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Sie folgte ihm. »Einen Augenblick noch! ... Höre, bitte! Wulfi ist nicht ganz wohl!«

      »Ach – es ist nichts Besonderes!«

      »Hoffentlich – aber man muß vorsichtig sein, wo unten im Dorf durch die fremden Erdarbeiter so viele Krankheiten eingeschleppt werden. Ich lasse den Doktor holen!«

      »Den unten?«

      »Natürlich!«

      Er drehte sich um und blieb eine Weile stumm. Der Kammerdiener verließ auf einen Wink des Generals lautlos das Gemach.

      »Ich mag den Kerl hier nicht!« sagte plötzlich Graf Pius ganz laut und mit einer bei ihm ungewohnten Entschiedenheit des Tons.

      Sie schloß einen Augenblick die Wimpern, um sich Zeit zur Selbstbeherrschung zu lassen. »Und warum magst du den ›Kerl‹ nicht?« fragte sie dann gleichgültig.

      »Du weißt es recht gut! Ich habe es dir oft genug gesagt. Er kommt ja gar nicht als Arzt. Er ist ganz einfach dein Seelenfreund! Ewig sitzt ihr beisammen. Er liest dir was vor, du singst ihm was vor – dann geht ihr zusammen spazieren und disputiert über Gott weiß was und schreibt euch schließlich noch Briefe – alle Welt spricht ja darüber.«

      »Alle Welt!« Sie lachte. »Sage: wer ist denn das hier?«

      »Nicht nur hier! Auch anderwo. Überall in unseren Kreisen! Frag nur deine Eltern! Sie kommen ja heute zu Besuch, um mit dir zu sprechen!«

      »Auf deinen Wunsch!«

      »Ja – auf meinen Wunsch – weil ich die Geschichte mit dem Doktor satt hab'. Das geht so nicht weiter! Diese wachsende Intimität seit den drei Monaten, daß er hier ist. Wo bleibe ich denn?«

      »Du brauchst dich bloß zu uns zu setzen und mit uns zu gehen, statt deine Hirsche zu füttern oder stundenlang Zither zu spielen oder deine Briefmarkensammlung zu ordnen, wir haben wahrhaftig nichts vor dir zu verbergen, und du könntest viel von dem Doktor lernen!«

      »Natürlich – das ist ja ein Wundermensch!«

      »Gewiß – ein ganz ungewöhnlicher Mensch!« sagte sie. »Ich bin seelenfroh, daß ich den Verkehr gefunden habe. Ich war nahe daran, vor Langeweile er sterben!«

      Er lächelte eigensinnig und etwas bösartig. »Ein schöner Verkehr. Der Sohn eines Butterhausierers aus der Umgegend oder was weiß ich. Solche Leute werden heutzutage Doktor.«

      Da lachte sie hellauf. »Und was bin denn ich mütterlicherseits? Plebejerin vom reinsten Wasser! Aus irgend einem Steiermärker Bauernhof stamm' ich! Mein Großvater ist hinter dem Pfluge gegangen! Frage nur meine Mutter, wenn sie heute kommt! Sie erzählt ja mit Vergnügen aus ihrer Theaterzeit!«

      »Das weiß ich ja alles!« sagte Graf Pius verdrießlich.

      »Und du hast mich doch geheiratet, obwohl du wußtest, daß meine Mutter früher Operettensängerin war, ehe sie Freifrau von Froningen wurde. Also was hat dir denn der arme Doktor mit seiner plebejischen Abstammung getan? Was stört dich überhaupt unser freundschaftlicher Verkehr? Ihr werdet es mit dem vielen Gerede bloß dahin bringen, daß die Unbefangenheit zwischen ihm und mir aufhört. Und das wäre schade. Bisher sind wir wie zwei gute Kameraden. Und dabei soll es bleiben! Und das lasse ich mir nicht nehmen.«

      »Nenn' es Kameradschaft! Meinetwegen! Ich denke ja auch an nichts anderes. An nichts Schlimmes. Aber ich sehe doch, wie du seither gegen mich bist.«

      Wieder schloß sie, etwas betroffen, eine Sekunde die Augen, »Wieso hab' ich mich denn verändert?« fragte sie dann.

      »Ja – treibst du denn nicht Spott mit mir! Fragst mich, ob ich auf die Tigerjagd gehe? Sagst, ich solle bei deinem Doktor was lernen? Jawohl – das ist der Geist deines Doktors – sein Einfluß! Er hetzt dich auf und setzt dir allerhand Ideen in den Kopf, die...«

      »Ich habe noch nie mit ihm über dich gesprochen!« sagte sie kurz.

      Ihr Gatte erwiderte darauf nichts. Er blieb eine Weile reglos stehen, die Augen auf den Boden geheftet und mißmutig an der Unterlippe nagend. Endlich tat er, was seine Gewohnheit am Ende solcher Gespräche war: er ging plötzlich ärgerlich und ohne ein Wort weiter zu sagen aus dem Zimmer. Man hörte, wie er draußen nach Wegmann rief. Dann verklangen seine Schritte. Im Hofe winselten die zurückbleibenden Hunde, und alles war still.

      Vera sah ihm durch das Fenster nach. »Zu dumm!« murmelte sie halb zu sich, halb zu denen im Zimmer sprechend. »Soll einem denn alles genommen werden? Auch die letzte Anregung und Unterhaltung? Ich hause ja schon ohnedies wie die Fledermaus im Turm – hier in diesem verwunschenen Schloß. Und nun kommt endlich einmal ein Mensch, mit dem man reden und streiten kann ... und lachen ... ach Gott, ihr wißt ja alle gar nicht mehr, was Lachen ist...«

      Sie brach ab und drehte sich um. Nun erst sah sie, daß auch der General und der Priester, die keine Familienszenen liebten, leise den Speisesaal verlassen hatten. Nur der Pariser saß noch da, rauchte nachdenklich eine Papyros und musterte sie mit seinen immer noch stechend scharfen, von tausend Fältchen umrahmten Augen.

      »Wenn du so alt bist wie wir,« sagte er trocken, »lachst du auch nicht mehr!«

      »Aber ich bin jung.«

      »Und er ist jung. Das ist nun einmal der Lauf der Welt.«

      Sie ging gereizt auf ihn zu. »Onkel! Ihr könnt einen wirklich zur Verzweiflung bringen! Es ist ja wahrhaft beleidigend für mich, dies ewige – Bin ich denn ein Kind, das sich nicht selber hüten kann? Ich weiß doch, wer ich bin und was ich mir schuldig bin? Habe ich denn wirklich nicht das Recht, mit irgend einem Mann Freundschaft zu schließen, wenn ich fühle, daß er auf mich einen guten Einfluß ausübt? – einen erziehenden Einfluß, möcht' ich sagen!«

      Der alte Roué lächelte gutmütig. »Ach ja – Freundschaft –« sprach er. »Das ist ein schönes Wort, wie ich jung war, hab' ich es auch oft gebraucht.«

      »Ja – du!« Sie lachte schon wieder und sah ihn belustigt und mitleidig an. »Mißbraucht – willst du sagen, Onkel?«

      Der Klubmann erhob sich zitterig von seinem Stuhl. » Ma chère – wo sind da die Grenzen? Ich will das abgedroschene Schlagwort nicht wiederholen, daß es keine Freundschaft zwischen Mann und Weib gibt – aber wie man solch einen Seelenbund nun eigentlich nennen soll...«

      Sie unterbrach ihn heiter. »Seelenbund? Wie denkst du dir das eigentlich, Onkel? Meinst du, wir gehen spazieren und schwärmen so hübsch sentimental wie der Werther und die Lotte? Wir denken nicht daran! Im Gegenteil! Unsinn machen wir! Wir lachen! Oder vielmehr: der Doktor lacht mich gewöhnlich aus! Ihr wißt gar nicht, was für ein Mephisto in ihm steckt. Er glaubt ja an nichts auf der Welt als an sich und seine Bazillen. Über alles andere macht er sich lustig.«

      »Schön, Kind!« Der alte Herr zündete sich eine neue Zigarette an. »Ich bin zu alt zum Streiten. Bei mir hat jeder recht. Also tue du, was dir gefällt!«

      Sie warf trotzig den Kopf zurück: »Denk einmal, das werd' ich auch! Jetzt bring' ich Wulfi zu Bett, und dann geh' ich hinunter ins Dorf, nach der Irion sehen! Und bei der Gelegenheit bestelle ich den Doktor aufs Schloß – für heute mittag. Gerade wenn meine Eltern da sind! Sie sollen ihn sich nur anschauen, vielleicht lassen sie und ihr alle uns dann endlich in Ruhe.«

      Den Kleinen wieder auf den Arm nehmend, ging sie rasch aus dem Zimmer. Der Alte lächelte seltsam vor sich hin. Dann folgte auch er seinen vorausgegangenen Brüdern in den Garten.

      III

       Inhaltsverzeichnis

      Stumm und langsam wandelten die drei in beinahe gleichmäßiges Schwarz gehüllten Gestalten den noch mit moderndem Herbstlaub überschütteten, regenfeuchten Pfad unter dem kahlen Geäst der Ulmen auf und ab, der General leicht auf einen Stock gestützt, mit im Winde wehenden Bartstreifen, der Römer nachdenklich gesenkten Hauptes, die Hände auf dem Rücken, der Roué trotz seiner zitterigen

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