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und Königlich Preußischen Grand maître de la Garderobe, dem Grafen de Groote, dem ich am traurigsten Ort der Welt selber noch begegnen sollte.

      Hinter dem Pferdedepot am Stadtrand von Breslau erstreckte sich neben den Reitbahnen und -plätzen eine weite Festwiese, auf der sich überall die nackten Rösser der Lützower Freischar tummelten. Es war nämlich den neuen und oft ungeübten Reitern zur Vorschrift gemacht, in den ersten acht Breslauer und den dann folgenden ländlichen Tagen des Felddienstes zu Pferde den festen Sitz dadurch zu üben, dass den vierhufigen Kameraden weder Sattel noch Decke aufgelegt werden durfte. Da sah man nun, so weit das Auge reichte, wie noch recht unschlüssige Kentauren in ihrem jeweils zugewiesenen Kreise schritten, manche davon sogar noch an der Longe. Aber da und dort, was bereits gestattet war, trugen sie ihr Schwarz-Rot-Gold oder gar den schwarzen, mit Wachstuch überzogenen Tschako, in welchem, durch Schlaufen und Tasche gesichert, die wichtigsten geistigen Utensilien des Lützowers beherbergt werden sollten – Tabaksbeutel und Pfeifenkopf. Fortgeschrittenere schwärmten auch bereits ins Gelände und versuchten sich in schnelleren Gangarten. Ich sah auch den Grafen von Dohna in einiger Ferne, wie er sich aus dem Sattel beugte, um einem der kentaurischen Eleven den richtigen Zügelgriff und die dementsprechende Zügelverteilung zu zeigen. Ich sah abgeworfene Humpler oder andere, die im Grase saßen und sich ihre verkrampften Beine mit Fusel einrieben – der point d’honneur machte, dass sie dennoch durch ihre Schmerzgrimassen hindurch alle lächelten oder miteinander scherzten. Einige Reiter im Gefolge des legendären Rittmeisters von Colomb, der zwar auch den blitzsauber machenden Gamaschendienst, vor allem aber die kühnste Reiterkunst liebte, preschten vorüber, und ich hörte ihn brüllen: »Tüchtig geritten! Was stürzt, das stürzt, was den Hals bricht, bricht den Hals!«

      Mir war durch Zuspruch des Grafen von Dohna der Felddienst zu Pferde unnötig gemacht worden. Ein Papier befahl mir vielmehr, mich auf den Schießplätzen aufzuhalten, um dort die Plunket’sche Kunst zu lehren, die Kugeln ins Schwarze zu lenken.

      Man konnte bereits hören, welche Richtung man zu den Schießplätzen einzuschlagen hatte. Ich brauchte meinen dahintrabenden neuen Jean Paul gar nicht mit Schenkeldruck und sanftem Zügel zu animieren und bemerkte zu meiner und zu des Pferdes Freude, dass es meine pure Losgelassenheit zu Recht als eine Aufforderung erkannte, nun selbst an einer Weggabelung die richtige Richtung zu wählen, nämlich als wohl bereits tüchtig kriegserfahrenes Pferd diejenige, aus der man Schüsse hörte – und wo in diesem Moment wieder einmal der Siegellack meines Schicksals heiß gemacht wurde. Jean Branntwein alias Iwan Wodka hielt direkt auf die Stelle zu, wich nur einmal ein wenig zur Seite und schnaubte gar kopfschüttelnd, als linkerhand etwas sehr Geschwindes in der Luft, plötzlich von Morgensonnenstrahlen getroffen, aufblitzte, um dann bereits hinter uns mit einem dumpfen Schlag in einen schwarzen, an einen Eichenstamm gelehnten Schild nachbebend einzuschlagen. War denn der Klimmzug-Germane Jahn doch noch erfolgreich gewesen, wenn er zwar nun, wie zusammen mit dem Komödiendichter Kotzebue erhofft, keine Legionärinnen – nämlich eine Berliner Amazonenschaar! – auf die Beine gebracht und in Marsch gesetzt hatte? Dafür aber eine Lützower Speerwerferkohorte?

      Was ich indessen da, von einer anderen alten Eiche sich abstoßend, sah, war nur ein schwarzlockiges Männchen mit nicht unansehnlichem nacktem Oberkörper, das nun losrennend ausholte mit einem weiteren gebeizten und lackierten Speer mit langer Stahlspitze und messingnen Ringen. Aber es zügelte sich scharf mitten im forcierten Lauf, senkte die es überragende Waffe, rammte sie aufrecht in den Boden und lehnte sich sinnend an sie, den Schaft in beiden Fäusten förmlich liebkosend. Ich merkte, dass ich Jean angehalten hatte – oder er mich – und stieg ab.

      »Sonne traf mein Auge, lieber Kamerad«, sprach der kleine dunkelgelockte Siegfried, »ich hätte diese Möglichkeit auch unter diesem schattigen Eichbaum dort besser erkennen müssen.«

      Wunderlicherweise entströmten diesem schattigen Eichbaum die lieblichsten Flötentöne, die ich jemals vernommen – und ich sah alsbald einen Rappen und einen Gelben stehen, daneben einen Reitknecht, der wie ein Hofschneider ein grünes Kollet mit kornblumenblauem Kragen säuberlich über seinen Unterarm gehängt hielt, dazu einen grauen Mantel mit rotem Kragen und der Goldprägung einer Sechs darin.

      »So eine Helmfriedslanze wie diese hier wirft man eben nicht so einfach«, piepste der Offizier der Jäger-Eskadron des 6. Brandenburgischen Kürassier-Regimentes mit fistelnder Stimme. »Ist sie nicht schön? Thiudolf selber hatte keine solche zu eigen – Wer ist Er? Ich sehe ihm doch wohl an, dass er auch ein Hallodri ist! Es sind ja heute schon ein paar von Euch aus meinem lieben Halle hier vorübergelangt! – Potz Using und Yolande! Ein stattlicher, aber stummer Meckel also, der immerhin sein Billet gereicht hat – für das sein Schwurbruder de la Motte Fouqué allerdings in seinem nackten Rumpfe kein Täschchen findet. Er kann also auch keines zurückreichen.«

      Der Baum endigte gerade seine betörende Melodie, ich mochte, solange sie noch vernehmlich war, gar nicht mit einem Begrüßungswort des Inhalts beginnen, dass ich diesem wackeren Verfasser der unsterblichen »Undine« von Herzen gönnen würde, dass er mit einem seiner Speere den Ballistik-Ingenieur Bonaparte erlege, ohne dass freilich dessen Hirnsubstanz dabei Schaden nähme – da trat der hinter der Eiche hervor, der sogleich mein Brustbein erglühen ließ! Der Mädchensoldat – pardonnez, mon chasseur! Selbst aus noch so großer Entfernung sah ich sein Philtrum! Es war, wie ich nun merkte, von unserer ersten Begegnung her gleich treulich in meinem innersten Herzen abkonterfeit gewesen, jenes Philtrum auf seiner großzügigen Labia oris superioris! Kurzum: Mein Entzücken erblickte zuerst seine nun trockengefallene Mädchen- und Knabenrotzrinne auf seiner Oberlippe.

      Der erste überhaupt sichtbare Lützower Jäger zu Fuß auf der Welt stand nun ganz dicht vor mir. Sein Philtrum war, nahe besehen, eine weiche Mulde, die beidseits bis zur sanftesten und leicht gebogenen Auffaltung der Wangen hin von noch kaum merklichem weißgoldenem Flaum überflogen war. Das, was die Griechen Amorbogen nennen, die bei diesem hier so schöne kleine Schwinge des Oberlippenscheitels, war um ein Weniges zu rot, ja sogar mit einem Anflug des Wundseins versehen wie von Erkältungen herrührend – oder auch von zu langem Flötenspielen. Oh, da hätte wohl so manches Mädchen das Anblasloch jener nun weggesteckten Querflöte sein mögen, das solch ein Philtrum und dazu noch eine spielend flatternde Zungenspitze zu einem musikstücklangen Kusse empfing!

      »Ja, Meckel von Hemsbach, da staunt Ihr nicht schlecht«, sagte Fouqué, »auf einen Kämpen des Königs zu treffen, der partout und in allen Ehren unbelehrbar seine Speere zu den Flötentönen Friedrichs des Großen schleudert, was?«

      »Ich würde«, sagte ich zu dem in allen deutschen Landen und besonders auch in Halle so berühmten Mann, »wohl eher staunen, liebster Ritter Huldbrand, wenn Ihr ein englisches Schießeisen wie ich benutzen würdet, aber egal wie wir’s beide machen, mit der englischen Muskete oder mit der Thiudolflanze ...«

      »Frisch auf, zum fröhlichen Jagen / Es ist nun an der Zeit«, sang da auf einmal dieser Lützower Flötist mit heller und begeisterter Stimme das auch sonst überall zu vernehmende Lied des deutschgermanische Ritterbücher schreibenden urfranzösischen Barons de la Motte Fouqué, »es fängt schon an zu tagen / Der Kampf ist nicht mehr weit!«

      »Mein guter Kamerad«, sprach ich die Lützower Querflöte an.

      »Albrecht von Hemsbach?«, fragte die und lachte dabei unsicher dazu. Und bei diesem Lachen verschwand das Philtrum, jene entzückende Oberlippenrinne, ja ich sah, wie sich selbst ihr niedlich-kindlicher Amorbogen streckte, während sich auf den glühenden Wangen zwei scharfe, in der Mitte etwas dünne, sonst aber überaus grazile Bögen bildeten, die von den aufgeregten Nüstern an den lachenden Mundwinkeln knapp vorbei schließlich noch ein kleines weiches Kinn umrundeten.

      »August ist so ein Garnisonskind«, sagte Fouqué, »er gehört zu den achtzig Mann, die ich von Potsdam her dem Könige in Breslau zuführte.« Dabei habe Blücher selber zu ihm in kriegerischen Reimen »Die einen mit’n Sabel, die andern mit’n Schnabel!« gesagt, woraufhin er, Fouqué, dem alten Haudegen seinen altehrwürdigen Pallasch vorwies, um zu bedeuten, dass er vor allem wegen dem »Sabel« zu ihm gestoßen sei.

      »Der da ist erst unterwegs zu uns gestoßen. Aber er will partout nicht mit zu meinen gut preußischen Brandenburgischen Sechsten Kürassieren! Sondern zu Lützow mit seinen

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