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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es hieß, daß es dort spukte. Nach Einbruch der Dämmerung wagte sich insbesondere ein weibliches Wesen um keinen Preis dorthin. Es lag da eine Grabplatte zur Erinnerung an einen russischen Offizier, der während der Freiheitskriege hier mit dem Pferde gestürzt, auf der Stelle gestorben und am nächsten Tage begraben worden war. Der »Ruß« sollte jetzt noch des Nachts da umgehen. Gesehen hatte man ihn seit lange nicht mehr und glaubte auch im Volke nicht mehr so recht daran. Aber das unbestimmte Grauen blieb.
Der Roué veränderte die Richtung seines Blickes und blinzelte die in Windungen sich zu Tale ziehende Straße hinab. Dort unten schritt die schlanke Jägerin durch Regen und Wind, in einen weiten Mantel gewickelt, den Kopf zurückgeworfen und so rasch und behende den abkürzenden Fußpfad von glitschrigem Lehm niederklimmend, daß der Diener hinter ihr mit dem Korb am Arm kaum zu folgen vermochte.
»Wir sind tot ... hast du vorhin gesagt ...« begann er. »Aber warum? Weil unser Blut müde und alt geworden ist! Keine Auffrischung von außerhalb. Ein ewiges Ineinanderheiraten mit anderem Uradel, der ebenso alt und müde ist wie wir. Und um uns ringt sich immer neues Leben in die Höhe und gebraucht seine Fäuste und Ellbogen und macht sich freie Bahn! Wie ich Wera da unten gehen sehe, muß ich wieder an ihre Mutter und deren Laufbahn denken! Ich hab' die alte Froningen noch in Wien als Operettensängerin gekannt, wie sie jung und mager war. Und ... schön ...« Der Alte küßte verklärt seine Fingerspitzen und schaute wieder der Jägerin auf ihrem Talweg nach. »Ihre Tochter da unten ist lange nicht so schön wie sie, aber das Beste hat sie doch: Was wir nicht mehr haben! Kraft ... Gesundheit ... Feuer ... Rasse ... Eine neue Zeit kommt! Es steigt von unten herauf. Neue Menschen! Neue Nerven! Neues Blut!«
»Ich danke für die Neuzeit!« sagte der General, während sie dem Schloßportal zugingen. »Mir graut bei dem Gedanken, daß ich noch lange im zwanzigsten Jahrhundert leben sollte. Mit Menschen ohne Glauben, ohne Ehrfurcht, ohne ... schau dir nur diesen Irion zum Beispiel an, zu dessen Frau unsere Nichte eben geht ... Da hast du solch einen Patron. Gift sind diese Sozialdemokraten! Gift ... Gift!«
Der Pariser lächelte zynisch. »Sie wollen uns wegnehmen, was wir haben! Das ist recht unschön! Ich gebe es zu. Aber wenn mich nicht alles täuscht, haben wir im Mittelalter anderen gegenüber denselben Grundsatz befolgt.«
Der General zuckte die Achseln. »Für derlei Witze bin ich unempfänglich!« murmelte er, und sie setzten stumm ihren Rückweg fort.
An dem Portal blieb der den anderen vorausgetrippelte Pariser stehen. Ärgerliche Neugier malte sich auf seinen Zügen, während er seinen Spazierstock hob und damit auf die am Eingang eingemeißelten Wisenthäupter deutete. »Welcher Lümmel erlaubt sich wohl hier Plakate anzubringen?« brummte er und setzte seinen Zwicker auf. »Da bin ich doch wirklich gespannt!«
Auch der Priester trocknete schon seine abgenommene Brille mit dem Seidentuch, um zu lesen. Aber vor den beiden hatte der hagere Preuße bereits die ersten Zeilen entziffert.
»...›Mutter ... was läuft der Herr Gendarm denn so?‹« ... buchstabierte er. »...›Still, Kind! ... Die Sozialdemokraten sind endlich im Dorf!‹...«
»Ah!« Mit einem zornigen Griff riß er das Blatt herab, zerknüllte es und stieß es mit dem Fuße weit weg ... »... Dreck! Dreck! Pfui Teufel! ... Ein sozialdemokratisches Flugblatt! Ich werd' dem Gärtner sagen, daß er den Dreck wegschafft ... und daß er entlassen ist, wenn das noch einmal vorkommt! ... Da hast du's, lieber Freund!« wandte er sich an den Jüngsten. »Diese Unverschämtheit ... im eigenen Hause ist man nicht vor der Fabrik da unten und der Eisenbahn und der ganzen Schwefelbande sicher, die seitdem aus Mannheim und Darmstadt herüberkommt und die Leute verhetzt. Das nennen sie nun Steigen der Kultur, wenn sie da unten Leder gerben und Treibriemen schnurren lassen und Schienen legen. Mag sein! Ich geb's zu. Aber das weiß ich: Mit der ersten Schiene und dem ersten Schornstein kommt auch diese verwünschte und vermaledeite Weltanschauung, die alles, was uns heilig ist, verhöhnt, die schließlich noch die Armee anfressen wird, bis der Teufel das ganze Reich holt. Ah ... an den Galgen sollte die Bande ... an den Galgen!«
»Wenn wir noch im sechzehnten Jahrhundert lebten!« sagte der Pariser und bemühte sich, dem mit langen Schritten der Treppenhalle zusteuernden alten Preußen zu folgen. »Im Bauernkrieg hat unser Ahnherr Eitelwulf wenig Federlesens gemacht. Da flogen die Köpfe, daß es eine Art hatte. Aber heutzutage haben wir ja keine Nerven mehr. Gregor hat ganz recht. Der Crapule gehört die Welt, und wir müssen sterben!«
Der bebrillte Mönch hinter ihm lächelte nur fein und stumm. Im Vatikan bangte man sich schon lange nicht mehr vor dem zwanzigsten Jahrhundert und seinen roten Gespenstern, längst hatte man im stillen den Zeiger der römischen Weltuhr nach der neuen Zeit gerichtet, getaufte Juden zu Kirchenfürsten gemacht und mit Republiken Freundschaft geschlossen. Mochte alles zusammenstürzen: Der Beichtstuhl blieb! von ihm aus beherrschte man die Weiber und mit den Weibern die Welt.
IV
Benedikt Irion, der Maschinenschlosser, stand, des Arztes harrend, vor der Türe eines am äußersten Ende des Dorfes gelegenen Bauernhäuschens, dessen mit einem kleinen Gemüsevorgarten, mit Monatsrosen und Nelkenstöcken am Fenster geschmückter Umgebung der Dunghaufen, das Kennzeichen des ländlichen Besitzes, fehlte, und blickte suchend die Straße entlang. Er war ein schmächtiger, schwindsüchtig aussehender Mann in den Dreißigern, auf dem auffallend intelligenten Gesicht jenen Zug von Verbissenheit und Resignation zugleich, der dem modernen Fabrikarbeiter eigentümlich ist.
Den Weg herauf kam ein Knarren und Keuchen.
Ein junger, stämmiger Bursche mit völlig blöden Zügen und erloschenen Augen, einen Zigarrenstummel im Mund, eine alte Militärmütze schief auf dem Kopf, zog einen leeren Handwagen hinter sich her. Hinten hatten zwei zwergartige, weißhaarige Leutchen die welken Hände an das Gefährt gestemmt und taten so, als schöben sie mit. Beide, das winzige Männchen mit dem verschrumpften Antlitz unter der fast haarlosen Pelzmütze, wie das zahnlose Weiblein mit den spitzen Kinderzügen, waren bettelärmlich gekleidet, aber sie schauten ganz freundlich in die Welt, während sie den Karren vor ihrem Häuschen, dem einzigen Hab und Gut, das sie auf Erden besaßen, hinstellten. Auch der ihnen von der Gemeinde in Pflege gegebene Dorftrottel, der den Wagen zog, grinste vergnügt und trollte sich, ein Stück erbetteltes Brot aus der Tasche ziehend, in den Ziegenstall rechts am Eingang, wo er aus allerhand Lumpen und Hadern sich ein Nest zurechtgemacht hatte.
»Gu'n Tag, Pilgerle!« sagte der Monteur.
»Gu'n Tag, Herr Irion!« Der Alte lüpfte die Mütze vor seinem Mieter. »Heut macht's bös' runner! Dees regnet was z'samme! Der Neckar steigt!«
»Bischt doch mit'm Karre drüwwe in der Schtadt gewese?«
»Ei – jeden Tag, Herr Irion! Sell is mei' Brot. Ich bring' die Sache vum Dorf hin und bring' die Sache vun der Schtadt her. Sell weiß ich gar net mehr anners! O mei – das treibe mei' Fraa und ich schon vierzig Johr' und mehr ...«
»E hart's Brot, Pilgerle! Alleweil im Sommer und Winter auf der Straß' ...«
»Besser e hart's Brot als gar keins! Wann's Hochwasser gibt und ich net nüwwer kann, dees is bös! Und üwermorge hawwe m'r wieder Hochwasser bei dem viele Rege!«
»Meinscht, Pilgerle?«
»Jo – sie hawwe ja schon von Heilbronn delegraphiert und gewarnt ... Jo ... jo ...« Der Alte schüttelte trübe sein weißes Köpfchen. »Jo ... beim Herrn Doktor bin ich gewese, Herr Irion, und er kummt bald her, nach Ihrer Fraa schaun, läßt er Ihne sage! Jetzt gleich könnt 'r net. Die ganze Schtub hockt em noch voller Leit' ... 's hott so arg. viel Krankheite im Dorf. Alle Kinner sin krank.«
Der andere hörte ihn nicht mehr. »Jetzt wer kummt