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preßt die Lippen zusammen, eine rote Welle steigt ihr in das weiße Gesicht.

      Landgerichtsdirektor Dr. Winkler kennt kein Mitleid. »Bilden Sie sich nur nicht ein, Angeklagte, daß Ihr Schweigen Ihnen nützen kann … im Gegenteil! Das Gericht ist auch ohne Ihre Aussage durchaus in der Lage, sich von Ihrer moralischen Haltung ein Bild zu machen.« Er wendet seinen Blick dem vor ihm liegenden Akt zu, so als sei er jetzt an Regines Stellungnahme nicht mehr interessiert.

      Regine öffnet die Lippen. »Ich war nicht seine Geliebte … und ich bin nicht seine Geliebte!«

      »Was Sie nicht sagen!« Aus der Stimme des Richters klingt offener Hohn. »Wollen Sie etwa leugnen, daß die Ehe zwischen Peter Faber und Herta Faber geborene Randall aus alleinigem Verschulden des Ehegatten geschieden worden ist?«

      »Nein …«

      »Na also! Und was war der Scheidungsgrund? Überlegen Sie sich Ihre Antwort … ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß die Scheidungsakten dem Gericht vorliegen!«

      Regine Rau schweigt, schiebt das Kinn vor, ein kleines, aber sehr festes Kinn, wie man jetzt sieht.

      »Sie waren der Scheidungsgrund!« Scharf und schneidend klingt seine Stimme.

      Atemlose Stille herrscht im Schwurgerichtssaal.

      Landgerichtsdirektor Dr. Winkler ist mit dem Eindruck, den er gemacht hat, zufrieden. »Eindeutig geht das aus den Scheidungsakten hervor«, sagt er, »es ist ausdrücklich im Scheidungsurteil ausgesprochen …« Er hebt den Akt, der vor ihm liegt, hoch, liest: »Der Beklagte Peter Faber unterhält seit Jahren ehebrecherische Beziehungen zu seiner Mitarbeiterin Regine Rau und war trotz häufiger Vorhaltungen der Ehefrau nicht bereit, diese Beziehungen abzubrechen …«

      Dr. Winkler läßt den Akt sinken, blickt die Angeklagte an: »Und Sie wollen immer noch leugnen, daß Peter Faber ein Liebesverhältnis mit Ihnen unterhalten hat!?«

      »Ja!«

      »Sie haben anscheinend vergessen, daß Sie selbst vor dem Scheidungsrichter zugegeben haben, mit Herrn Faber in intimen Beziehungen zu stehen.«

      Rechtsanwalt Dr. Beermann begreift, worauf es dem Richter ankommt: er will Regine Rau vor den Geschworenen und den Zuhörern unglaubwürdig machen. Hat er sie erst einmal mit dieser einen, entscheidenden Lüge überführt, so wird alles, was die Angeklagte später zu ihrer Verteidigung vorbringt, keine Beweiskraft mehr haben, auch wenn sie hundertmal die Wahrheit spricht.

      Der Verteidiger dreht sich zu Regine Rau um, spricht auf sie ein, aber sie wehrt mit einer Handbewegung ab.

      »Nein, Herr Vorsitzender«, sagt sie mit fester Stimme, »das habe ich niemals ausgesagt.«

      »Nicht!?«

      »Nein. Ich habe überhaupt nichts auf diese Anschuldigung gesagt. Ich habe die Aussage verweigert.«

      »Ah, darauf wollen Sie also hinaus!« Landgerichtsdirektor Dr. Winkler wirkt geradezu befriedigt darüber, daß Regine Rau nicht blind und dumm in die Falle getappt war, die er ihr gestellt hat. Sie erwies sich als ein Gegner, mit dem zu kämpfen es sich lohnt.

      »Aber«, sagt er, »ich möchte doch annehmen, daß man Sie über die Bedeutung einer Aussageverweigerung aufgeklärt hat?«

      »Ja.«

      »Sie wußten also, daß eine Aussageverweigerung in einem solchen Fall einem Schuldbekenntnis gleichkommt?«

      »Ja.«

      »Und warum haben Sie dann die Aussage verweigert?«

      »Aus Gefälligkeit.«

      Die Spannung im Publikum löste sich in einem unterdrückten Gelächter.

      Der Gerichtsreporter Tim Tümmler sagt halblaut zu seinem Kollegen: »Tolles Ding, was?«

      Der Kollege nickt und grinst.

      »Wie bitte?« Landgerichtsdirektor Dr. Winkler legt die Hand ans Ohr, als wenn er nicht recht hören könnte. »Aus Gefälligkeit? Vielleicht sind Sie doch so gut und erklären uns das näher.«

      Regine Rau sieht ihm gerade in die Augen. »Frau Faber hatte mich als Scheidungsgrund angegeben …«

      Der Landgerichtsdirektor fällt ihr ins Wort. »Sie hatte also demnach doch Grund, an der Treue ihres Mannes zu zweifeln?«

      »Nein!«

      »Weshalb hat Frau Faber Sie dann als Scheidungsgrund angegeben?« Der Richter versteht es, soviel Unglauben in den Ton dieser Frage zu legen, als wenn Regine Rau längst als Lügnerin überführt sei.

      »Um Peter Faber und mir eine spätere Heirat zu erschweren, wenn nicht gar unmöglich zu machen«, antwortete die Angeklagte prompt.

      »Ohne daß sie den geringsten Grund zur Eifersucht hatte?«

      »Ja!«

      Fragen und Antworten folgen jetzt Schlag auf Schlag, so schnell, daß der Justizsekretär, der das Protokoll führte, und die Herren auf der Pressebank kaum mitkommen können.

      »Und Sie haben daraufhin die Aussage verweigert?« fragt Landgerichtsdirektor Dr. Winkler. »Ohne daß der Tatbestand ehebrecherischer Beziehungen tatsächlich gegeben war?«

      »Ja.«

      »Sie werden zugeben, Angeklagte, daß das recht unglaubwürdig klingt!«

      »Wenn ich nicht die Aussage verweigert hätte, wäre Peter Faber nicht geschieden worden.«

      »Aber es war doch Frau Faber, die die Scheidungsklage erhoben hatte!«

      »Ja. Aber er wollte geschieden werden.«

      »Aha. Er hat Sie also gebeten, die Aussage zu verweigern?«

      »Nein. Ich habe es von mir aus getan.«

      »Und warum?«

      »Weil ich ihn liebte!«

      »Also doch! Wenn Sie das gleich zugegeben hätten, hätten wir uns dieses ganze Frage-und-Antwort-Spiel ersparen können.«

      »Sie verstehen mich falsch, Herr Vorsitzender!« Klar und gefaßt klingt Regine Raus Stimme. »Liebe, das ist etwas anderes. Liebe hat mit Dingen, von denen Sie sprechen, sehr wenig zu tun. Liebe ist, wenn man sich für einen anderen Menschen verantwortlich fühlt, wenn man ihn beschützen will …« Regine stockt etwas, sucht nach Worten. »Wenn man bereit ist, alles zu tun und zu opfern, um ihn glücklich zu sehen … und sei es mit einem anderen Menschen!«

      Um die Lippen Dr. Winklers zuckte es. »Klingt reichlich romantisch«, sagt er abfällig.

      Regine Rau steht hoch aufgerichtet. »Sie wissen nicht, was Liebe ist«, sagt sie ihm ins Gesicht, »deshalb können Sie mich auch nicht verstehen!«

      Einen Moment ist Dr. Winkler leicht betroffen — liegt nicht doch etwas Wahres in den Worten der Angeklagten? Hat er nicht früher, bevor er von der Frau, die er liebte, enttäuscht und betrogen wurde, selbst so über die Liebe gedacht? Ist er nicht vielleicht wirklich ungerecht und verbittert aus seiner eigenen Enttäuschung heraus? Einer Enttäuschung, an der die Angeklagte, aus welchen Motiven sie auch immer gehandelt haben mag, doch völlig schuldlos ist?

      Doch energisch schüttelt der Richter diesen Gedanken von sich ab.

      Ironisch verbeugt er sich in Richtung der Angeklagten. »Ich danke für die Aufklärung!«

      Beifälliges Gelächter aus dem Zuhörerraum belohnt diesen billigen Scherz. Dr. Winkler fühlt sich in seiner Eitelkeit geschmeichelt, in seiner Überzeugung gestärkt, daß seine Art, diesen Prozeß zu führen, völlig in Ordnung ist.

      Ankläger im Schwurgerichtsprozeß Regine Rau ist Oberstaatsanwalt Dr. Kraemer. Bisher hat er noch kein Wort geäußert. Er hat bewegungslos dagesessen, die Arme über der Brust verschränkt, hat sich darauf beschränkt, aufmerksam zu lauschen. Er ist ein etwas behäbiger Mann, vornehm im Aussehen, als sehr korrekt bekannt.

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