnen.

      »Pardong wird aber nich jegeben!«, sagte der anscheinend jüngste Jäger zu Fuß weit und breit mit hell tönender, aber zugleich wie eigens für den Krieg aufgerauter Stimme. Schon war er wie an mir vorbeigezaubert und in der lärmenden Räucherhöhle der Lützower Freischar verschwunden.

      Speerwerfen in Schlesien

      Ich musste mich selber noch mit dieser Uniform und einigem Zubehör versorgen. Vor allem musste ich endlich mein Pferd umtauschen. Im mir empfohlenen Pferdedepot nahm ich einen recht leichten Abschied von Paul dem Gaul und lief dem Staatsrat und Grafen Heinrich von Dohna-Wundlaken über den Weg. Der blieb stehen, sah erst das von mir hinweggeführte Tier, dann mich an und riet mir sogleich, lieber doch bei den Fußjägern einzutreten. Ich reichte indessen dem Depotwachtmeister mein Lützower Equipierungsformular mit den noch zu liefernden Utensilien und sagte dem Grafen, dass, wenn er denn meine Reitkünste anzweifeln sollte, er doch gern zusehen möge, was und wie ich mir hier eins von den polnischen und Kosakenpferden auswählen würde. Das war mein erster und ziemlich kühner Streich bei den Lützowern. Die Abenteuerlust hatte mich auf einmal schlichtweg gepackt, und nur so, also glücklicherweise, bin ich dann zu meinem besten Pferd gekommen, das ich je geritten habe.

      Dieses Pferd sah ich sofort und als erstes und wusste – das ist meines! Es war ein zottiger, brauner Kosak mit birnenförmiger Schnippe gleich über seinen Nüstern und an seiner rechten Hinterhand mit einem einzigen Stiefel. Das Tier sah mich mit herausforderndem Kopfschütteln und zornig seitwärts gestellten Ohren an.

      »Die Kanaille beißt«, rief der Depotwachtmeister, »sie schlägt, bockt und lässt sich nicht satteln.«

      »Mal sehen«, sagte ich ruhig und kühn. »Wie alt?«

      »Fünf Jahre. Kerngesund ist sie ja, die Kanaille«, seufzte der Wachtmeister, »aber es ist das erste Pferd in meinem Leben, das mich bespuckt hat!« Der Graf von Dohna begann laut zu lachen.

      »Bringen Sie mir mal einen Dienstsattel und Zaumzeug«, sagte ich. Danach ging der Teufelstanz los, zumal der Wachtmeister mit einem riesigen Kantschu daneben stand und in die Luft damit knallte. Ich hieß ihn deshalb ganz abtreten und näherte mich dem Pferd mit einem Stück Brot in der vagen Hoffnung, es sei einfach nur falsch und ausschließlich mit dem Kantschu behandelt worden. Der Graf von Dohna lehnte derweil hinten an der Wand, ein Bein über das andere geschlagen. Offensichtlich hatte er viel Zeit und Interesse für das, was ein künftiger Kamerad und Oberjäger da machte. Ich wusste das allerdings selber nicht so genau. Das Pferd schielte mich böse an und schnappte blitzschnell nach meiner Hand, die ich ebenso schnell zurückzog. Das wiederholte sich mehrfach. Nun hatte das Pferd allerdings das Problem, dass sich in der anvisierten Hand auch das Brot befand, das es dann auch in den Blick nahm und schließlich fasste. Im Hause Meckel wird bekanntlich auch Russisch gesprochen und ich fand in dieser Sprache klingende sanfte Worte. »Stoj, krassiwoi tschjort, stoj, miloi konko.« Dabei strich ich dem Tier, während es schon wohlig ein zweites Stück Brot kaute, mit dem Handrücken den Hals. Es ließ sich tatsächlich die Trense anlegen und ich schwang mich tollkühn, weil unter Beobachtung, auf seinen Rücken.

      Inzwischen war der Graf von Dohna von hinten herangekommen und reichte mir den Sattel. Schmeicheleien auf Russisch und Französisch gleichzeitig in die Pferdeohren flüsternd, hob ich schließlich den Sattel vor mich und rückte nach hinten. Ich sprang schnell ab und befestigte den Sattelgurt. Erneut schnappte der Kosak nach mir, erwischte mich dabei sogar am Hals, aber das wohl eher neckend. Ich tränkte ein großes Stück Brot mit Branntwein, und das Pferd schlang es vergnügt.

      Ich schnalzte und tränkte ein weiteres Brotstück mit dem letzten Hochprozentigen. Das Pferd war zum Glück ein Säufer, zuerst wohl eher von Wodka, jetzt also von Branntwein. Ich stieg einfach auf, es warf den Kopf, in den Nüstern noch den Hauch des guten Tropfens, und schon eine Minute später konnte ich mit diesem Kosaken etwas machen, wofür der General Yorck zu Pferde während seiner Schlachtenlenkungen so berühmt geworden ist – lauter ehrfurchtgebietende Achten gehen.

      »Ich bin der Graf von Dohna, und ich freue mich, mit Ihnen ins Feld ziehen zu können«, sagte der Staatsrat und Graf Heinrich von Dohna-Wundlaken. »Mit welchem Reiter habe ich die Ehre?«

      Ich nannte meinen Namen, wies auf mein neues Pferd und sagte: »Das ist Jean!«

      »Jahn??«, wunderte sich der Graf.

      »Bloß nicht!«, rief ich. »Nein, mein Pferd heißt Jean! Und zwar nach Jean Paul.«

      »Man sollte es lieber Iwan nennen«, warf der Depotwachtmeister ein, »denn es muss einem Russen gehört haben. Vermutlich kann man es überall im Gelände stehen lassen, ohne es anbinden zu müssen. Wenn es sich entfernt, genügt wahrscheinlich ein kurzer besonderer Pfiff, damit es wieder herbeikommt. Dies einzuüben würde ich dem Herrn noch raten – aber er steht wohl selber einem Kosaken nicht viel nach.«

      Während ich unverhofft stolzer Reitersmann nun Jean oder Iwan noch für eine letzte Nacht in seine alte Box brachte und ihm, schon richtig in ihn verliebt, seinen Rücken rieb und massierte, brannte auf einmal mein Brustbein in angenehmstem Feuer – aber hatte Jean, mein Pferd, nicht meinen Hals erwischt ...?

      Da war es ein weiteres Mal das Inbild des blutjungen Lützower Jägers, und ich schüttelte meinen Kopf darüber, dass er anscheinend – »Pardong wird nich jegeben!« – noch immer nicht seine fünf Fingerkuppen von mir genommen hatte.

      Erst gegen Abend wohl vergaß ich die schönen Druckstellen, indem ich Ludwig, also die Dreizehn die Achtzehn, in eine Kleiderfärberei begleitete, in der alles an derbem Material, das dort ankam, schwarz gefärbt werden sollte für die Lützower und für die Schlesische Landwehr. Ludwig und Marwitz der Färber nebst seinem Farbknecht hatten damit schon in Halle Erfahrungen gesammelt, wie das am besten, am schnellsten und am billigsten zu bewerkstelligen wäre. Dies hielt uns so lange auf, bis es sich nicht mehr auf einen Schoppen

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