ТОП просматриваемых книг сайта:
Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ja, es schien, als blickten selbst die Kamele, die, stolz auf zottigem Schlangenhals die blitzdummen Schädel wiegend, in dem Gewühl hinwandelten – als blickten selbst diese Trampeltiere peinlich berührt von ihrer Höhe auf die drei Damen am Wege hernieder!
Drei Europäerinnen mit unverschleiertem Angesicht, dessen Züge jeder Mann nach Belieben betrachten konnte – jawohl, in Tanger drüben am Meer war man solche Schamlosigkeit gewohnt! Da ritten die Damen der Gesandtschaften frank und frei, von den Kawassen begleitet, bei lichtem Tage über den Markt oder ließen sich gar nach Sonnenuntergang von maurischen Trägern in einer Sänfte aus dem Hause schleppen, um – es klang unglaublich, aber, bei Allah! viele Rechtgläubige hatten es gesehen! – um in einer fremden Wohnung mit fremden Männern die Nacht durch zu plaudern, zu speisen und zu tanzen! Aber Tanger war weit! Eine kleine Tagereise von dem einsamen El-Fondak entfernt, unter dessen Mauern die Damen ihr Zelt aufgeschlagen hatten.
Was hatten Europäerinnen hier zu schaffen? Noch dazu ohne männlichen Schutz, nur in Begleitung eines braunen Hotelkuriers aus Tanger und zweier alten, höchst zweifelhaft ausschauenden Regierungssoldaten?
Muley Hassan warf – seitlings, um seiner Würde nichts zu vergeben – im Vorbeireiten einen Blick auf die dicht am Wege sitzende Lady und sah mit Schrecken, daß die ihn unverwandt anstarrte – eine Frau einen fremden Mann! Bei Allah, es gab viel Sünden auf der Welt! Dann senkte sie ihren hübschen Blondkopf über eine Art Mappe, die sie mit der Linken auf den Knien festhielt, schrieb oder kritzelte irgend etwas darin und richtete wieder forschend ihren ruhigen Blick auf die malerische, ganz in Weiß gehüllte Gestalt des greisen Wüstenpatriarchen, die sich mit dem gebauschten Turban und der lang darüber ragenden Flinte wie ein schneeiger Schattenriß von dem bleigrauen, regendrohenden Himmel abhob.
Das verdroß den Alten. Er rückte sich im Sattel zurecht, schob die in gelben Pantoffeln steckenden Füße tief in die schuhähnlichen Steigbügel und setzte mit einem Stich des an die bloße Ferse angeschnallten Sporns sein Roß in Galopp. Die Karawane folgte. Eilfertig wanderten mit schaukelndem Halse die Kamele, wie ein Schwarm grauer Mäuse huschten und trippelten die Märtyrer des Morgenlands, die schwerbepackten Eselein, hinter den lehmfarbenen Ungetümen her, die Maultiere spitzten die Ohren und rannten mit, neben ihnen trabten die verschleierten Araberinnen,, ihre Kinder auf dem Rücken, die buntgestickten Pantöffelchen in der Hand, hochgeschürzt, mit ihren braunen, sehnigen Beinen durch den Kot, und hinten scheuchten die blauschwarzen keuchenden Negersklaven alle Nachzügler der Karawane vor sich her, dem Höhenpaß entgegen, von dem der Pfad nach dem Tal des Habesch und nach Tetuan führte.
»Schade!« sagte Klara lachend. »Ich hab' ihn nur zur Hälfte!« Dabei wies sie Hilda, dem nußäugigen Nesthäkchen der Gesellschaft, ihr Skizzenbuch. Auf dem Blatt war das ehrwürdige Haupt des Scheichs und der Kopf seines Vollbluthengstes mit sicheren Strichen umrissen, alles andere aber lag noch als eine weiße unberührte Papierfläche da.
»Schade«, meinte auch die Kleine beklommen und schaute der davonpilgernden Karawane nach. Im Grund ihres Herzens war sie froh, daß sich die Marokkaner so rasch verzogen hatten. Sie fürchtete sich vor den wilden Gestalten im Turban und Burnus, sie fürchtete sich vor dem braunen, weltmännisch lächelnden Hotelkurier, sie fürchtete sich vor ihrem Maultier, das heute beinahe einmal scheu geworden wäre, sie fürchtete sich vor ganz Afrika.
So mit einem Sprung aus Dresden in das Innere Marokkos ... ja, wer so viel gesehen und erlebt hatte wie ihre älteste Schwester dort hinten im Zelt, dem mochte das alltäglich vorkommen. Wenn man wie Martha seit zwanzig Jahren Erzieherin in allen Ecken der Welt gewesen war – bei einer deutschen Familie in Schanghai, bei Engländern in Melbourne, bei Deutsch-Amerikanern in San Franzisko, wenn man durch so viele Lebenslagen gegangen und dabei halb zum Mann geworden war, da fand man es beinahe selbstverständlich, nachts bei drohendem Regen ein kleines Leinwandzelt als einzigen Schutz auf der Welt zu besitzen.
Und Klara, die zweite Schwester – du lieber Gott: sie war nun einmal Malerin! Sie hatte ihren Beruf! Dem mußte sie folgen und Geld für all die drei Geschwister verdienen. Wenn es nicht anders ging, eben auch in Marokko! Aber sie, Hilda, kam sich dabei so unendlich nutzlos und so verlassen zugleich vor, mit all den Kenntnissen des eben glücklich bestandenen Lehrerinnenexamens, die ihren Kopf erfüllten, und all den Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft, die ihr doch beschert sein mußte, sowie sie sich nächsten Monat als Gouvernante in Genf auf eigene Füße gestellt hatte.
»Na hör' mal, Kleine!« sagte Klara neben ihr lachend und packte, gleichmütig heiter, wie sie immer war, ihr Malgerät zusammen, »was machst du denn wieder für ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter?«
Und Martha, die älteste des Kleeblatts, die herzutrat und mit ihrer tiefen Stimme und dem strengen Schulmeistergesicht wirklich mehr den Eindruck eines alten Junggesellen als den eines noch nicht vierzigjährigen weiblichen Wesens machte, Martha meinte ebenfalls: »Es ist wirklich ein Elend. Nun macht man ihr die Freude und nimmt sie mit auf die schöne Reise ...«
»Es ist ja auch wunderschön!« sagte die Kleine fügsam und suchte die wieder einmal aufsteigenden Tränen gewaltsam zu verschlucken. »Nur ... wenn jetzt noch Regen kommt ...« Sie wies zu den Bergkämmen empor, wo die immer dichter geballten Wolken sich in strömenden Schleiern herniederzusenken begannen. Ein kalter Wind fuhr vor der heranrauschenden Regenwand zu Tal. Die weißbesternten Hecken und niederen Palmbüschel bogen sich unter seinem Hauch. Die Riedgräser zitterten, und ehe man sich's versah, stürzte das eben aufgerichtete Leinenzelt nach kurzem unschlüssigen Hin- und Herschwanken mit einem matten Krach in sich zusammen. Und zugleich fielen schon die ersten schweren, klatschenden Tropfen. Sie kamen rasch dichter und dichter, sie lösten sich zu einem rastlos niederstäubenden Wasserfall auf; der gefürchtete afrikanische Küstenregen war da.
Während Klara in Eile Pinsel, Tuben und Palette im Wachstuchbeutel unterbrachte, spannte ihre Schwester mit der düsteren Ruhe eines vielgeprüften Weltumseglers ihren Schirm auf. »Frage den Führer, was nun werden soll!« gebot sie der Kleinen mit ihrer tiefen männlichen Stimme.
Hilda, der als eben geprüfter Erzieherin der englische Verkehr mit dem Kurier zufiel, übersetzte stockend wie ein Schulkind die Frage. Sie hatte Angst vor dem schönen, sanft lächelnden Mauren, der sie um zwei Kopfeslängen überragte.
»Er sagt, wir müßten in die Karawanserei«, berichtete sie, »und die Nacht dort zubringen!«
»El-Fondak!« bestätigte der Kurier und nickte.
»Gibt's dort Flöhe?« forschte Marthas Baßstimme.
Der Maure bejahte eifrig. »Viel Flöhe!«
»Und Betten?«
»Nein, Betten sind nicht!«
»Sind noch andere Menschen dort?«
»Viele«, bestätigte der freundliche Mann. »Kameltreiber, Pferdeknechte und anderes Mohrenvolk?«
»Ja, wie soll denn das die Nacht werden?«
»Die Ladys werden auf drei Stühlen sitzen, und ein brennendes Licht steht am Boden, bis es Morgen wird. Oh, El-Fondak ist kein guter Platz für Ladys. El-Fondak ist ein schlechter Platz.«
Hilda klapperten die Zähne. »Da geh ich nicht hinein«, sagte sie flehend. »Es wird eine schreckliche Nacht.«
Der Kurier drängte mit einem Blick nach dem Regenhimmel zur Eile. »Es gibt dicke Tage und schmale Tage. Heute ist ein schmaler Tag. Bald ist's Nacht! Wir müssen in das Haus hinein!«
Aber selbst Martha, die Vielerfahrene, zögerte. »Rauchen die Kerle da drin?« fragte sie streng.
Ja, die Leute rauchten alle. Sie hatten aus Tanger Tabak mitgenommen.
»Sind vielleicht auch Maultiere da, die nachts schreien?«
»Ja, viel Maultiere!«
»Und