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es dennoch lieben, Preußen zu sein!«

      »Ich bin August Renz und auch noch direkt aus Potsdam!«, rief der Gemeinte, erstmals Aug in Auge mit mir, und rammte mir seine ausgestreckte Hand in den Bauch. Wir beide waren, merkte ich, auch von gleicher Körperhöhe.

      »August Meckel«, konnte ich nur antworten und eine schlanke, aber durchaus zupackende Hand dabei schütteln, »August Albrecht Meckel heiße ich – hast du auch einen zweiten Vornamen, lieber Kamerad? Ich kann schon den einen bei mir, August, nicht so recht leiden.«

      »Freut mir, Albrecht – denn nenn mir doch Leo«, sagte August und wurde sofort rot, »oder Leopold. Falls wa uns noch mal treffen sollten. Sieht ja ganz danach aus.« Er wich von mir fort, zückte etwas ungeschickt seine Querflöte und sagte irgendwie fast flehentlich zu Fouqué: »Machen wir weiter, Herr Baron?«

      Fouqué lachte mich an. »Schießen kann der olle Potsdamer August schon ausgezeichnet! Allerdings wohl nur mit Tönen aus der Flötenbüchse! – Wie wäre es nun, August, du nähmest jetzt und hier von mir deinen Abscheid ... (Fouqué, dieser doch etwas unique Duz- und Deutschbruder von Jahn, sagte doch tatsächlich auf altdeutsch »Abscheid?«) ... und folgst diesem wackeren Hallodri und Oberjäger auf den Schießplatz? Schau mal, gleich zwei Musketen hat der beiderseits an seinen Sattelblättern stecken!«

      »Das sind treu bewährte englische Waffen«, sagte ich und lud Leo mit einem Wink dazu ein, an Jean Weinbrand heranzutreten. Leo fuhr mit den Fingerspitzen über das Schloss der einen, der neuen Muskete und folgte so auch sanft der dicken S-Kurve des Hahns.

      »Diese ist eine ziemlich neue Indian Pattern, die ist zwar Massenware, aber man kann bei ihr auch, wortwörtlich, von einer sehr trefflichen Waffe sprechen – du streichelst gerade ihren so charakteristischen Schwanenhals-Hahn.« Leo zuckte zurück.

      »Du kannst diese Indian Pattern auch gleich ganz nehmen und wenn du dich mit der gut einschießt, so sollst du sie auch behalten!«

      »Danke, Albrecht«, sagte Leo, »von Hemsbach.«

      »Danke mir erst, Leopold Renz, wenn du von mir mit der da auch treffen gelernt hast.«

      Mein lieber Heinrich, halte mich bloß nicht für einen verdorbenen gottlosen Mann, der noch angesichts seines Todes in seinen abwegigen Lüsten zu schwelgen gedenkt, wenn ich Leos Antlitz hier noch einmal vor allem für mich selber, aber eben deshalb auch für dich, mein Sohn, auf eine nahezu anatomische Weise heraufbeschworen habe. Ach, verflucht! Sind doch auch alle Bildnisse sonst, die ich von diesem geliebten Menschen mit Feder und Stift gemacht, auf so unglaublich traurige Weise zugrunde gegangen! Alle sind verloren, bis auf jenes eine, welches dir – schon von deinen Kindestagen her so vertraut – deinen Vater als einen Hirsch abdeckenden Lützowisehen Nimrod zeigt. Dazu sind einige Kameraden zu sehen. Du konntest unten auf der Bildleiste ihre Namen lesen, etwa den des Oberjägers Palm, Bruder des auf so scheußliche Weise hingerichteten Buchhändlers, Vietinghoff auch, neuer Bataillonschef nach Jahns Ablösung durch den Lützower Ehrenrat und Friesens Freund, der später dessen sterbliche Überreste nirgendwo in den deutschen Landen beerdigen konnte, oder den des aus dem Hintergrund herangaloppierenden und uns etwas zurufenden legendären Hauptmanns Förster. Nur dem blonden und sehr knaben- oder mädchenhaften Lützower in voller Montur gleich im Hintergrund links bei jenem Leiterwagen, den unsere zweite Schwadron als möglichen Verwundetentransporter irgendwo im Mecklenburgischen requiriert hatte, genau dem habe ich unten auf der Leiste keinen Namen gegeben.

      Aber genau von dem rede ich hier vor allem. Wegen dieses Menschen hätte ich der hirnanatomischen Compagnie von Reil und Meckel später beinahe den Kopf von Napoleon gebracht!

      Der Plunket’sche Anschlag auf dem Rücken liegend wirkt ziemlich lächerlich und ist im Übrigen meist unbequem – »außer für Thomas Plunket selber«, sagte ich auf dem Schießplatz zu Leo, »und außer natürlich für mich! Kurzum, der Plunketanschlag ist was für Leute, die Vögel, kleine Tiere oder fast schon zu weit entfernte Generäle zu schießen haben, die sich gerade gar nicht oder nur sehr langsam in dem Feld bewegen, das sie selber angerichtet haben.«

      »Für so ’ne hinterlistige Schießtechnik«, sagte Leo, »leg ich mich schon ma gerne lang!«

      »Du bist allerdings, erstens, ein Jäger zu Fuß«, hatte ich nun einzuwenden – vor allem gegen meine sehr lebendige Vorstellung davon, wie ich mich gleich zusammen mit dem schönen Jäger Renz im Grase wälzen würde –, »aber du müsstest, zweitens, mit einer sehr treffgenauen Waffe oft auch schnelle Ortswechsel vornehmen können, was nur zu Pferde möglich ist, und du müsstest, drittens, wie der Name dieser Schießtechnik schon sagt, solch ein Adlerauge und solch einen kaltblütigen Fuß und Abzugsfinger haben wie jener Thomas Plunket. Also, mein lieber Leo! – dieser Plunket von den 95sten Schützen, glaub ich, in der Leichten Division von Sir John Moore – das war erst vor ein paar Jahren da unten in Spanien – erlegte mit seinem Anschlag auf dem Rücken liegend, und übrigens sein Pfeifchen dabei rauchend, den berühmten französischen Kavalleriegeneral August de Colbert.«

      »Aha! Noch so ’n dummer August wie wir zwei«, sagte Leo im Gras zu meinen Füßen und mit meiner – nein, seiner Indian Pattern. Wie er mit dem rechten Fuß den Gewehrriemen und somit die ganze Waffe von sich streckte, mit der Linken sich den Kolben an die Schulter zog und mit der Rechten anscheinend ganz gut im Abzugsbereich zurechtkam, zeigte mir, dass ich ihm wohl nicht allzu viel mehr beizubringen hatte. Nur treffen musste er dann schon selber.

      »Ganz falsch!«, rief ich jedoch und ließ mich zu ihm ins Gras sinken. »Man muss sich den Riemen einmal um den Unterschenkel wickeln – so hier!«

      Als ich mir nun Leos rechtes Bein quasi unter meine Achsel klemmte und an seinem Unterschenkel derart hantierte, als ob ich ihn mit einem Lederriemen abbinden und zugleich entblößen wollte, da spürte ich erstmals mit Macht all mein unglückliches Glück – ich spürte es an den allmählichen Blutansammlungen an gewissen anschwellenden Körperteilen. Ich ließ, recht eigentlich entsetzt von mir selbst, ab von Leo – und der?

      »Alles klar, Albrecht«, sagte Leo, »bin ja kein Kind, dem de noch die Schuhe zubinden musst!« Auf seinen Ellenbogen aufgestützt und mit einem aufgestellten und hin und her schwingenden Bein lag er im Grase und schaute mich begeistert an. Ich redete mir gleich wieder inbrünstig ein, dass dies auch tatsächlich Begeisterung sei und zwar Begeisterung nur wegen mir. Leo war einfacher Lützower Jäger zu Fuß – zwei Butterblumen nickten an seiner schwarzen Achselklappe mit den blutroten Rändern. Nahezu krampfhaft habe ich mich da an Jahns Schwarz-Rot-Gold zu denken gezwungen, an das Schwarz-Rot-Gold von Kriegern schließlich, Lützower Jägern, in einer Wirklichkeit, die selbst ein Märchendichter wie der Baron de la Motte Fouqué anscheinend ernster nahm als ein Anatom und Gerichtsmediziner wie ich.

      »Komm, Albrecht«, sagte Leo, »leg dich wieder hin. Sei doch nicht so ungeduldig mit mir!« Und ich stützte mich auch auf meinen Ellenbogen auf, allerdings auf den anderen – wir zwei nun fast spiegelbildliche Entsprechungen, schwarz-rot-goldene Lützower und Plunket’sche Scharfschützen – »Pardong wird aber nich jegeben!« Das Gras und die Erde dufteten schon vorfrühlingshaft, viele freie Vögel und noch viel mehr freiheitlich gesonnene Schüsse sangen in der Luft, die Brünnlein flossen quasi, und ich musste trinken – so viel Bewegung war in und aus unseren Blicken und hin und her. Die Zeit war stehengeblieben in den Augen von Leo, unter diesem wasserblauen Himmel voller zerpflücktem hellem Gewölk, und darüber noch die etwas dunkleren goldenen Schwingen seiner Augenbrauen. Er erzählte von seinem Vater, einem invaliden und musikalisch und überhaupt gebildeten Gardeunteroffizier, und vom anscheinend gar nicht so stocksteifen Potsdam. Doch so genau hörte ich schon sehr bald gar nicht mehr hin, ich lauschte vor allem dem Instrument dieser durchaus nicht perfekten, hellrauen und manchmal sogar ein bisschen wie gekünstelt wirkenden Stimme. Zuweilen war aber ein wie eine ganze Wiese sirrendes und flirrendes Timbre darin, das mich tief im Innersten berührte. Erst als Leo mich auf einmal unverwandt und auffordernd ansah, bemerkte ich, dass er seine Erzählung geendigt hatte und nun wohl ich mit der meinigen dran war. Dem Folgenden fehlte wohl die Musik, die Leo mit jenem Instrument hervorgebracht hatte, das auch der Mediziner zu Recht mit Syrinx bezeichnet. Dafür aber konnte ich nun, wie ich immer besser herausbekam, das Wetter in Leos Augen machen, je nachdem, wie und was ich von

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