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Dr. Beermann ist erstaunt. Er selbst hat diesen Antrag stellen wollen, dann aber den Gedanken verworfen, weil er mit einer Ablehnung rechnen mußte. Anträge zu stellen, nur um sich wichtig zu machen, liegt ihm nicht.

      Was ist in den Oberstaatsanwalt gefahren? zuckt es ihm blitzschnell durch den Kopf. Was für einen Hintergedanken verfolgt er mit diesem Vorgehen?

      »Ich schließe mich dem Antrag des Herrn Oberstaatsanwalts an«, sagt er laut.

      Landgerichtsdirektor Dr. Winkler ist verärgert. Es ist reichlich ungewöhnlich, daß Verteidiger und Ankläger am gleichen Strick ziehen, und weil es so ungewöhnlich ist, empfindet er es als bedrohlich — Was bezwecken die beiden damit?, denkt er. Wollen sie mir auf diese Weise die Prozeßführung aus der Hand reißen?

      »Herr Oberstaatsanwalt«, sagt er, zu Doktor Kraemer gewandt, »die Scheidungsakten liegen ja vor. Ich denke, sie dürften für unsere Ermittlungen doch genügen.«

      »Die Scheidungsakten«, erwidert der Oberstaatsanwalt mit Bestimmtheit, »geben nicht immer ein rechtes Bild. Jeder, der mit dieser Materie vertraut ist, weiß, wie selten in den Akten die wahren Gründe der Ehezerrüttung aufscheinen. Allzuoft wird da in beiderseitigem Einverständnis ein fingierter Scheidungsgrund vorgeschoben.«

      »Die Aussageverweigerung der Angeklagten im Scheidungsprozeß besagt gar nichts«, unterstützt Rechtsanwalt Dr. Beermann seinen offiziellen Gegner. »Eine Aussageverweigerung muß durchaus nicht immer ein Schuldbekenntnis sein. Auch ich halte es für ausgesprochen wünschenswert, den Zeugen Peter Faber und auch seine geschiedene Frau über die wahren Gründe der Ehezerrüttung zu vernehmen.«

      »Aber, meine Herren, wohin führt uns denn das!?« protestierte der Richter. »Wir sind hier nicht in einem Ehescheidungsverfahren, sondern in einem Schwurgerichtsprozeß!«

      »Es hat aber ganz den Anschein«, erklärte der Oberstaatsanwalt, »daß das Motiv für den Mordversuch der Angeklagten in jenem Scheidungsprozeß zu suchen ist. Ich beharre deshalb auf meinem Antrag.« Er setzt sich, wischt sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Dr. Kraemer ist die Bürde seines Amtes nie leicht gefallen, heute drückt sie ihn schwerer denn je.

      »Also, bitte!« sagt Landgerichtsdirektor Doktor Winkler unwillig und schiebt mit einer Handbewegung die Verantwortung sozusagen von sich weg und auf den Verteidiger und den Staatsanwalt zu. Dann gibt er dem Justizwachtmeister den Auftrag, den Zeugen Peter Faber aufzurufen.

      Eine kleine Pause tritt in der Verhandlung ein. Regine Rau setzt sich. Sie ist erschöpft, läßt es sich aber nicht anmerken.

      Die Zuhörer tauschen leise Bemerkungen aus. Die Journalisten vergleichen ihre Notizen, bemühen sich, Lücken, die ihnen in der Eile unterlaufen sind, zu schließen. Tim Tümmler und einer seiner Kollegen verlassen den Schwurgerichtssaal. Sie wollen mit ihren Zeitungen telefonieren.

      Die Geschworenen setzen sich bequemer. Eine der Geschworenen, Frau Marie Heimerer, gähnt hinter vorgehaltener Hand. Sie beginnt sich zu langweilen, von ihr aus könnte der Prozeß jetzt schon zu Ende sein. Sie hat sich längst ein festes Urteil gebildet.

      In den Augen dieser Geschworenen ist Regine Rau schuldig. Nicht nur im Sinn der Anklage, sondern darüber hinaus ist sie nach Meinung Frau Heimerers schuld an der Zerstörung einer Ehe. Frau Heimerer fühlt voll und ganz mit Herta Faber, sie hat ja dasselbe durchgestanden.

      Unwillkürlich muß sie jetzt wieder daran denken. Ihr eigener Mann hat sie verlassen, um einer anderen, einer jüngeren willen. Was hat sie nicht alles durchgemacht wegen dieser Person. Wie hat er ihr das antun können? — Bin ich ihm denn nicht immer eine sparsame und fleißige Hausfrau gewesen?, denkt sie zum tausendstenmal. Habe ich ihm nicht zwei gesunde Kinder geboren? Und trotzdem hat er mich betrogen. Man kann mir doch keinen Vorwurf daraus machen, daß ich immer eine anständige Frau war. Es ist doch nicht meine Schuld, daß mir die sogenannten ehelichen Verpflichtungen von Anfang an zuwider waren!

      Die Geschworene Marie Heimerer denkt daran, wie ihr Mann ihr einmal hundert Mark angeboten hat für eine einzige Nacht. Sie hat ihn ausgelacht. Noch heute ist sie stolz auf die Antwort, die sie ihm gegeben hat: »Geh weg! Damit kannst du mich nicht ködern. Du mußt mir ja so und so das Geld abgeben, welches du verdienst, für die Wirtschaft und was dazu gehört!«

      Und dann war er gegangen. Zu der anderen.

      Das ist nun schon Jahre her, und dennoch ist der Haß Frau Heimerers gegen diese andere, die junge Person, nicht geringer geworden. Diesen bösen, schwelenden Haß überträgt sie nun auf die Angeklagte Regine Rau.

      Frau Heimerer wird aus ihren Gedanken gerissen. Begleitet von einem uniformierten Beamten betritt Peter Faber den Schwurgerichtssaal.

      Die Frauen und Mädchen auf den hinteren Bänken stehen auf, um ihn, Peter Faber, um dessentwillen die Angeklagte eine andere Frau niedergeschossen hat, besser sehen zu können. Er ist groß und schlank, hat breite Schultern und schmale Hüften. Nachlässig sind seine Bewegungen. Sein Haar ist voll, seine Stirn hoch. Er ist ein sehr männlich wirkender, sehr gut aussehender Mann, ein Typ, wie ihn die Frauen lieben.

      Unwillkürlich hat die Angeklagte sich wieder erhoben. Sie preßt die Hände vor die Brust, heftete den Blick ihrer großen braunen Augen flehend auf sein Gesicht.

      Peter Faber erwidert diesen stummen Gruß. Unwillkürlich macht er einige Schritte auf sie zu. Es zieht ihn zu ihr hin.

      Der Beamte faßt ihn leicht am Arm. »Das geht nicht, Herr Faber«, sagt er halblaut, »machen Sie keinen Ärger!« Er dirigiert Peter Faber vor den Richtertisch.

      »Sie sind der Zeuge Peter Faber?« fragt Landgerichtsdirektor Dr. Winkler.

      »Ja.«

      »Diplomingenieur und Architekt?«

      »Ja.«

      »Wo geboren?«

      »Berlin.«

      »Alter.«

      »Zweiunddreißig.«

      »Mit der Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert …«

      Peter Faber strafft die Schultern. »Wir sind verlobt!«

      Der Richter läßt sich nicht von seiner vorgefaßten Meinung abbringen. »Sie waren verlobt, wollen Sie wohl sagen …«

      »Nein. Ich bin mit Regine Rau verlobt.« Fest und klar klingt die Stimme des jungen Mannes.

      Gott sei Dank, denkt die Angeklagte, Gott sei Dank! — Sie fühlt sich unendlich erleichtert. Nicht, weil er sich zu ihr bekennt, sondern einzig und allein deswegen, weil er nüchtern ist. Sie hat im innersten Herzen so sehr befürchtet, daß er sich vor der Verhandlung Mut antrinken würde.

      »Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, Herr Faber«, sagt Landgerichtsdirektor Dr. Winkler, »eine Verlobung ist keine bloße Formsache. Sie ist ein von beiden Seiten ernst gemeintes Eheversprechen.«

      »Das weiß ich.«

      »Sie wollen also die Angeklagte nach wie vor … trotz des Verbrechens, das sie begangen hat, heiraten?«

      »In meinen Augen ist das, was sie getan hat, kein Verbrechen!«

      »Pfui!« kreischt eine schrille Stimme aus dem Zuschauerraum.

      »Pfui!« — »Pfui!« — »Pfui!« rufen auch andere Zuhörerinnen.

      Der Vorsitzende rügt die Schreier nicht, er wartet einfach ab, bis sich der Aufruhr von selbst legt. Ihm ist es ganz recht so. Sollen der Oberstaatsanwalt und der Verteidiger ruhig Kenntnis von der Meinung der Öffentlichkeit nehmen.

      »Als Verlobter«, sagt er endlich, zu dem Zeugen Faber gewandt, »haben Sie das Recht, Ihre Aussage zu verweigern.«

      »Nein. Ich will sprechen.«

      »Dann müssen Sie sich, trotz Ihrer persönlichen Beziehungen zu der Angeklagten, streng an die Wahrheit halten. Wer vor Gericht vorsätzlich falsch aussagt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.«

      »Setzen

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