Скачать книгу

warf einen Blick auf die Uhr. «Ich bezweifle, dass alles rechtzeitig fertig ist.»

      «Es wäre hilfreicher, wenn du mit anpacken würdest, anstatt hier herumzustehen und dumme Sprüche zu klopfen», zischte Gabi, die an ihnen vorbeieilte. Sie quetschte sich an Kisten vorbei. Beinahe wäre sie bei ihrem Leibesumfang stecken geblieben. In der Küchentür drehte sie sich um. «Das Gleiche gilt für euch andere auch.»

      Kilian und Lukas stöhnten gleichzeitig auf.

      «Würden wir gerne», brummte Kilian. «Aber wir werden verscheucht, weil wir im Weg stehen.» Er löste sich von der Wand und verschwand in seinem Büro. Lukas machte Anstalten, zum Sitzungszimmer zu gehen, als er innehielt. Er horchte, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in dem Büro, das er sich mit Andrina teilte. Einige Sekunden später tauchte sein Kopf in der Tür auf. Er hielt Andrina den Hörer hin.

      «Telefon für dich. Deine Polizistin.»

      Andrina schloss die Tür, nachdem Lukas das Büro verlassen hatte, und lehnte sich dagegen. «Susanna?»

      «Was ist bei euch los?», sagte Susanna als Begrüssung. «Das klingt, als würde eine Elefantenherde durch euer Büro trampeln.»

      «Heute ist der Adventsapéro mit unseren Autoren. In vier Stunden soll er anfangen, aber hier sieht es aus, als habe eine Bombe eingeschlagen.»

      «Das klingt, als seid ihr knapp dran.»

      «Gabi ist eben nicht unbedingt das Organisationstalent. Was gibt es?»

      «Hast du überhaupt Zeit?»

      «Wenn ich mit dir telefoniere, stehe ich wenigstens nicht im Weg.»

      «Könntest du dich loseisen und ins Polizeikommando kommen?»

      «Warum?» Das hörte sich amtlich und nicht nach einer Einladung zu einem Nachmittagskaffee an. Es klang aber nach einer guten Möglichkeit, diesem Chaos offiziell entkommen zu können, obwohl es Andrina nicht unbedingt ins Polizeikommando zog.

      «Die Kollegen aus Solothurn haben uns gefragt, ob wir dir und deinem Freund ein Bild von der Toten zeigen könnten. Die Frau hatte keine Papiere bei sich und konnte nicht identifiziert werden.» Eine weitere Übereinstimmung. Andrina musste sich setzen, was schwer möglich war. Sie ging zu ihrem Tisch und rutschte auf die Arbeitsfläche.

      «Das fällt nicht in euren Zuständigkeitsbereich», erwiderte Andrina.

      «Herr Hegy dachte, es wäre für euch angenehmer, als wenn ihr nach Solothurn kommen müsstet.»

      «Geht das morgen?», fragte Andrina.

      «Ungern.» Susanna machte eine kurze Pause. «Sämi hat mir übrigens von deinem Anruf gestern Abend erzählt.» Der abrupte Themenwechsel überraschte Andrina. «Es tut mir leid, ich hätte mich hierzu eher melden sollen.»

      Nach Häusermanns ablehnender Haltung hatte Andrina ihn nicht gebeten, Susanna auszurichten, sie solle zurückrufen. «Er hat gesagt, das sei eher unwahrscheinlich», sagte sie.

      «Wir haben gestern Abend lange miteinander darüber geredet.» Geredet? So wie Susanna das sagte, klang es eher, als hätten sie eine unerfreuliche Diskussion gehabt. «Bei der Teamsitzung heute Vormittag habe ich es zur Sprache gebracht. Marco war zuerst überhaupt nicht begeistert.» Marco würde sie hassen, wenn sie sich in Ermittlungen einmischte.

      «Es war nur so eine Idee», sagte Andrina ausweichend.

      «Können wir das hier besprechen?»

      Andrina gab sich geschlagen.

      «Danke», sagte Susanna und führte Andrina ins Zimmer, in dem sie bereits bei früheren Vernehmungen ihre Aussage gemacht hatte. Susanna wies auf einen Stuhl und setzte sich neben Andrina. Sie entnahm der Mappe ein Blatt. Der Ausdruck eines Fotos zeigte eine Frau, deren Kopf und Oberkörper bis kurz unter die Schlüsselbeine abgebildet waren. Sie lag wie der Mann vom Hallwilersee auf einem Stahltisch. Andrina zwang sich, die Frau genauer zu betrachten. Sie schätzte sie auf Ende zwanzig bis Anfang dreissig. Die Frau hatte dunkelblonde Haare, die offen ihren Kopf umrahmten. Braune Augen starrten Andrina an. Anklagend, aber gleichzeitig leblos. Der verschmierte dunkelgrüne Lidschatten unterstrich die Blässe der Haut. Die Augenbrauen waren zu schmalen Streifen gezupft, und an einzelnen Stellen wuchsen die Haare bereits nach.

      Susanna legte ein zweites Bild vor Andrina. Es war aus der gleichen Perspektive aufgenommen worden, aber dieses Mal trug die Frau eine Brille.

      «Die Brille lag neben ihr auf dem Boden. Die Solothurner Kollegen gehen davon aus, dass sie ihr gehört, weil sie nach einem Modell aussieht, das Frauen bevorzugen.»

      Andrina hob den Kopf. «Tut mir leid. Ich kann nicht weiterhelfen.»

      «Das habe ich vermutet.»

      «Sie wird im Kanton Solothurn wohnen, nehme ich an. Da ich dort so gut wie nie bin, wäre es ein grosser Zufall gewesen, wenn ich sie gekannt hätte.»

      «Wenn sie dort getötet worden ist, heisst das nicht automatisch, dass sie dort wohnt.»

      Auch wahr, dachte Andrina und betrachtete die beiden Fotos.

      «Ich bin ihr definitiv nicht begegnet», sagte sie.

      «Was anderes.» Susanna legte die Fotos zurück in die Mappe. «Wir haben den Toten vom Hallwilersee identifiziert. Sein Name ist Bernd Lang.»

      «Mir sagt dieser Name nichts», sagte Andrina in die entstandene Stille hinein. «Wie habt ihr die Identität herausgefunden?»

      «Auf unseren Aufruf hin hat sich sein Nachbar gemeldet. Herr Lang war in Seon wohnhaft.»

      Wieder lag in Susannas Augen eine Aufforderung, sich dazu zu äussern.

      «Mir sagt der Name nichts», wiederholte Andrina.

      Susanna fuhr sich mit dem Zeigefinger über das Kinn und machte den Eindruck, als ob sie nicht wisse, wie sie den nächsten Satz formulieren sollte.

      «Nachdem wir deinen Verdacht von gestern im Team besprochen hatten, haben sich die Kollegen aus Solothurn gemeldet. Sie erkundigten sich nach unserem Fall vom Hallwilersee und kamen auf die Parallelen zu sprechen, die du bereits gestern Abend bei Sämi erwähnt hast.»

      Andrina fühlte Erleichterung in sich aufsteigen, die sich sogleich verflüchtigte. Wenn sie recht hatte, rückte die Vermutung eines Serientäters nach vorne.

      «Es gibt mehr Parallelen als die Pfahlbauten», fuhr Susanna fort. «Bei der toten Frau hat der Rechtsmediziner einen sehr niedrigen Blutzuckergehalt festgestellt.» Sehr niedrig? Bei dem Mann hatte sie nur von einem tiefen Zuckerspiegel gesprochen. «Allerdings hat sie wie Herr Lang kurz vor ihrem Tod eine Kleinigkeit gegessen. Aber, wie gesagt, bei der Untersuchung – Moment.» Susanna durchsuchte die Unterlagen, die vor ihr auf dem Tisch lagen, und holte ein Blatt hervor, das nach einer ausgedruckten E-Mail aussah. «Die Analyse der Glaskörperflüssigkeit hat einen tiefen Summenwert von Glucose und Lactat ergeben», las sie vor. «Im Blut beziehungsweise Blutserum ist der Insulinwert hoch, aber C-Peptid, welches zusammen mit Insulin produziert wird, ist stark erniedrigt.» Andrina begann der Kopf zu schwirren. «Bei genauerer Untersuchung der Leiche haben sie in der Brustfalte eine Einstichstelle gefunden», fuhr Susanna fort. «Bei der Untersuchung des Gewebes um diese Einstichstelle haben sie eine höhere Konzentration von Insulin gefunden, die dort nicht hingehört.»

      Sie machte eine neue Pause und gab Andrina somit Zeit, das Gesagte auf sich wirken zu lassen.

      Da Andrina nichts erwiderte, fuhr Susanna fort. «Unser Rechtsmediziner hat daraufhin die Leiche von Herrn Lang ein weiteres Mal unter die Lupe genommen und einen Einstich in einem Leberfleck in der Nähe des Bauchnabels gefunden, den er bei der ersten Untersuchung übersehen hatte. Wir haben die Eltern von Herrn Lang, die wir inzwischen ausfindig gemacht haben – sie wohnen in Basel –, gefragt, ob er Diabetiker war. Sie haben es verneint.»

      Nachdem Andrina in den Verlag zurückgekehrt war, hatte ein grösserer Trubel geherrscht als zu dem Zeitpunkt, als sie gegangen war. Sie war in ihr Büro geschlüpft, in

Скачать книгу