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Frau Gräfin...«

      »Ist's Ihnen recht?«

      »Ach, Frau Gräfin – da wäre ich so froh...«

      »Ich auch!« sagte die junge Frau ziemlich nachdrücklich. »Und bis dahin, Elise... wenn Sie meinen Rat hören wollen – ich habe die Empfindung, als ob jemand hier im Schlosse Sie mit besonderen Augen ansieht...«

      Das hübsche Kinderfräulein hielt unbefangen ihren prüfenden Blick aus, aber ihre blassen Wangen röteten sich doch merklich. »Ich habe nichts bemerkt, Frau Gräfin«, flüsterte sie, anscheinend ganz erschrocken.

      »Nun – um so besser! Denn Wegmann hat ein hitziges Blut in den Adern. Er ist jähzornig und rachsüchtig – ganz wie ein richtiger Italiener. Sie dürfen ihm auch nicht einen leisen Vorwand zur Eifersucht geben!«

      »Nein, Frau Gräfin! Ich danke sehr. Soll man der Frau Irion etwas an Wein oder an Lebensmitteln schicken?«

      »Richten Sie etwas. Ich will es ihr selbst nach dem Frühstück bringen und nach ihr sehen. So wie ich bin! Zu Fuß. Was meinen Sie? Ich würde noch mehr naß? Meinetwegen! Ich kann das langweilige Kutschieren im Regen nicht vertragen! Komm, Wulfi!«

      Mit einem elastischen Schwung hob sie den Kleinen auf den Arm und sprang mit ihm die Treppe hinab. Die feuchten Kleider rauschten in schweren Falten um ihre schlanke Gestalt, die Schuhnägel knirschten auf den Steinfliesen, und von den grauen Wänden hallten ihre festen sicheren Schritte durch das Schweigen ringsum wieder. An einer Türe blieb sie stehen und horchte. Innen rührte sich nichts als zuweilen ein leises Klappern oder das Knistern einer Zeitung. Sie saßen also wie gewöhnlich wieder stumm und matt beieinander! Wie die Mumien! Wie die Gespenster am lichten Morgen!

      Sie konnte sich nicht entschließen, gleich einzutreten. Das Kind auf dem Arm, blickte sie zu der Hallenwölbung empor, wo hinter einem erblindeten Fenster eilig die Frühlingswolken vorbeistrichen, und ihr Gesicht verfinsterte sich in einem harten, feindseligen Trotz.

      II

       Inhaltsverzeichnis

      In dem großen Saal, dessen altersgeschwärztes Eichenschnitzwerk und zerschlissene Gobelins in dem grämlichen Morgenlicht verschwammen, war alles still. Die drei alten Herren, die von dem lautlos auftretenden und schweigsamen schottischen Kammerdiener versorgt, um den halb abgeräumten Frühstückstisch saßen, hatten sich nichts zu sagen.

      Drei Brüder am Ende ihres Lebens. Da ist, was zu besprechen war, längst besprochen, und was nicht zur Rede kam, das bleibt auf immer ein Geheimnis des einen vor dem anderen. Ein langer Daseinslauf hatte sie einander entfremdet – von jenen fernen Tagen ab, wo die Knaben mit flatternden blonden Locken wie ein Rudel übermütiger Füllen durch den Schloßpark tollten, bis zu diesem fahlen Märzmorgen, wo die Greise stumm und fröstelnd, die Zeitung in der Hand, einander zugähnen.

      Oben am Tisch der römische Priester, geistvolle Habichtszüge unter kalt forschenden Augen, um die schmalen Lippen jenes feine Lächeln, das in dem menschenergründenden Vatikan sich allmählich wie eine Maske über dem eigentlichen, inneren Antlitz versteinert.

      Seine wachsartig weißen, mageren Hände blätterten in dem »Osservatore Romano« und der »Voce della Verita«, und zuweilen warf er auch bei dem Wenden der Seiten einen flüchtigen Blick hinein. Ob er wirklich darin las, war nicht zu erkennen. Und ebensowenig, woran er dachte, wenn er, die Jesuitenblätter sinken lassend und sich das schwarze Käppchen auf dem kahlen Haupte zurechtrückend, hinaus in die Wälder schaute. Es war, als sehne der verzärtelte Römling sich nach dem Süden zurück, als sei er ein Fremdling hier im Schlosse seiner Väter und dort an dem Tiber zu Hause, wo einst das Collegium Germanicum seine Pforten hinter dem Jüngling geschlossen und wo ihn jetzt aus dem tausendfach verschlungenen Treppen- und Zimmergewirr, den Kapellen, Museen, Gärten und Kasernenstuben der Papststadt jenseits der Engelsbrücke ein leichter Fieberanfall in das Mutterland gerufen hatte, das er nicht mehr kannte und nicht mehr liebte, dessen Sprache selbst nur ungelenk über seine Lippen floß.

      Neben ihm, von Frivolität das ganze rötlichgedunsene, mit einem pechschwarz gefärbten und aufgedrehten Schnurbart geschmückte Antlitz strahlend, der Jüngste der drei, der berühmte Pariser Lebemann, jetzt eine gefallene, unter Kuratel befindliche Turfgröße, ein ausgebrannter Krater von Unvernunft, Leidenschaft und Leichtsinn. Seine Bewegungen waren noch von einer gewissen zitterigen Elastizität, und wenn er des Nachmittags und oft die Nächte hindurch an seiner Lieblingsbeschäftigung in dem Mönchsdasein eines freudlosen Alters, an seinen Memoiren schrieb, dann zuckte es mit tausend Schlängelchen um die Lippen des alten Elegants, und ein dankbar gerührtes Lächeln verklärte das welke Gesicht. Gott sei Dank... er hatte doch etwas vom Leben gehabt! Seine Memoiren umfaßten vielleicht einen engen Ausschnitt des Daseins, aber den wenigstens hatte er mit dem Blick des vielerfahrenen Weltmanns in allen seinen Höhen und Tiefen ausgemessen. Er hatte Epochen in seinem Dasein gehabt, wo er sich in den Sensationen des Turfs völlig in einen Engländer verwandelte, er hatte dann eine Zeitlang an dem verschwiegenen Treiben gewisser kleiner deutscher Höfe Geschmack gefunden, bis die Liliputanerhaftigkeit dieser Ausschweifungen inmitten eines friedlichen Residenzleins ihm grotesk und widerwärtig erschien, und er war endlich in dem großen Hafen der Boulevards vor Anker gegangen, Jahrzehnte hindurch, mehr und mehr sich zum spöttischen und blasierten Pariser Klubmann wandelnd, bis endlich alles, Jugend, Geld, Gesundheit, dahin war. Da hatte er, nur gezwungen und wehmütig, ein Kreuz über ein Leben am grünen Tisch und auf dem grünen Rasen geschlagen, das ihm nichts weniger als verfehlt schien, und sich im Heimatsschloß verkrochen, das all die lange Zeit hindurch im Rauschen der Wälder, fern im Odenwald geduldig auf ihn wie auf so viele vor ihm gewartet. Und dank seiner Chamäleonsnatur blieben ihm auch diese düsteren Räume nicht lange fremd. Wie vordem Brite und Pariser, wurde er jetzt plötzlich deutsch, vertiefte sich im Archiv in die Geschichte seines Stammes und arbeitete in seinen ernsteren Mußestunden, wo er keine Lust empfand, die Skandalchronik der sechziger und achtziger Jahre von Petersburg bis Madrid in seinen Lebenserinnerungen zu mumifizieren, an einer Erweiterung und Fortsetzung der von einem Heidelberger Professor um die Mitte des Jahrhunderts verfaßten Geschichte des Hauses Wodenstein.

      Der ernste, strenge Mann neben ihm mit dem gefurchten Gesicht, dem weißen Schnurrbart und dem nach Art des alten Kaisers Wilhelm ausrasierten Vollbart, hatte dafür keinen Sinn. Er fühlte sich als preußischer General in allererster Linie. Im Jahre 1870, am blutigen Tage von Mars-la-Tour, als die »Todesritte« klaffende Lücken in die Reihen des deutschen Uradels rissen, und er, seiner Schwadron weit voraus, als erster in die feindliche Batterie hineinfegte, da hatte er den kriegerischen Mut seiner Ahnen glänzend bewährt und verdankte ihm eine rasche Friedenskarriere darauf. So war ihm, der mit seinem Blut und mit dem Eisen in der Faust an dem neuen Deutschen Reiche kitten geholfen, das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation, in dessen Dämmerschatten sein Stammbaum sich aufwärts verlor, nur noch ein leerer abgestorbener Begriff. Sein Leben gehörte der Gegenwart, seine Heimat war der Exerzierplatz, und als er gebrochenen Herzens vor einem Jahr von seiner Kavalleriebrigade Abschied genommen, weil seine Gesundheit es ihm verbot, noch weiter ein Pferd zu besteigen, da war ihm sein ferneres Leben völlig gleichgültig geworden. Er wußte, daß es nutzlos war, und wartete still in der Odenwaldburg, die so viele Krieger hatte vor ihm kommen und gehen sehen, auch das Ende seiner Tage ab.

      Nach außen war er immer gleichmäßig ruhig, ernst und höflich. Aber in einsamen Abend- und Nachtstunden kam zuweilen eine tiefe Wehmut über ihn. Es dünkte ihn wie ein Traum, daß er, der eisgraue Hagestolz vor langer Zeit einmal eine Familie besessen hatte.

      Vor langer, langer Zeit. Sie waren sehr glücklich miteinander gewesen. Er und seine Frau. Ein Jahr hindurch. Dann kam das Kind und starb. Zwei Tage nach ihm die Mutter.

      Er hatte nicht wieder geheiratet. Er konnte es nicht. Denn er fürchtete sich jetzt vor dem Schicksal. Einmal hatte er es durchgemacht. Mit dem ewigen Grauen vor einem zweiten solchen Schlage wollte er kein neues Glück erkaufen.

      Schließlich gewöhnt man sich an alles. Er saß ruhig, beinahe heiter am Tisch und studierte die Berliner

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