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Herta … ich selbst wollte es tun!«

      »Nein! Nein, Peter, das ist nicht wahr! Ich habe dir doch nichts getan!«

      »Du mir nichts getan?« Er richtet sich auf, sein sehr männliches, kantiges Gesicht verzerrt sich. »Mein Leben hast du zerstört, Regines Leben hast du zerstört … Heidi hast du gequält, geschlagen und aus dem Haus gejagt! Nichts getan, sagst du!« Peter Faber lacht, es ist ein unheimliches Lachen.

      »Ich habe Angst«, wimmert Herta Faber, »Peter, ich habe Angst!«

      »Vor mir?« Wann hättest du je Angst vor mir gehabt! Ich war in deinen Augen ja immer nur ein Schwächling, und ich glaube jetzt selbst, daß ich ein Schwächling bin. Ja, du hast Angst gehabt, Angst vor der Einsamkeit. Du hast Angst gehabt, daß du eines Tages niemanden mehr blenden, niemanden mehr tyrannisieren, daß du deine Macht über deine Mitmenschen verlieren könntest … davor hast du Angst gehabt! Und mich hast du es entgelten lassen. Immer war ich der Schuldige, und ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Warum? Weil ich eitel war, weil ich dumm war, weil ich ein Schwächling war — und bin!«

      Herta Faber sieht sich um, sieht, daß man zu ihnen hinschaut, daß man versucht, die Worte ihrer Auseinandersetzung zu verstehen. Plötzlich fühlt sie sich mutig. Sie ist ja nicht allein, Menschen sind nahe, die Polizei ist da — wovor soll sie sich fürchten?

      »Ja«, sagt sie so laut, daß jeder es hören kann, »du bist immer ein Schwächling gewesen!«

      Warum hatte sie diesen Mann geheiratet …?

      Herta Faber, damals noch Fräulein Herta Randall, hatte den Architekten Peter Faber kennengelernt, als sie in der verzweifeltsten Situation ihres Lebens steckte.

      Zwölf Jahre lang, seit dem tragischen Tod ihrer Mutter, hatte sie nur für ihren Vater gelebt. Sie hatte Professor Randall den Haushalt geführt, sie hatte ihm Gesellschaft geleistet und sie hatte ihm als Sekretärin bei seinen Forschungsarbeiten geholfen. Sie hatte sich für ihn geopfert, wie sie von Zeit zu Zeit, wenn sie wieder einmal eine ihrer Launen hatte, deutlich spüren ließ. Ihr Vater hatte sich dann beeilt, ihr mit besonders viel Zärtlichkeit und Bewunderung, einem kleineren oder auch größeren Geschenkt, seine unendliche Dankbarkeit zu bezeugen.

      Denn er hatte allen Grund, ihr dankbar zu sein. Nach dem Tod seiner Frau war er ein gebrochener Mann gewesen. Ohne Hertas Liebe und ohne ihre Treue hätte er seinen Lebensmut nie zurückgefunden — jedenfalls war sie dieser Überzeugung, und er hatte keinen Grund, ihr zu widersprechen.

      Nach einer Ehe voller Spannungen und voller Mißverständnisse mit einer zarten, sehr geliebten Frau, die ihm und sich selbst mit ihrer Überempfindlichkeit und dauernden Eifersucht das Leben schwer gemacht hatte, erlebte er jetzt eine friedliche, herrliche Zeit. Er konnte endlich das Buch herausbringen, an dem er schon so viele Jahre gearbeitet hatte und das ihm internationale Anerkennung brachte. Er besaß ein gepflegtes Heim, in seiner Tochter die ideale Mitarbeiterin, die Tag und Nacht für ihn da war, und die es darüber hinaus auch wunderbar verstand, ein gastliches Haus zu führen.

      Gab es dennoch etwas, was ihm fehlte?

      Herta konnte sich das nicht vorstellen. Sie war sicher, alles für ihn zu tun, was in ihren Kräften stand, sicher, daß er glücklich sein mußte. Wenn er manchmal sorgenvoll blickte, dann sah sie einen einzigen Grund dafür: daß er Angst hatte, sie zu verlieren.

      Dann schwang sie sich zu ihm auf die Sessellehne, schlang ihren Arm um seine Schulter, schmiegte ihr Gesicht an seine Wange: »Keine Sorge, Väterchen, ich laß dich nicht allein.«

      »Und wenn einmal der Richtige kommt?«

      »Niemals! Ich brauche keinen Mann. Ich habe alles, was ich mir wünsche … und wie könntest du denn ohne mich fertig werden?«

      »Ja, wenn ich dich nicht hätte«, pflegte der Professor dann zu sagen.

      Herta errötete vor Glück. Sie merkte nicht, daß das Lächeln ihres Vaters, das in den ersten Jahren noch offen und fröhlich gewesen war, später immer gezwungener wurde. Sie schob seine zunehmende Gereiztheit darauf zurück, daß sein zweites Buch — eine Forschungsarbeit über die Sprache der Wikinger — nicht recht vorangehen wollte.

      Tatsächlich war es nicht so, daß es ihr an Verehrern gefehlt hätte. Sie war ein schönes, schlankes, blondes Mädchen, intelligent und charmant, ihr Vater war ein angesehener und vermögender Mann, kurzum, sie war genau das, was man eine gute Partie nennt. Sie genoß es, umschwärmt und umworben zu werden, und blieb dabei noch innerlich eiskalt. Keiner der jungen Männer, die sich um sie bemühten, konnte in Wahrheit auch nur einen Funken Interesse bei ihr erregen. Aber sie brauchte die Gewißheit, begehrt zu werden — und das Gefühl, daß ihr Vater davor zitterte, sie zu verlieren.

      Manchmal fragte er: »Na, wie gefällt dir denn der junge Doktor?« Er nannte manchmal auch den Namen des einen oder anderen Kandidaten, der im Augenblick besonders hoch im Kurs zu stehen schien.«

      »Es geht«, antwortete sie dann gelangweilt.

      »Du scheinst dich aber doch recht gut mit ihm zu unterhalten.«

      Sie lachte, zauste ihn in den immer noch dunklen, von keinem grauen Fädchen durchzogenen Haar, »Eifersüchtig, Väterchen?«

      »Nicht die Spur.«

      »Dazu hast du auch gar keinen Grund.«

      Späterhin machte er in diesem Zusammenhang des öfteren den Versuch, sich ihrer törichten Liebe, die er mehr und mehr als eine Fessel zu empfinden begann, zu erwehren. »Ich bin mir durchaus darüber klar, Herta, ich habe nicht das mindeste Recht, von dir zu verlangen, daß du mir nicht nur deine Jugend, sondern auch deine Zukunft zum Opfer bringst! Wenn es eines Tages soweit ist …«

      Sie ließ ihn nicht aussprechen. »Wenn … wenn … wenn! Aber ich sage dir, das wird nie geschehen. Und glaube nur nicht, daß ich dir ein Opfer bringe … ich bleibe freiwillig bei dir!«

      Das war die ganze Wahrheit. Aber sie pflegte sie in einem Ton zu sagen, daß sie wie eine mitleidige Lüge klang.

      Tatsächlich liebte sie nur ihren Vater, sie liebte ihn mit einer abgöttischen, eifersüchtigen, besitzergreifenden Liebe, neben der kein Raum für irgendein anderes Gefühl blieb. Keiner dieser jungen Männer, mochten sie auch noch so reich, begabt, gutaussehend sein, konnte sich ihrer Meinung nach auch nur im entferntesten mit ihrem Vater messen. Professor Randall stach sie alle aus — er war der Gescheiteste, der Überlegenste, er war eine wirkliche Persönlichkeit. Im Vergleich mit ihm waren alle anderen Männer nichts als unbedeutende Schatten.

      Im Lauf der Jahre wurden Hertas Verehrer nicht weniger, aber sie wurden älter. Einige von ihnen heirateten, und auch die anderen hatten längst die Hoffnung aufgegeben, bei der schönen Professorentochter jemals auch nur etwas zu erreichen. Was früher ehrliches, heftiges Werben war, wurde allmählich zum unverbindlichen, ganz gewohnheitsmäßigen Flirt.

      Herta merkte es erst, als es zu spät war. Nämlich dann, als ihr der Vater eines schönen Sommermorgens beim Frühstück auf der Gartenterrasse sozusagen aus heiterem Himmel erklärte: »Es wird dich wahrscheinlich überraschen, Kleines … aber ich habe mich entschlossen, mich wieder zu verheiraten.« Er wagte es nicht, seine Tochter bei dieser Eröffnung anzusehen, sondern tat so, als wäre er angelegentlich damit beschäftigt, eine Scheibe Toastbrot mit Butter zu bestreichen.

      Sie ließ die erhobene Teetasse sinken. »Soll das ein Witz sein, Väterchen?«

      »Durchaus nicht…«

      Herta lachte. »Nein, nein, damit kannst du mich nicht schrecken! Du und heiraten … so was gibt’s doch gar nicht!«

      »Und warum nicht?« fragte er gereizt. »Ich bin fünfzig, das ist doch kein Alter …«

      »Natürlich nicht«, sagte sie besänftigend, »und ich bin überzeugt, daß es eine Menge Frauen gibt, die dich begehrenswert finden! Aber du wirst doch bestimmt nicht so unvernünftig sein …«

      »Findest du es wirklich unvernünftig, wenn ich noch einmal eine Familie haben will? Wenn ich mich nach einer Frau sehne? Einem

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