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Herrn Direktor heißt's sich schtelle! Und mit'm Herrn Kaplan erscht recht!«

      »Sell weiß ich selwer!« brummte der Arbeiter verbissen. »Sell brauchst du mir net erscht zu sage, wer heutzutag' die Gewalt hat! Geh norr! Von dir wolle die Herre nix! Die kumme wege meiner Fraa ...«

      Es war ein ungleiches Paar, das in Sturm und Regenschauern die kotige Landstraße hinaufstieg. Rechts der Fabrikbesitzer, straff, energisch, mit aufgedrehtem blondem Schnurrbart, festem Schritt und der Gewohnheit des Befehlens auf dem mit Schmissen übersäten jugendlichen Gesicht; links neben ihm, wie sie der Zufall auf ihrem Weg zusammengeführt, der Kaplan – ein gesunder, roter Bauernkopf, stiernackig auf starken Schultern, in dessen glatten jugendlichen Zügen sich noch deutlich der Übergang von der ererbten zähen Bedächtigkeit des Ackermanns zu der starren Würde der alleinseligmachenden Kirche vollzog.

      Kapital und Kirche! Der Maschinenschlosser war durch das Lesen seiner Parteischriften an diese abstrakten Begriffe gewöhnt. Was hatten Kapital und Kirche im Hause eines »Genossen« zu suchen? Aber mit einer gewissen Genugtuung erfüllte ihn der Besuch doch. So zog er denn die Mütze ab und trat den beiden auf die Landstraße entgegen.

      »'Morgen, Irion!« sagte der Fabrikant rasch. »Bedecken Sie sich doch. Wie geht's denn Ihrer Frau?«

      »Dank' Ihne, Herr Direktor! Besser!«

      »Das freut mich.« Der Fabrikant trat mit den anderen in die Irionsche Wohnung. In dem vorderen Raum, der ärmlich, aber sauber gehalten war, mit blank gescheuerten tannenen Möbeln und sandbestreuten Dielen, hantierte geräuschlos eine Krankenschwester. Benedikt Irion pflegte sonst jeden Morgen spöttisch zu lächeln, wenn er auf seinem Weg zur Fabrik an den in halber lebensgroße geschnitzten, schreiend bunt bemalten Figuren der Jungfrau und des heiligen Joseph am Eingang des katholischen Schulhauses vorbeikam und innen den Gesang der Ordensfrauen und den hellen Chor der Kinder vernahm. Aber nun, in seinen Sorgen um die kranke Frau, war ihm die kleine rotbäckige Bäuerin in dem weiten graublauen Gewand und der weißen Flügelhaube eine willkommene und feierliche Erscheinung.

      Beim Eintreten der Männer verschwand die Schwester in dem Nebenzimmer, in dem die Kranke ruhte. Die beiden Herren setzten sich auf die von Irion herbeigeschobenen und abgewischten Stühle und schauten einen Augenblick schweigend an den kahlen Wänden herum, deren einzigen Schmuck ein großes Porträt Lassalles und eine Photographie des Mannheimer Diskutierklubs »Rote Rotte« bildeten. Es war eine kurze, etwas peinliche Pause zwischen dem norddeutschen Fabrikbesitzer, dem Pfälzer Priester und dem sozialdemokratischen Arbeitsmann, allein der Direktor fand rasch und lebhaft, wie sein ganzes Wesen war, bald einen Übergang.

      »Also besser geht's?« sagte er. »Das freut mich, Irion! Schon weil Sie's sind – mein bester Arbeiter, trotz all Ihrer Marotten. Aber auch sonst ist mir die Geschichte höchst unangenehm. Kaum ist die Fabrik in Betrieb, so passiert alles mögliche! Ich hab' wahrhaftig keine Schuld!«

      »Sell sagt ja auch keines, Herr Direktor!«

      Der Fabrikant machte ein zweifelndes Gesicht. Er verstand trotz aller Mühe immer noch kaum die Hälfte von dem Odenwälder Deutsch seiner Untergebenen, »Wie gesagt – keine Schuld!« wiederholte er. »Nun – wir müssen uns eben alle erst in die Fabrikordnung einleben, und hoffentlich nehmen sich die anderen daran ein Beispiel.«

      »Hoffen wir zu Gott!« ergänzte der Kaplan, zu Boden schauend, mit seiner tiefen, immer noch bäuerisch gefärbten Stimme. »Hoffen wir auch auf eine Wendung zum Besseren. Auch für Sie, Herr Irion!«

      In dem fanatischen Gesicht des schmächtigen Arbeitsmannes, der vor ihm stand, veränderte sich kein Zug. »Was meinen Sie denn damit, Herr Kaplan?« fragte er.

      Jetzt sah ihm Paulus Eberle von unten her ernst ins Auge. »Die Gottlosigkeit mein ich! Diese Bilder an den Wänden! Lieber Irion – Sie sind ein katholischer Christ ...«

      »Ah bah!« Der Monteur hustete. »Ich bin in Berlin aus der Landeskirch' ausgetrete!«

      Der Kaplan wiegte bekümmert das Haupt. »Auch das!« Er suchte wieder mit den Augen den Sand auf den Dielen. »Sie tun mir wahrlich leid, Herr Irion!«

      Der Arbeitsmann erwiderte nichts, sondern zuckte nur stumm die Schultern. Der Fabrikant aber stieß ärgerlich seinen Regenschirm auf den Boden. »Ich begreife euch Leute nicht!« sagte er. »Da macht ihr euch und uns das Leben schwer, und was habt ihr schließlich davon? Sie, Irion, könnten es hier haben wie unser Herrgott in Frankreich! – Nein – da spintisieren Sie über den blödsinnigen Zukunftsstaat, schicken Ihre paar sauer ersparten Groschen womöglich an die Berliner Parteikasse und haben nichts wie Ärger und Verdruß. Jetzt wieder mit dem Kriegerverein! Ja, Irion ... ich kann es nicht ändern! Mann ... müssen Sie denn aber auch durchaus auf Ihrer Mütze jeden Tag ein rotes Federchen tragen? Muß es denn durchaus gerade ein rotes Halstuch sein?«

      »Ja«

      »Na – dann mußten Sie eben 'raus aus dem Kriegerverein!« Der Fabrikant stand ärgerlich auf. »Es ist wirklich zu dumm! Ein Kind muß es einsehen, daß wir ein starkes Heer brauchen, damit der Feind nicht über die Grenzen bricht und gerade euch Unbemittelten das letzte wegnimmt! Nein! Wenn es nach euch ginge, wäre das Reich in vier Wochen wehrlos, damit gleich die lieben Franzosen wiederkommen und hausen, wie vor zwei Jahrhunderten, wo von fünfzig Menschen in der Pfalz nur noch einer übrig war und kein ganzes Haus mehr auf Tage weit im Umkreis stand. Ihr ruft ja jetzt noch eure Hunde ›Mélac‹ nach dem Heidelberger Mordbrenner. Wenn's erst so weit ist, dann möcht' ich eure gescheiten Gesichter sehen. Aber dann ist's zu spät. Na ... nichts für ungut heute! Ich will Sie heute nicht aufregen. Gott sei Dank, daß Ihre Frau außer Gefahr ist! Grüßen Sie sie von mir und gute Besserung! Ja – ehe ich's vergesse – ich habe dem Kassierer Ordre gegeben. Wenn Sie Geld brauchen, wenden Sie sich nur an ihn. Kein Vorschuß – ein kleines Schmerzensgeld. Danken Sie mir nicht, Kind Gottes, sondern werden Sie vernünftig! Das ist mir viel lieber!«

      Der Fabrikant wollte sich eben zum Gehen wenden, als die Türe von außen mit einem kräftigen Ruck aufflog. Der Doktor stand auf der Schwelle, den Schlapphut vom Regen triefend, den rotblonden Vollbart vom Wind zerzaust, einen Lodenmantel über den breiten Schultern, mit kotbespritzten hohen Stiefeln und einem Knotenstock in der Faust. »Was ist denn das für ein Lärm hier?« fragte er statt jedes Willkommens. »Ein ganzes Zimmer voll Menschen, wo nebenan die Kranke liegt? Ich muß mir doch die Volksversammlung 'mal aus der Nähe ansehen!«

      Er nahm den naß perlenden Zwicker ab. »Ah – ihr seid's!« sagte er etwas milderen Tones, »was wollt ihr denn hier bei dem Sozialdemokraten? Kinder ... streitet euch doch nicht ewig. Jeder Mensch auf der Welt hat recht! Es kommt nur auf den Standpunkt an. 'Morgen, Irion!« Er schüttelte dem Maschinenschlosser ohne Umstände die Hand und bot sie dann dem Kaplan. »Gib dir keine Mühe, Hochwürden! Hier hilft's nichts, den Irion kenn' ich – bei dem ist Hopfen und Malz verloren!«

      Der junge Priester zuckte die Schultern. »Er und der Doktor stammten aus demselben Dorf drüben im hessischen Odenwald. Dort hatten sie als barfüßige Bauernbuben zusammen die Gänse gehütet und Äpfel gestohlen und sich hinter den Zäunen herumgebalgt, um sich jetzt als zwei bebrillte, auf Seminar und Hochschule klassisch gebildete Männer, als Kassenarzt der Fabrik und Kaplan des Dorfes, wiederzufinden.

      »Dich, Direktor, setze ich ohne Umschweife vor die Türe!« sagte inzwischen der Doktor unbekümmert zu dem Dritten. »Dafür bin ich dein Universitätsfreund! Da brauch' ich nicht erst höflich zu sein! Höflichkeit ist überhaupt nicht gesund! 's legt sich einem auf die Brust! Also geh! Deine Frau und deine Fabrik schreien nach dir! Die muß man beide nicht allein lassen!«

      »Altes Rauhbein!« Der Fabrikant setzte halb lachend seinen Hut auf. »Ich war schon auf dem Wege, willst du nachher bei mir frühstücken? – ich möchte dich etwas fragen.«

      »Ja – aber gehörig! Euer Milchkaffee ist für die Saugkinder gut. Deine Frau soll für ein ordentliches Stück Fleisch und Brot sorgen. Ist die Schwester drinnen bei der Patientin, Irion? Gut! Bleiben Sie nur hier! Da drinnen kann ich Sie nicht brauchen!«

      Er ging mit vorsichtigen Schritten durch das Zimmer, öffnete leise, ohne anzuklopfen, die Türe und schloß sie behutsam.

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