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großen Zisterne!«

      »Das sind wirklich traurige Aussichten!« sagte die Schwarzgekleidete düster. Aber jetzt verlor die blonde Malerin die Geduld. »Kinder!« sagte sie und lachte hellauf wie ein sorgloser Junge. »Tut mir den einzigen Gefallen und seid nicht so zimperlich! Was sein muß, muß sein! Wir sind nun einmal hier, und von dem Gejammer wird's um kein Haar besser! Was wollt ihr denn überhaupt? Wir sind doch nicht zum Vergnügen in Marokko!«

      »Nein!« bestätigte die Älteste knapp, und die Kleine wiederholte mit einem tiefen Seufzer der Überzeugung: »Nein. Zum Vergnügen sind wir nicht in Marokko.«

      Sie brach mit einem halblauten Schreckensruf ab und klammerte sich schutzsuchend an die Schwestern an. Dicht vor den dreien drängte sich, lautlos herbeigeschlichen und wie aus der Erde gewachsen ein Trupp Rifkabylen, wildblickende, klapperdürre Gesellen, als einzige Kleidung einen braunen Fetzen umgehängt, unter dem die langen wadenlosen Beine sich mit Katzentritten über das Geröll schoben, die buntverzierte Radschloßflinte in der Rechten, das sonst kahlgeschorene Haupt hinter den Ohren mit seltsam gedrehten und eingefetteten Ringellöckchen und Haarbüscheln geschmückt.

      »Ich denke, sie wollen Kaninchen gegen Tabak umtauschen!« erläuterte der Kurier und wies auf die ausgeweideten kleinen Bälge, die zur Linken der schmutzfarbenen Gesellen baumelten. Sehr wohl schien auch ihm bei der unverhofften Begegnung nicht zumute.

      Martha allein beherrschte die Situation. »Vorwärts, in die Karawanserei!« befahl sie unter ihrem aufgespannten Schirm, ohne die Wilden eines weiteren Blicks zu würdigen. »Hilda, nimm das Insektenpulver! Gib acht, daß es nicht naß wird. Wir brauchen's. Klara trägt ihren Malkasten, ich das Huhn und die Orangen, der Führer das Zelt. Los! Ich habe keine Lust, hier in aller Stille umgebracht zu werden!«

      Sie stapfte, sich nach Kräften schürzend, durch den unergründlichen Schmutz dem Hofraum zu. Die anderen in trübseligem Gänsemarsch hinterher durch Regen und Wind den Flöhen von El-Fondak entgegen.

      Um das Innere des Karawanenhofes lief eine Art offene Holzgalerie, die Schutz vor dem Regen und frische Luft bot. Hier ließ sich der Einzug in das gefürchtete, den Oberstock eines turmartigen Vorbaus bildende Nachtquartier noch am längsten hinausschieben. Es dämmerte bereits. Müde, frierend und schläfrig saßen die drei Schwestern, dicht aneinandergekauert wie die Vögel im Nest, auf ihren Holzschemeln, Hühnerknochen und Apfelsinenschalen auf dem Zeitungspapier im Schoß, und schauten in den Hof hinaus.

      Viel war da nicht zu sehen. Kein Mensch und Tier auf der weiten Fläche von Urschlamm, in dem der unablässig niederströmende Regen allmählich die hundertfachen Spuren von Menschensohlen, Roßhufen, Kamelballen und Hundepfoten verwischte und mit trübe spiegelnden, von den Ringen der fallenden Regentropfen durchzitterten Schmutzlachen überzog. Es wurde unangenehm kalt. Fern über dem grünen Buschwerk der Berghänge brauten Streifen von dampfendem Nachtnebel.

      » ... Wer jetzt in Dresden wäre ...«, sagte plötzlich Hilda sehnsüchtig und verschlafen.

      Die anderen erwiderten nichts. Freilich ... Dresden mit ihrem warmen, traulich eingerichteten Nest, mit Klaras Atelier darüber, mit allem Freundlichen und Gewohnten, während hier ... Hier heulte der Wind zwischen kahlem Gestein und rauschte der Regen vom Himmel. Kein Mensch ringsum – denn die schattenhaften, halblaut gurgelnden Gestalten, die ab und zu an der Schwelle des dämmernden Innenraums erschienen, waren doch ganz andere, unheimliche Wesen als die Leute daheim. Sah doch selbst der hochbeinige gelbzottige Hund, der scheu auf sie zuschlich, mehr wie ein Raubtier als wie ein Hausfreund aus ... Es war zu trostlos! In Tanger hatte man doch noch ein Hotel gehabt, Europäer, mit denen man sprechen konnte, ein Schiff, das in wenigen Stunden nach Europa fuhr ...

      » ... wenn wir morgen wieder nach Tanger zurückritten?« Die Kleine sagte das halblaut wie vor sich hin, hielt die Augen halb geschlossen und wartete mit klopfendem Herzen die Wirkung ihrer Worte ab.

      Zu ihrem Erstaunen erwiderte Martha gar nichts. Aber zu gleicher Zeit fühlte sie von der anderen Seite her einen derben Klaps auf der Wange und sah das hübsche Gesicht der blonden Schwester ihr halb belustigt, halb ärgerlich zugewendet.

      »Au!« sagte sie weinerlich. »Du bist recht häßlich, Klara!«

      »Ach was – au!« Die junge Malerin stand auf und nahm lachend ihre beiden Hände. » ... Sag' mal, Hilda, ... weißt du nicht, daß wir Waisen sind und kein Geld haben?«

      »Ja, Klara.«

      » ... und daß ich also für uns alle drei Geld verdienen muß?«

      »Ja, Klara!«

      »Warum machst du mir dann das unnütz schwer mit deinem Gequengel? Ich wäre auch lieber in Dresden. Aber ich red' nicht davon, denn es hilft ja nichts.«

      »Ja, Klara!« Die Kleine küßte sie und trocknete sich die Tränen. »Ich bin eben so ein Schaf. Ich wollt', ich wäre wie du!«

      »Lieber Gott!« Die Malerin lachte. »Ich bin kein Wundertier! Ich sag' mir einfach: das und das muß geschehen! Also will ich es tun, und tu's! Das ›Ich will‹ ist das Geheimnis. Damit kommt man überall durch.«

      »Das ist das erste vernünftige Wort, das ich seit längerer Zeit höre!« sagte hinter ihr eine Männerstimme. »Der erste Gruß der Kultur! Und noch dazu gleich in deutscher Muttersprache! Guten Abend, meine Damen!«

      Klara drehte sich um. Es dämmerte schon so stark, daß sie nur noch die Umrisse des Fremden erkennen konnte, einer mittelgroßen Gestalt in fremdartigem, halb arabischem Reitanzug.

      »Guten Abend!« versetzte sie etwas beklommen. »Woher kommen Sie denn auf einmal? Ich hab' Sie gar nicht in den Hof reiten hören.«

      »Meine Leute sind auch draußen geblieben. Ich lasse bloß umsatteln. Ich hatte ein kleines Malheur mit meinem eigenen Pferd. Nun nehme ich das eines Berbers, der mit mir ist.«

      »Und dann wollen Sie heute noch weiter?«

      »Sowie mein englischer Sattel auf dem Gaul liegt. Nach Tetuan.«

      »Da kommen Sie aber spät in der Nacht an!«

      »Ich habe einen Regierungsaraber mit! Man muß mir öffnen!«

      »Ach so ... ja!« sagte die Malerin. Sie fand sich allmählich in die seltsame Lage, im Dämmern mit einem ganz unbekannten Mann zu sprechen. »Sie finden übrigens dort Gesellschaft.«

      »Das ist's ja eben!« Der Fremde trat einen Schritt näher. »Deswegen erlaubte ich mir ja, Sie anzusprechen! Ich brach nämlich vor acht Tagen von Fez nach Tanger auf ...«

      »Aber dies hier ist doch nicht der Weg von Fez nach Tanger ...«

      »Nein. Ich wollte in Tanger die Jacht ›Liberty‹ treffen. Haben Sie sie vielleicht gesehen?«

      »Das schöne, schneeweiße Dampfschiff, das dem russischen Petroleumkönig gehört? Ja, gewiß, das liegt dort.«

      »Nun hörte ich heute morgen von ein paar Arabern, die Herrschaften von der ›Liberty‹ seien nach Tetuan geritten! Da schlug ich den Haken und jagte von dem Fezweg herüber nach El-Fondak.«

      »Ja ... das heißt, der Besitzer der ›Liberty‹, der kleine, glattrasierte Herr, ist nicht mit! Der ist in Tanger geblieben. Aber seine Tochter mit zwei Freunden ist allerdings nach Tetuan unterwegs.«

      »Haben Sie sie selbst gesehen?«

      »Ja. Aus der Ferne. Sie haben uns schon mittags überholt mit ihren guten Pferden.«

      »Ich danke bestens für die Auskunft. Darf ich Ihnen mit irgend etwas dienen?«

      »Danke, nein. Wir müssen uns schon die Nacht hier so behelfen. Morgen kommen wir auch nach Tetuan zu Studienzwecken.«

      »Ach so ... das heißt ... die Damen sind Malerinnen?«

      »Ich habe es für einen Leipziger Verleger übernommen, die aus dem Englischen übersetzte Reisebeschreibung einer Dame zu illustrieren. Unglücklicherweise mußte die Dame gerade durch Marokko reiten. Also muß ich dasselbe tun. Meine älteste Schwester begleitet

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