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nicht entgangen war, wie sich Andrinas Gedankenspirale drehte. «Was gibt es sonst?»

      Zögernd erzählte Andrina von Lukas’ Vermutungen. Als sie geendet hatte, runzelte Enrico die Stirn.

      «Obwohl es mir nicht gefällt, klingen seine Argumente nachvollziehbar. Ich habe mich das Gleiche gefragt.»

      «Susanna hat gesagt, der Mann am Hallwilersee habe Selbstmord begangen.»

      «Du sagtest aber, sie würde dem nicht zustimmen. Oder habe ich das falsch in Erinnerung?»

      «Na ja, es passt für sie nicht, obwohl es bei Selbstmord im Nachhinein nach ihren Angaben öfter seltsam erscheint, warum dieser geschehen ist. Es gibt eine andere Möglichkeit: Rückblickend erscheint vieles klarer, und man denkt, hätte ich das bloss vorher gewusst.»

      «Schon», sagte Enrico gedehnt. «Ich finde, zwei Selbstmorde bei Pfahlbauten sind zu viel des Guten.»

      «Hat die Frau im Ballyareal ebenfalls Suizid gemacht? Das wusste ich nicht. Hat Herr Hegy dir das gesagt?»

      «Nein, das meinte ich nicht so. Ich dachte eher, zwei Selbstmorde bei Pfahlbauten sind seltsam, falls das gestern einer gewesen sein soll.»

      «Es kann ja einmal Mord und einmal Selbstmord gewesen sein», erwiderte Andrina. In so einem Fall hatten die beiden Toten nichts miteinander zu tun. War das wirklich so?

      «Mich macht es wie Lukas stutzig, weil es zwei Tote bei Pfahlbauten gegeben hat.» Er legte Andrinas rechten Fuss auf seine Beine und nahm den linken. «Ich bin Lukas’ Ansicht. Es ist ein zu grosser Zufall.»

      «Falls der Tote vom Hallwilersee keinen Suizid begangen hat und der Mord mit dem von Sonntag zusammenhängt, könnte ein Serientäter die Morde verübt haben.» Die Kälte, die Andrina am Nachmittag beim Gespräch mit Lukas empfunden hatte, war wieder da. «Oder jemand, der sich inspirieren liess», fügte sie an.

      «Das herauszufinden ist nicht deine Aufgabe. Locker lassen.» Er schüttelte Andrinas Fuss leicht.

      «Das ist einfacher gesagt als getan. Du meinst, ich sollte Lukas’ Rat beherzigen und Susanna anrufen?»

      «Das wäre die beste Lösung. Die Polizei der einzelnen Kantone ist bestimmt untereinander gut vernetzt, aber sicher ist sicher. Man sollte Susanna darauf hinweisen. Falls es keinen Zusammenhang gibt, ist es okay. Falls es einen gäbe, und sie hätten ihn nicht realisiert, und wir hätten sie nicht darauf hingewiesen, würdest du dir Vorwürfe machen.»

      Andrina richtete sich auf. «Okay, ich rufe sie nach dem Essen an.» Sie wollte aufstehen, aber Enrico hielt sie zurück.

      «Danach belässt du es bitte dabei.»

      «Wobei?»

      «Du spielst bitte nicht Ermittlerin.»

      «Das habe ich nicht vor», sagte Andrina und wollte seinem Blick ausweichen, was nicht gelang.

      «Mein Bedarf an Ermittlungen und Kriminalfällen ist seit September gedeckt», sagte Enrico. «Ausserdem möchte ich nicht, dass du in etwas hineingerätst und dich in Gefahr begibst.»

      Andrina fuhr mit dem Zeigefinger sein Kinn entlang. Die Bartstoppeln kratzten über ihre Haut. «Das habe ich nicht vor.»

      Andrina zählte die Freizeichen. Nach dem fünften Klingelton wollte sie auflegen, als sich Samuel Häusermann meldete.

      «Hallo, Sämi. Ist Susanna da?»

      «Nein.» Er klang erstaunt. «Was kann ich für dich tun?»

      Andrina druckste herum. Sie wusste nicht, ob und wie sie Häusermann von Lukas’ Idee erzählen sollte. Es würde den Anschein erwecken, sie mische sich in die laufenden Ermittlungen ein. Auf der anderen Seite wussten sie eventuell nichts von der Toten im Ballyareal und den Parallelen zur Leiche vom Hallwilersee, obwohl Andrina eine Notiz in der Zeitung gelesen hatte.

      «Was ist los?», fragte Häusermann, als sich das Schweigen in die Länge zog.

      «Wann kommt sie zurück?»

      «Das könnte später werden. Sie ist mit einer Kollegin beim Squashen, und im Anschluss werden die beiden bestimmt etwas trinken gehen.»

      «Mist!», rutschte es Andrina heraus.

      «Kann ich dir weiterhelfen?», fragte Häusermann ein weiteres Mal.

      Andrina war versucht, das Gespräch zu beenden und ihn zu bitten, Susanna über ihren Anruf zu informieren oder es direkt auf ihrem Handy zu versuchen. Allerdings nahm sie an, Susanna hatte es während des Squash im Schrank in der Umkleidekabine gelassen. Wenn es einen Zusammenhang der Fälle gab, war es wichtig, dass die Polizei so schnell wie möglich davon wusste.

      War Häusermann aus Marco Fellers Team der Richtige? Sie könnte genauso gut Herrn Hegy informieren. Aber ihn kannte sie nicht. «Wisst ihr von der Toten im Ballyareal?», wagte Andrina einen vorsichtigen Vorstoss.

      «Das stand in der Zeitung. Das ist aber der Fall der Solothurner Kollegen.»

      «Sie wurde bei den Pfahlbauten gefunden.»

      «Ja und?» Schweigen. «Du meinst, sie könnte mit unserer Leiche vom Hallwilersee zu tun haben?»

      «Ja.»

      «Warum sollte sie das?» Häusermann klang abweisend.

      «Es tut mir leid, es war nur so eine Idee.»

      «Kein Problem.»

      Andrina schwieg. Sie hatte sich blamiert. Wie bekam sie einen einigermassen würdevollen Abgang hin?

      «Andrina?»

      «Ja?»

      «Spiele bitte nicht Polizistin.»

      «Das habe ich nicht vor.»

      «Das sieht gerade für mich anders aus.»

      «Es war Lukas’ Idee.» Sie hätte nicht anrufen, sondern es Lukas überlassen sollen.

      «Wer ist Lukas?»

      «Mein Kollege im Verlag.»

      «Für ihn gilt das Gleiche. Er sollte sich nicht unseren Kopf zerbrechen.» Aus abweisend war inzwischen schneidend geworden.

      «Mach es gut und grüsse bitte Susanna von mir», sagte Andrina hastig und brach das Gespräch ab.

      SECHS

      Die restliche Vorbereitung für den Adventsapéro am späten Nachmittag nahm alle in Anspruch. Tische wurden aufgestellt und letzte Dekorationen aufgehängt. Der Duft von Tannengrün und Weihnachtsgebäck breitete sich in den Verlagsräumen aus. Mehr als einmal jagte Elisabeth alle aus der Küche, weil sie von den Weihnachtsguetzli stibitzten oder um die Torten herumschlichen.

      Am Mittag erschien die Cateringfirma, die Elisabeth engagiert hatte, und spätestens ab diesem Zeitpunkt war arbeiten definitiv nicht mehr möglich. Gabi und Elisabeth sausten wie aufgescheuchte Hühner von einem in den anderen Raum, während Andrina, Lukas und Kilian das Ganze aus Distanz verfolgten, nachdem sie die Möbel auf die Seite geschoben hatten. Andrina hatte eher das Gefühl, im Weg zu stehen, als sich als nützlich zu erweisen.

      «Ich habe von Anfang an gesagt, das ist eine Schnapsidee», brummte Kilian, der sich neben sie an die Wand lehnte und einen Zimtstern in den Mund steckte, als die Cateringmitarbeiter Weinkisten an ihnen vorbeischleppten. «Ich sehe nach wie vor den Sinn dieser ganzen Übung nicht.»

      «Es soll eine Gelegenheit sein, sich persönlich kennenzulernen», erwiderte Lukas, der sich zu ihnen gesellte. Er schaute sich um und steckte verstohlen ein Chräbeli in den Mund. «In der heutigen Zeit ist alles so schnelllebig», sagte er kauend. «Der persönliche Kontakt ist auf ein Minimum reduziert. Telefoniert wird nicht mehr unbedingt. Rasch wird eine E-Mail geschrieben, und das war es.»

      «Das mag ja nett sein, aber braucht es dafür so einen Aufwand? Sie sollte das lieber mit Vertretern machen», sagte Kilian.

      «Für

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