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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die beiden sahen sie an und lachten. »Also auf Wiedersehen in Tetuan!« Der Fremde lüftete den Hut. » ... wenn Sie gegen Mittag da sind, werden wir ja ...« Er stockte plötzlich und fuhr mit der Hand nach der Herzgegend. Es war, als ob er nach Atem ringe.
Klara trat erschrocken auf ihn zu. »Was haben Sie?«
»O nichts!« sagte er schon wieder mit seiner gewöhnlichen Stimme. »Es vergeht sofort. Eine kleine Quetschung von einem Sturz vorhin. Also nochmals, gute Nacht!«
Seine Gestalt verschwand in der Dämmerung, die schon schwer über dem Hofraum lag. Gleich darauf hörte man draußen in arabischen Worten seine befehlende Stimme und das Klappern der Hufe auf dem Steingeröll.
Die blonde Malerin stützte den Kopf auf die Hand.
»Ich möchte wissen, wer das war!« sagte sie nachdenklich. »Nichts Gewöhnliches gewiß. Er spricht arabisch und kommt aus dem Innern. Vielleicht ist es ein berühmter Forscher ...«
» ...und wenn du ihn dir morgen bei Licht besiehst, ist es ein Reisender in Matjesheringen und baumwollenen Phantasiestoffen«, murmelte mit ihrer tiefen Stimme die skeptisch angelegte Älteste, die lang und düster wie ein schwarzer Schatten neben ihr stand.
Klara lächelte nur und erwiderte nichts. Hoch oben verlor sich das Klappern der Hufe, und rastlos rauschte der Regen über Marokko.
3.
Der Regen rauscht, die Wolken fliegen – weiter, immer weiter durch das dämmernde Land. Stunde um Stunde verstreicht im Zwielicht zwischen Tag und Nacht, unter den Hufen fliegt der Boden, Gebüsch und Bäume gleiten rechts und links vorbei – so fließt die Welt dahin, so rollt das Leben in das Meer der über den Berggipfeln aufflutenden Nacht ...
Wozu lebst du? Was treibt dich ruhelos vorwärts – zu immer neuem Begehren, neuer Erfüllung, neuen Wünschen, wo nur das eine sicher ist, das Ende, das all unser vielfach verschlungenes Hasten und Mühen auslöscht, wie das Kind ein Rechenexempel mit feuchtem Schwämme von der Schiefertafel wischt? Von Tag zu Tag zerrinnt das Dasein unter deinen Händen, unaufhaltsam, unwiederbringlich. Nutze es, ehe es zu spät ist.
»Ärra ... ärra ... rrrschât!« Die Berberknechte treiben die Tiere an. In langen Galoppsprüngen geht es weiter und weiter in das dunkle Land hinaus. Was dahinter liegt, versinkt im Schatten, was vorne ist, ruht in geheimnisvollem Grauen, im Dämmern liegt rechts und links die weite Welt.
Die weite, in abenteuerlichen Querfahrten so oft durchmessene Welt! Bunte Bilder weben im Kopf des einsamen Reiters, der da, fiebergeschüttelt, im schaukelnden Sattel nach vorn gebogen, wie im Traum den Nachtwind um die Ohren brausen fühlt.
Das Brausen wird stärker und stärker. Es sprüht mit kaltem Salzhauch ins Gesicht, klagende Möwenschreie dazwischen – jawohl, da ist das Meer! Blutrot steht die Mitternachtssonne über den tiefblauen, von weißem Schaum gekrönten Fluten des Eismeers, wie geschmolzenes Gold ruht ihr langer zitternder Widerschein auf der unendlichen Fläche, von den unerforschten Höhen des Nordpols hin bis zur Küste Lapplands, wo in mattviolettem Glanz die Schneefelder grüßen und der Vollmond aschgrau und trübselig, als schäme er sich seiner Verwandlung, zwischen rosig lachenden Lämmerwölkchen dahinsegelt. In der Ferne blasen die Walfische ihren Wasserstaub in die Luft, die Heringsschwärme ziehen, am Ufer wirbeln, Tausende von weißen Flocken, die Möwen, und der faulige Geruch des Seetangs weht herüber ...
Nein – das ist ein anderer Dunst. Der süßliche Pestbrodem der afrikanischen Sümpfe. Das Fieber dampft aus den reglosen Lachen, aus denen weit in der Runde die schlanken Palmenbäume aufschießen. Hoch oben in der Luft wölben sich ihre buschigen Federkronen, auf leicht geneigten Stämmen einander grüßend und fliehend, und hinter den beinahe schwarzen, langgefiederten Wedeln steht dräuend ein großes blutrotes Ding am Himmel. Die Sonne geht unter, die Sümpfe dünsten, nichts regt sich in dem weiten Säulenwald der Palmen. Nur dort, in der Ferne, zwischen den braunbehaarten Wurzeln, scharrt und schmatzt ein einsamer, pechfarbener Eber. Sein Grunzen tönt zuweilen herüber, über den Pfützen steht der weiße Abendhauch, das Fieber kommt und wird stärker und stärker ...
Wer da reine Luft schöpfen könnte – hoch oben auf den ewigen Höhen. Nur wenige Schneehügel noch – dann sind wir oben. Auf der Spitze des Montblanc. Rings ist die Welt geschwunden. Fürchterlich stahlblau der Himmel über uns, eishart knirschend der Firn unter dem Nagelschuh. Die Brust wölbt sich. Sie lechzt nach Atem. Nur langsam – weiter, immer weiter empor. Wie der Adler über den Wolken kreist, gleichgültigen Auges eine Welt unter seinen Fittichen messend, dem Himmel näher als der Erde, die tief unten mit ihren kleinen Ländern, ihren Städtchen und ihrem Menschengewimmel als ein Ameisenhaufen verschwimmt ...
»Tetuan, Herr!« Der maurische Diener war mit zwei Galoppsprüngen an der Seite des Reisenden und wies in die Ferne. Ein schneeig weißer Streifen zog sich dort langgestreckt über einen Bergkamm hin, wie eine Märchenstadt durch das Abendgrauen grüßend.
Aus seinem Träumen erwachend, fuhr der Fremde im Sattel empor und blickte um sich. Längst hatten sie den Höhenpaß und den von ihm niederführenden Bergpfad hinter sich gelassen. Um sie dehnte sich in unbestimmten Umrissen eine weite, von wildzerrissenen Gebirgen umrahmte Ebene, von nichts anderem belebt als den rasch weiterwandelnden fernen Schatten der Kamelkarawane. Da und dort, an den Flanken der Berge, ein einsam flackerndes Nachtfeuer, aus den Gestrüpphalden, hoch von oben her das Geschrei sich balgender Hirtenjungen, fernes Kuhgebrüll und Eselgejammer, Windesraunen und pfeilschneller Wolkenflug um die Zacken des Atlasgebirges am Himmel.
Schon auf der Wetterscheide des Höhenpasses hatte der Regen aufgehört. Der Mond lugte ab und zu aus den im Sturm treibenden Wolkenfetzen und erhellte das weite Flachland, das Schlängelband des Habesch, der träge durch die Steppe seine Silberfluten dem Mittelmeer zurollte, und die weißgetünchte hohe Brücke darüber, eine ganze Brücke in dem verrotteten Land, in dem sonst neben zertrampelten, schlammerfüllten Kamelfurten nur Trümmer eingestürzter Viadukte an die Römerherrlichkeit erinnern.
»Ärra! Ärra!« Die Pferde schnauben, im Silberlicht der aufsteigenden Mondsichel blitzen die Gewehrläufe der vorausjagenden Berber, die Hufe klappern funkensprühend über den Boden. – Weiter, immer weiter, im Galopp über Stock und Stein, durch plätschernde Rinnsale, über aufgeweichtes Ackerland, quer durch grünwogende junge Saat dem weißdämmernden Höhenstreifen in der Ferne zu, der allmählich in den Fluten der Nacht versinkt, einer kalten afrikanischen Höhennacht mit dunklen Wolkenballen um die Zacken des Affengebirges und feinem Rauchfrost auf dem funkelnden Spiegel des Habesch.
Da tauchten die Schatten der Kamelkarawane aus dem Dunkel auf, der weißgekleidete Marokkaner an der Spitze, das Gewimmel eilfertig trabender Esel, der verschleierten Weiber und wollhaarigen Negersklaven rings um die schwerfällig wandelnden, dummstolz die abscheulichen Köpfe wiegenden Trampeltiere. Etwas abseits sprang der Nachwuchs der Karawane, ein Kamelkalb und zwei Pferdefüllen, die nur der Abhärtung wegen die Reise mitmachten, lustig durch Gras und Gestrüpp. Wie sie da im Mondschein mit unglaublich langen, schlenkernden Beinen und nickenden Dickschädeln ihre Kapriolen ausführten, glichen sie mehr einem großen und zwei kleineren Bergkobolden als den geplagten und geduldigen Wesen nebenan auf der Saumstraße.
Vorbei! Vorbei! Ohne Gruß – fast ohne Blick, in gegenseitiger Verachtung! Der Europäer sieht hochmütig auf den halbwilden Nomaden herab, und dem wieder ist der Christ ein halb gefährliches und angstgebietendes, halb unreines und lächerliches Geschöpf. Die Kamelkarawane blieb in der Nacht zurück. Wieder war rings die Einsamkeit der Steppe. Aber da und dort lohten aus ihr die Wachtfeuer der Hirten, blitzten, fast aus den Wolken heraus, die Lichtpunkte hochgelegener Bergdörfer und huschten Schattengestalten lautlos durch die Nacht dahin. Die Nähe der großen Maurenstadt machte sich bemerklich.
In einer halben Stunde war man am Ziel! Bei dem Gedanken daran pochte das Herz des nächtlichen Reiters,