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war, und sie beobachtete, wie Enrico einige Meter weiter von einem Polizeibeamten befragt wurde. Männer in weisser Schutzkleidung kehrten aus dem Park zurück, ein Mann mit einem silbrigen Koffer ging in die andere Richtung. Ein Mann mit grauen Haaren und zurückweichendem Haaransatz setzte sich zu Andrina in das Polizeiauto. Er schloss die Tür, wofür Andrina ihm dankbar war.

      «Geht es mit der Wärme?», fragte er.

      Sie nickte und musterte den Mann. Er musste Ende fünfzig, wenn nicht sogar Anfang sechzig, sein. Der Beamte wirkte wie der nette ältere Herr von nebenan und nicht wie ein Polizeibeamter, der einen Todesfall zu klären hatte.

      «Beat Hegy von der Kantonspolizei Solothurn.»

      Andrina ergriff die Hand, die er ihr hinhielt. Sie war warm und der Händedruck fest.

      «Und Sie sind?»

      «Andrina Kaufmann.»

      «Ist er nicht Ihr Mann?» Hegy wies mit dem Kopf Richtung Enrico. Dabei huschten seine Augen kurz zu Andrinas Bauch.

      «Wir wollen heiraten, wenn das Baby da ist.»

      Hegy holte ein Notizbuch hervor. «Darf ich Sie zuerst nach Ihrer Adresse fragen?»

      Andrina fragte sich, ob er das nicht bereits von Enrico wusste, und vermutete gleichzeitig, dass er damit die Korrektheit ihrer Aussage prüfen wollte.

      «Aarau», murmelte er, während er Andrinas Angaben notierte. «Was machen Sie hier?»

      «Einen Ausflug, um frische Luft zu schnappen.»

      «Das Gleiche könnten Sie in Aarau tun.»

      «An den Wochenenden machen wir meistens kurze Ausflüge in die Umgebung, damit die Spaziergänge nicht langweilig werden. Schönenwerd ist nicht weit weg.»

      «Das stimmt. Können Sie bitte sagen, wie Sie die Leiche entdeckt haben?»

      Andrina begann mit ihrem Bericht und bemühte sich, nichts auszulassen. Hegy unterbrach sie nicht und notierte Stichworte in sein Notizbuch.

      «Ist er wirklich tot?»

      «Er?»

      «Der bei den Pfahlbauten?»

      «Es handelt sich bei der Leiche um eine Frau.»

      FÜNF

      «Das ist ja ein Ding», sagte Lukas und zündete eine Kerze des Adventskranzes an, der auf dem Korpus stand, in dem Ordner, Blöcke und anderes Büromaterial verstaut waren. Andrina bezweifelte, dass Elisabeth begeistert davon war, und sie hörte sie schon Lukas zurechtweisen, wie schnell es zu einem Brand kommen konnte. Andrina fand Lukas’ Idee schön und hatte ihn nicht auf mögliche Probleme mit Elisabeth hingewiesen, als Lukas den Kranz ausgepackt und auf den Schrank gestellt hatte. «Du ziehst es an. Du gehst spazieren und findest einen Toten.»

      «Sehr witzig», erwiderte Andrina und setzte sich auf ihren Bürostuhl. «Es ist übrigens eine Frau. Wir oder besser Enrico hat sie zufällig gesehen. Ich bin mir sicher, von einem anderen Standort wäre ihm nicht aufgefallen, dass dort jemand liegt.»

      «Was meinst du mit ‹Standort›? Ich habe dich so verstanden, dass ihr über den Toten quasi gestolpert seid.»

      «Die Pfahlbauten stehen im Wasser.»

      «Welche Pfahlbauten?»

      «Die im Ballyareal.»

      «Du meinst, in dem Park, der hinter den Outlets ist?»

      Andrina nickte.

      «Da bekommt dein Ex mit seinem Team von Leib und Leben neue Arbeit.»

      «Es ist nicht der Zuständigkeitsbereich von Marco.»

      «Wieso nicht?»

      «Das ist Aufgabe der Solothurner Polizei.»

      «Natürlich. Schon wieder Pfahlbauten», murmelte er. «Ich finde das seltsam.» Er setzte sich auf seinen Stuhl und lehnte sich nach hinten. Nach einigen Sekunden sickerte in ihr Bewusstsein, was Lukas sagen wollte. Gestern hatte sie bereits mit Enrico darüber gesprochen, ob es Zufall sein könnte, erneut einen Toten bei Pfahlbauten gefunden zu haben. Später hatte sie versucht, nicht mehr an diese Möglichkeit zu denken und nicht von einem Zusammenhang der beiden Toten auszugehen, was ihr nach einer Weile gelungen war.

      «Das kann kein Zufall sein», sprach Lukas Andrinas Gedanken aus.

      «Vergiss nicht, der Mord am Hallwilersee wird als Selbstmord angesehen.»

      «Ich meine mich zu erinnern, wie diese Polizistin nicht wirklich daran geglaubt hat. Ausserdem gäbe es einen Zusammenhang.»

      «Welcher soll das bitte sein?», fragte Andrina.

      «Der Fundort.»

      «Die Toten wurden in zwei verschiedenen Kantonen gefunden.»

      Er beugte sich vor und griff nach seiner Maus. «Wie viele solcher Rekonstruktionen von Pfahlbauten gibt es überhaupt in der Schweiz?»

      «Keine Ahnung.» Andrina erhob sich und stellte sich hinter ihn. Lukas’ Finger huschten über die Tasten. «Schwierig», murmelte er. «Funde hat es einige, aber ich frage mich, wo es Rekonstruktionen hat.» Er klickte auf einen Link. «In Wauwil gibt es ein Museum mit Lehrpfad. Das ist Richtung Luzern. Ob da auch ein Toter gefunden wurde?» Er hob den Kopf und schaute Andrina an. In seinen Augen glitzerte es. War es Sensationslust? So kannte Andrina ihn nicht. Was würde das bedeuten, wenn Lukas recht hatte? Dachte die Polizei in diese Richtung?

      «Woher soll ich das wissen?», sagte Andrina abweisend. «Ich finde das weit hergeholt.»

      «Wo ist dein kriminalistischer Spürsinn? Ich finde es total naheliegend.» Er klickte auf einen neuen Link. «Ausserdem gibt es Nachbauten im Kanton Freiburg –»

      «Warte», unterbrach Andrina ihn. «Womit soll das naheliegend sein?»

      «Andrina, der Täter legt die Leichen an den Rekonstruktionen der Pfahlbauten ab. Das muss einen Grund haben.»

      «Hör auf, Ermittler zu spielen. Warum sollte ein möglicher Täter das tun?»

      «Zweimal ist das bereits passiert. Er könnte damit eine Botschaft mitteilen wollen oder sich mit den Pfahlbauern verbunden fühlen.»

      «Lukas, deine Phantasie geht mit dir durch. Noch einmal. Der Mann beim Seengermoos hat Selbstmord gemacht.»

      «Was ist mit der Frau?»

      «Keine Ahnung.»

      «Wenn sich die von der Polizei irren und es Mord war? Die Pfahlbauten müssen der Grund sein.» Lukas sprach immer schneller. Seine Augen glühten regelrecht. Andrina fühlte sich unwohler.

      «Es sollen wegen der Pfahlbauten Leute getötet werden? Das ist Blödsinn.»

      «Nicht unbedingt wegen. Die Bauten könnten eine Bedeutung für ihn haben, oder er braucht sie als eine Art Metapher. An deiner Stelle würde ich das deiner Freundin von der Polizei – wie war ihr Name?»

      «Susanna?»

      «Genau. Ich würde ihr diesen Hinweis geben.»

      «Erstens ist die Tote im Ballyareal Aufgabe der Solothurner Polizei, und zweitens habe ich keine Lust, mir Ärger einzuhandeln, wenn ich mich in Ermittlungen einmische, und halte mich lieber raus.»

      Lukas lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. «Du steckst bereits mittendrin.»

      Andrina stand auf und trat an das Fenster. Sie blickte auf den Verkehr, der auf der Entfelderstrasse herrschte. Es war nach dem Gespräch mit Lukas unmöglich, sich auf das Lektorat zu konzentrieren. Dabei war es ein spannender Roman. Der Autor hatte es geschafft, den Spannungsbogen nicht abreissen zu lassen.

      Lukas war vor zehn Minuten in eine verfrühte Mittagspause verschwunden, da er etwas erledigen müsse. Was, hatte er Andrina nicht gesagt.

      Seit

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