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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Jetzt war der Doktor wirklich aufgestanden. »Den Unsinn hat dir natürlich deine Frau in den Kopf gesetzt,« sagte er, »und die hat's wieder von der Frau Gutsverwalter, und so geht das weiter. Aber ich hab' wirklich keine Zeit, das Weibergeschwätz anzuhören ...«
»Das sollst du auch gar nicht. Ich hab' dir nur mitgeteilt, daß es allgemein auffällt. Basta!«
Der andere hing sich den Mantel um und griff nach Hut und Stock. »Ihr seid zu ungeschickt!« brummte er. »Selbst wenn's so wäre – ist es nicht zu dumm, dann die zwei Leute erst mit Fleiß darauf zu stoßen ›he – wie ist's, habt ihr wirklich nichts miteinander?‹ Damit erreicht man höchstens das Gegenteil. Das kannst du jedem und jeder sagen, die's angeht!«
»Mit deiner Grobheit beweist du gar nichts, Doktor!« sagte der Fabrikant, »und an etwas Schlimmes glauben wir natürlich nicht! Es ist nur so ungewöhnlich ...«
»Was denn?« Der andere wurde zornig. »... Daß ein vielgeplagter Mensch, der die traurige Aufgabe hat, all euch klägliche Schöpfungsprodukte hier zurecht zu flicken – und rings Bettelvolk und Schmutz und Häßlichkeit – daß es den freut, einmal nicht bloß die Leiber zu kurieren, sondern ein ... Arzt der Seele zu sein ... in eine Frauenseele hineinzuleuchten, in eine ganz unberührte, schlafende Frauenseele und sie aufzuwecken ... Das ... das ist doch etwas ganz anderes als bei uns Männern ... unser plumpes Räderwerk da innen – das ist eine Offenbarung! Gott weiß, was da nebeneinander Platz hat und zugleich im Gange ist, wenn man es erst einmal belebt. Da soll ich wohl euch zuliebe darauf verzichten? Fällt mir nicht ein! Das ist für mich etwas ganz Neues im Leben – was hab' ich denn sonst von diesem Hundeleben hier und überhaupt von meinem ganzen Leben? Ewig Arbeit und wieder Arbeit und noch einmal Arbeit! Das da – das ist meine Erholung! Meine Freude! Da bilde ich etwas! Da schaffe ich etwas! Da bring' ich einen tapferen, klugen Menschen, den man sein ganzes Dasein hindurch sträflich verwahrlost hat – den man hat förmlich verschimmeln lassen in muffigen Schlössern und Klöstern – da bring' ich den Menschen zu sich selbst, zum Gebrauch seiner Vernunft und seines Willens, daß er sich endlich seiner selbst freut und ich mit ihm. Und ob dieser Mensch zufällig lange Haare hat und Gräfin ist, das ist mir vollkommen gleich! So – nun weißt du's! Die Esel, die hinter jeder Schürze her sind, die begreifen natürlich nicht, daß es so was gibt. Freundschaft mein' ich. Aber es gibt es doch! Oder besser noch – das ist ein Verhältnis wie zwischen zwei Kameraden, einem älteren und einem jüngeren! So soll es doch zwischen Mann und Weib sein! Oder erziehst du etwa nicht an deiner Frau herum? Ich seh's doch alle Tage.«
»Gewiß. Das ist die Sache des Ehemannes! Und ihr Mann ...«
»Der Graf? Das ist doch ein Trottel. Über den kann man doch nicht reden! Wenn er vernünftig wäre, wär' ich freilich überflüssig. Aber er ist es nicht. Sitzt da und sieht nicht einmal, was ihm das Glück in den Schoß geworfen hat. Prügeln möcht' man solch einen Kerl ...«
»Aha!« sagte der Fabrikant und nickte. »Jetzt kommt's zu Tage!«
Der andere brach ab. »Das ist natürlich nur 'ne Redensart! Aber der Teufel soll da nicht wild werden, wenn ihr ewig bohrt und stichelt und hinterm Rücken tuschelt und Gesichter macht, als wäre Gott weiß was los. Ich sage noch einmal: Es ist zu dumm! Mit solchem Mißtrauen und argwöhnischem Gerede hetzt man die Leute höchstens dahin, wo sie gerade nicht hinsollen und nicht hingehören. Das ist das Ende. Und wenn mir jetzt noch einmal einer mit der Geschichte anfängt, dann werd' ich grob!«
»Darauf wäre ich nach deinen Leistungen eben wirklich gespannt!« sagte der Hamburger kaltblütig. »Aber ich will es lieber nicht probieren. Adieu und vergiß nicht: heute abend um sieben Uhr bei mir Festlichkeit im kleinen Kreis als Vorfeier zur Eisenbahneröffnung.«
»Ja, ich werd' schon kommen!«
»Hoffentlich! Meine Frau kann zwar als freie Amerikanerin nicht kochen, aber sie phantasiert schon die ganze Zeit von Büchsenspargel, Büchsenhummer und Büchsenfleisch, als lebten wir mitten in der Welt und nicht als Sträflinge in Sibirien. Also jetzt gehst du aufs Schloß?«
»Jetzt gehe ich aufs Schloß!« Der Kassenarzt stülpte sich unwirsch den Schlapphut über die Stirne. »Du kannst es durch den Gemeindediener im Dorfe ausschellen lassen, daß ich wieder einmal oben bin – wenn dir die drei Mark nicht leid tun. Ich werd' mich den Kuckuck um euch kümmern ...«
VII
Wegmann, der schwarze Jäger, ging, mißmutig an einem Grashalm kauend, hinter seinem Herrn her durch den Wald. So sehr er heute morgen bei der Auerhahnjagd Feuer und Flamme gewesen, so wenig behagte ihm dieses müßige Schlendern über Stock und Stein, dies zwecklose Betrachten des da und dort in der Ferne sichtbaren Wildes. Freilich war ja ohnedies jetzt Schonzeit. Aber auch die ewig vogelfreien Räuber des deutschen Forstes – die buntgefiederten, überall krächzenden und krakeelenden Eichelhäher, die Kolkraben, die Weihe, die, schwer die Flügel spannend, aus dem Eichenwipfel abstrich – sie alle waren vor seinem Schrothagel sicher. Graf Pius liebte keinen Schuß. Ihm genügte es, sein Parkrevier zu durchmustern, wie der Landwirt die werdenden Kühe und Schafe zählt, ohne Mordgedanken in der Seele, mit einem stillen Behagen, daß alle diese friedlichen Geschöpfe sein sind und seinen Reichtum vermehren.
Man hatte bereits den Karpfenteich besucht, auf der Salzlecke das Gewimmel des langohrigen, buntgescheckten Damwilds beobachtet und aus der Saubucht ein behagliches Grunzen und Schmatzen schallen hören – jetzt befanden sich die beiden außerhalb des kleinen Wildparks im freien Hochwald, plötzlich machte der Jäger eine jähe Bewegung und faßte, wie eine Katze vorspringend, seinen Gebieter am Arm, der – über diese Vertraulichkeit erschrocken – ganz verdutzt haltmachte. »Do drüwe!« zischte er zwischen den Zähnen. »Dort drüwe steht er und wildert! wart norr! Jetzt hot's geschellt! Alterle – dir kumm' ich!«
In dem Gebüsch, in ziemlicher Entfernung kniete ein langer, wüster Geselle, die Stummelpfeife im Mund, und hantierte mit irgend etwas am Boden. Von unten her schaute er auf die beiden, lächelte spöttisch, stand langsam auf und schlenderte, die Hände in den Hosentaschen, auf die Landstraße zurück.
»Er Hot Rehschlinge im Sack!« flüsterte der Büchsenspanner, vorwärts drängend. »Ich möcht' mich druff verschwöre! Er hot Rehschlinge!«
Aber sein Herr hielt ihn zurück. Der Kerl, der jetzt mit großen Schritten dem freien Felde zuging, sah zu unheimlich aus. »Wer ist denn das, Wegmann?«
»Er heißt Bazaine! Aus 'm Elsaß! Er sagt, er war' Deserteur aus der Fremdenlegion, vorigen Winter hot er ganz tief im Schnee des Abends uff'm Grenzhof angeklopft, und der Stabhalter, der Kaltschmidt, hot ihn behalte. Gnädiger Herr« – er zwang den Grafen beinahe, mit ihm den Weg hinter dem Wilderer einzuschlagen – »seller is der Ärgscht', wo wir hier hawwe! Ich weiß, wer vor drei Woche aus 'em Busch 'raus auf mich geschosse hot, daß ich die Kugel hab' pfeife höre! Sell gedenk' ich dem! Den bring' ich noch nach Mannheim vors Schwurgericht!«
Aber je rascher der zornige Bursche ausschritt, desto mehr beschleunigte auch der lange Geselle vor ihm, scheinbar ganz zufällig, seine Gangart. Endlich fing sein Verfolger, ohne sich um den Grafen weiter zu kümmern, zu laufen an. Aber kaum hörte der andere das Klappern der Nägelschuhe, so tat er, als sähe er auf seine Taschenuhr, machte eine Bewegung des Schreckens und rannte wie ein säumiger Knecht, der Schelte fürchtet, die Hände in den Hosentaschen, auf das Ackerland hinaus.
Wenige hundert Schritte vom Waldrand entfernt lag dort als böser Nachbar das ewige Ärgernis der gräflichen Förster, der seit Jahrhunderten durch seine Wilderei berüchtigte Grenzhof.
Es war nicht ein einzelnes Gebäude, sondern bestand nach Art dieser, meist einsam im Odenwald gelegenen Weiler, aus mehreren stattlichen