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ja – und dann, nach dem Nachtessen, hab' ich Ruhe – wenn ich nicht wieder herausgeklingelt werde. Dann hole ich Mikroskop und Präparate heraus und fange an zu arbeiten.«

      »Und wann schlafen Sie?«

      »Ach – man braucht nicht so viel Schlaf! Auf den Morgen hin fünf Stunden. Das genügt!«

      »Und das halten Sie auf die Dauer aus?« fragte sie bang, »Wenn Sie dabei nur nicht krank werden.«

      Er lachte gutmütig statt jeder Antwort, und sie sah von der Seite verstohlen auf sein gesundes, tiefgebräuntes Gesicht, über dem die mächtige Stirne in zwei hochgewölbten Höckern vorsprang. Nein! Der wurde nicht krank, der war von hartem Holz.

      »Das habe ich Ihnen übrigens noch gar nicht gesagt«, meinte er. »Jetzt ist mein kleines Laboratorium fertig.«

      »Der Bauschuppen hinter der Fabrik?«

      »Ja – er sollte jetzt abgerissen werden. Da sagt' ich zu dem Direktor: ›Sei kein Frosch und überlasse mir das Ding zur Benutzung! Ich habe große Entdeckungen vor. Dazu brauche ich Licht, Raum und Ruhe, drei Dinge, die ich in meinem Wirtshausleben im ›Baum zum Odenwald‹ nicht finde.‹ Darauf hat er es mir höchst elegant herrichten lassen.«

      »Und nun kommt die große Entdeckung?«

      »Ja,« sagte er gleichgültig.

      »Eine wirklich große Entdeckung?«

      »Eine Sache, die mich zum berühmten Mann macht und mir auch ein Vermögen bringt!«

      »Diese Entdeckung werden Sie wirklich ausführen? Hier?«

      »Ja.«

      »Das wissen Sie ganz genau?«

      »Ganz genau!«

      »Woher wissen Sie es denn aber?«

      »Das fühlt man doch!« sagte er und stülpte sich den Schlapphut fester auf den Kopf, um sich vor den Windstößen zu schützen. »Ist das ein greuliches Wetter heute!«

      » Was fühlen Sie denn eigentlich?«

      Er lachte. »... Daß die meisten anderen Esel sind ... kurz gesagt ... und ich keiner. Drum seh' ich Sachen, die die anderen nicht sehen.«

      »Aber Sie zeigen sie niemandem?«

      »Ihnen zeig' ich's, wenn Sie in mein Laboratorium kommen. Morgen früh ist's fertig eingerichtet. Aber das sag' ich Ihnen gleich: Sie verstehen nicht eine Bohne davon und gehen so klug weg, wie Sie gekommen sind.«

      »Macht nichts! Wenn Sie nur wollen, werden Sie mir schon einen Begriff davon beibringen. Sie wissen, ich bin ein gelehriger Schüler! Einen Eifer hab' ich ... ach, ich möcht' alles auf einmal nachholen. Also auf Wiedersehen nachher! Da oben kommt eben mein Mann von seinem bewaffneten Spaziergang zurück, Ich muß mich eilen. Adieu, Doktor!«

      Sie schüttelte ihm fest die Hand, und die beiden trennten sich.

      VI

       Inhaltsverzeichnis

      Der Doktor ging allein mit langen Schritten dem Dorfe zu. Wo das begann, wo es aufhörte, ließ sich kaum erkennen. Wie alle Odenwaldgemeinden zog es sich endlos am Talhang hin, ein Gewimmel von Häusern, Scheunen, Viehställen, dazwischen Ackerland, aus dessen frisch umbrochenen, speckig glänzenden Schollen ein würziger Duft aufstieg, Obst- und Wiesenstücke, Nutzgärten, dann wieder einmal ein Haus, eine Wäschebleiche, ein kleiner Steinbruch, ein, Kruzifix oder ein blumengeschmücktes Heiligenkästchen am Kreuzweg und abermals eine Reihe Wohnstätten, in der unmerklich ein Dorf in das andere überging.

      Einen Kern aber hatte doch jede Gemeinde: die Kirche. Um sie gruppierten sich das Wirtshaus, die Pfarrwohnung und das Schulgebäude und umschlossen einen freien, mit einem laufenden Brunnen gezierten Platz, in dem das Leben des Dorfes seinen Mittelpunkt fand.

      Ein dürftiges Leben. Die Gemeinde war, wie viele andere im Inneren des Odenwalds, arm. Sie hatte keinen eigenen Wald wie die behäbigen volkreichen Dörfer an der gesegneten Bergstraße und im Neckartal, die meist noch aus der Zeit stammten, da Karl der Große dem Kloster Lorsch in der Rheinebene den Wildbann im ganzen Odenwald verliehen. Düster standen über so vielen dieser im Tale zerstreuten Hüttenhäuflein die Jagdreviere der Großen des Landes, mit ihren ragenden schwarzen Tannenwänden längs der Berge hin eine Schranke ziehend zwischen Herren und Bauern – zwischen der Romantik und der Not ums tägliche Brot.

      Hier in den Taglöhnerhütten, den Häusern der kleinen Landwirte kannte man die Not. Sie war ein täglicher Gast im Tale, dessen geringer, abschüssiger, schwer zu bearbeitender Ackerboden nur den wenigsten Unterhalt bot. Sonst mußte, wer essen wollte, hinaufsteigen in die Wälder und für die schloßgesessenen Geschlechter, für die Domänen und Staatsförstereien arbeiten. Da fällte man oben im Winterwald bei Sturm und Wetter die Tannenriesen und zerrte sie an Eisenketten die gefrorenen Hänge hinab, da zwängte man ächzend die Wurzelstrunken aus dem beinharten Boden und klaubte sich das dünne Reisig zusammen, da schälte man im Frühjahr die Eichenknüppel und trug im Herbst die Ballen dürrer Laubstreu mit zitternden Knien stundenweit hinab, da klopfte man am Waldweg die Schottersteine und sah halbe Tage lang nicht unter dem grünen Augenschirm auf oder stand, den Bachsand durch das Drahtnetz siebend, bis an die Knie in dem strömenden Wasser und lebte doch nur von heute zu morgen, bis schließlich mancher sein verschuldetes Häuschen mit den paar Ziegen und dem Fleckchen Futterland dem Juden überließ und unten beim Krämer, dem Vertreter des Bremer Lloyd, sein Billet für Amerika bestellte, für das große Sammeldecken, in das alljährlich sich ein Strom vom Lebensblut des deutschen Volkes, ein Strom von deutscher Bauernkraft ergoß.

      Da war das eigentliche Dorf. Regenüberrieselt, mit spiegelnden Kotlachen, dumpfes Kuhgebrüll aus den Ställen, Hahnengekrähe vom hohen Mist und geschäftiges Gackern hinter Zäunen und Hecken, Hundegekläff, Hammerschläge, Sicheldengeln – der ganze Lärm des längst erwachten Arbeitstages in all seiner vielfachen kleinen Sorge und Mühe.

      Hart am Wege hin pilgerte, ein Gewimmel schmutziggelber, mit einem rostroten Kreuz gezeichneter Pelze, eine werdende Schafherde, von den hochbeinigen Hunden mit eifrigem Bellen umkreist. Der Hirt, ein alter Mann mit bartlosem Gesicht und langen weißen Haarsträhnen, kümmerte sich nicht darum. In seinem blauen Radmantel, den langen Krummstab an der Schulter, den Strickstrumpf in der linken Hand stand er da und buchstabierte, die welken Lippen bewegend, in einem durchnäßten Papier, das er in der Rechten hielt.

      »Do gucke Sie 'mal, Herr Doktor!« sprach er lakonisch, als der Kassenarzt herankam, und reichte ihm das Blatt.

      Der andere warf nur einen Blick auf die Anfangsworte: »Mutter, warum läuft der Herr Gendarm denn so? – Still, Kind, die Sozialdemokraten sind endlich im Dorf ... « Dann gab er dem Alten das Flugblatt wieder.

      »Das kenn' ich schon!« sagte er. »Die Bescherung is heut nacht gekommen ... in jedes Haus im Dorfe.«

      »Jetzt ... Herr Doktor ... was soll man dodermit mache?«

      »Wegschmeißen!« erwiderte der Doktor kurz und grob.

      Der Alte sah ihm nach, wie er die Straße weiterging. Dann ballte er das Papier zusammen, warf es auf die Erde und nahm phlegmatisch sein Strickzeug zur Hand. Der Wind spielte mit dem nassen Bogen und warf ihn endlich vor die Räder der gelben Postkutsche, die heute zum vorletztenmal vor ihrer Ablösung durch die Eisenbahn von dem zitterigen alten Postillon über die holperige Straße gelenkt wurde. Da klebte sich das kotige Blatt fest und rollte, bei jeder Umdrehung der Räder von neuem aufleuchtend, weiter in die Welt.

      Aber auch sonst war es überall zu finden, vor dem Hause des Bürgermeisters, eines vierschrötigen untersetzten Bauern mit kupferbraunem Gesicht und grauem Wollhaar darüber, der eben gemächlich pfeifend an der verstopften Jauchepumpe herumbastelte, lag es unten im Dung, es flatterte, halb herabgerissen, an dem blauen Postbriefkasten des Wirtshauses »Zum Baum im Odenwald«, es hing an der Mauer des gegenüber befindlichen,

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