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Glaskugeln in dem starren Glast der kleinen Flamme.

      Der Altar lag noch ganz finster, dumpf glomm das ewige Licht durch das rote Ampelglas.

      Marie ward es schläfrig und schwer. Wie betäubt sank sie in eine Bank und vergrub das Gesicht in die Hände. Als jemand laut hustete, stand sie auf und ging, als sei sie gerufen worden, nach der Sakristei, wo die Beichtstühle standen. Auf der Schwelle begegnete ihr der Kirchvater, der vorsichtig ein Kerzenstümpfchen trug, dessen Licht er mit der Hand schützte. Sie trat zur Seite, und er hob erstaunt sein friedliches Greisenangesicht zu ihr empor. Mit einer stechenden Bewegung seiner freien Hand deutete er auf den nächsten Beichtstuhl und flüsterte:

      »Hochwürden kommt glei!«

      Dann trug er mit langsam-würdigen Schritten seine hohe Gestalt in das Dunkel der Kirche.

      Marie achtete kaum auf die beiden Meßknaben, die hinter der geöffneten Doppeltür eines Schrankes sich die weißen Chorhemdchen überwarfen, trat vor das Gitter des Beichtstuhles und begann eifrig aus ihrem Buch zu beten. Während sie so hingebend Wort um Wort las: von der Schlechtigkeit der Menschennatur, ihrer Ohnmacht und Sündengier, Kreuz um Kreuz schlug, war es ihr, als seien die Sätze ein monotoner Luftzug, der mit leerem Schall ihre Seele betäubte. Ihr Inneres ward eine Dämmerung.

      Und sie mußte doch andachtsvoll beten, um von Gott eine glückliche Wendung ihrer Not zu erlangen.

      Sie schloß das Buch, wie um sich von der dumpfen Macht dieser Blätter zu retten, sah traurig zu Boden und bemühte sich, das Beichtgebet zusammenzubringen. »Ich armer, sündiger Mensch ...«, murmelte sie in einem fort und kam nicht weiter.

      Im Schiff der Kirche klangen weiche, lange Schritte auf. Der alte Bauer, der zur Ehre Gottes Kirchvaterdienste verrichtete, machte ihr ein Zeichen mit seinen eisgrauen großen Augenbrauen und sah dann scheu durch die Tür der Sakristei.

      Wie ein siedender Wasserstrahl ergoß sich die Angst in Mariens Körper. Er kommt, dachte sie, und stotternd rang sie um das Gebet.

      Die Schritte hielten vor dem Altar.

      Gleich darauf erschien Pfarrer Langer eilig und unvermutet in der Kerzenhelle der Sakristei und hielt ohne weiteres neben dem Greis, der ihm die heiligen Gewänder überlegen sollte.

      Der alte Bauer hob seine Hand über das Ohr, strich behutsam an den weißen Haaren hin, die dort in die Form einer Schnecke gedreht waren, und flüsterte, es sei noch wer da. Ohne zu antworten, griff Langer unwirsch selbst nach dem Humerale, um dem Alten damit anzudeuten, daß dazu jetzt nicht Zeit sei.

      »Sie wern, Hochwirden, es is nämlich eene Magd, aus Steendorf, wie mr scheint. Sie mechten woll«, redete der Kirchenvater unterdrückt.

      »So!« antwortete der Pfarrer und drehte sich nach ihr um. Er erkannte ihre Schönheit und dachte: Aha, das is auch wieder eine solche. Dann legte er die Stola um.

      Marie kniete vor das Gitter und wandte dem Priester ihr Gesicht zu.

      Nachdem Langer eine Weile mit auf die Brust gesunkenem Kopfe dagesessen hatte, als bete er, richtete er sich auf und bezeichnete Marie unter Murmeln mit einem großen Kreuz.

      »Ich armer, sündiger Mensch ...«, begann das erschrockene Mädchen, und weil sie das Gebet durchaus nicht konnte, stieß sie tuschelnd die Luft durch die Nase im Rhythmus der Worte, die ihr entfallen waren.

      Als sie zu Ende war und mit dem Sündenbekenntnis beginnen wollte, wozu sie tief Atem holte, ermahnte sie Langer mit schneidender Sanftmut: »Sprich lauter!«

      Marie fühlte das Mißtrauen in dieser Aufforderung, und zitternd begann sie mit dem Bekenntnis ihrer Schuld. Je weiter sie damit kam, desto zwingender empfand sie, der Pfarrer müsse glauben, sie verheimliche ihm Schweres, wenn sie nur das erforschte Übel beichte. Sie erinnerte sich auch, daß kein Mensch den Zustand seiner Seele kenne. Es war ihr plötzlich, als könne sie vielleicht alle Sünden begangen haben, von denen sie je in einem Beichtspiegel gelesen hatte.

      Nach kurzem Zögern, währenddessen Langer sie mit einem harten Blick gestreift hatte, bekannte sie alle Menschenschwäche, deren ihr Gedächtnis nur habhaft werden konnte, als ihre eigenen Fehler, um sich das Erbarmen des Priesters und die Gnade Gottes zu verdienen.

      Erschöpft hielt sie endlich inne und sah flehend auf den Pfarrer, der vor Zorn ganz blaß war und sie von der Seite ansah.

      »Hm, hm«, machte er dann. »Sind das alle Sünden?«

      Marie nickte.

      Langer richtete sich auf, als sollte er ersticken, und schluckte gewaltsam. »Das sechste Gebot!« sprach er dann mit krampfhafter Weichheit.

      Marie erkannte die Verachtung auf seinem Gesicht und dachte: Es ist alles verloren, ich muß eis Wasser.

      »Das sechste Gebot. Wie heißt das sechste Gebot?« fragte Langer wieder bebend. »Du sollst nicht Unkeuschheit treiben«, antwortete er endlich und sagte es in ihr bleiches Gesicht wie eine Anklage. »Wie alt ist er? – Du wirst dich doch nicht so weit vergessen haben, ein Kind zu verführen?! Antworte! Wie oft seid ihr sträflich zusammengekommen?«

      Aber er bekam keine Antwort. Marie hatte den Kopf gesenkt, und der Atem seines Mundes bewegte nur die blonden Haare, die durch das Gitter quollen. Es war, als gehe ein Glanz von ihrem schuldlosen Haupte aus. »An deinen Haaren hat dich der Teufel in den Pfuhl der Lust geschleift«, fuhr er fort. »Nun verhärtete er dein Herz mit der Scham, die du ihm so leicht hingabst.«

      Marie hob das Gesicht und sah eine Weile starr in sein Gesicht.

      »Herr Pfarr«, flüsterte sie dann, »ich bin unglücklich. Das is alleene. Sonst is nischt wahr.«

      Ihr Atem streifte seine Wange gleich dem Brodem kochenden Wassers.

      »Also verfallen bist du?« sprach er endlich kalt, weil er glaubte, sie habe sich schuldig bekannt. »Wie lange trägst du die Frucht der Sünde? Ich meine, wie lange du es fühlst!?«

      Maries Gesicht war auf die Brust gesunken. Ihre Haare zitterten von den Schlägen ihres Herzens. Als er in maßloser Erregung diese beiden Fragen an sie richtete, hörte er etwas fallen und sah gleich darauf ihre Hände krampfhaft in die Gitterstäbe greifen.

      Aber er kannte diese »Hurenmenscher« und ließ sich von ihnen keine Komödie mehr vormachen. Er redete Marie nun ins Gewissen, wie er es bei Gefallenen gewohnt war. Er vergaß, daß er im Beichtstuhl sitze.

      Der Kirchvater drängte die Ministranten in die Kirche. Bald erfüllte Langers Stimme die Sakristei. Er spie aus, nannte sie Dirne, verhieß ihr ein verfluchtes Leben, eine gepeinigte Ewigkeit und warf ihr endlich die Absolution verächtlich wie einen Brocken zu. Sie hing wie ohnmächtig mit ihren Händen an dem Gitter des Beichtstuhls und rührte sich auch nicht, als der Pfarrer mit lauten Schritten zur Messe in die Kirche hinausging. Nur beim Schall des Eingangsgeläuts zuckte sie zusammen.

      Der Kirchvater hatte, der Gewohnheit gemäß, Langer bis an die Tür der Sakristei begleitet.

      Dann kehrte er zurück und sah nach Marie. Die kniete jetzt in aufrechter Steifheit da und schaute unverwandt in den leeren Beichtstuhl.

      Er hustete einigemal, um sie zum Verlassen der Sakristei zu bewegen.

      Marie begann mit beiden Händen das Gitter abzutasten.

      Voll Mitleid trat er hinzu und sagte liebreich:

      »Mädla! Du, Mädla!«

      Sie wandte ihm das Gesicht zu und blieb in der knienden Stellung, als habe sie ihn nicht verstanden.

      »Komm och un gieh etze nei! Horch, de orgeln schon«, sprach er dringender.

      Da erhob sich Marie, lehnte sich an die Mauer und starrte verstört den Greis an.

      »Gell, er hat mich nicht losgesprochen?« fragte sie regungslos.

      »Ach, freilich. Er begeht's bloß immer aso. Laß gut sein, 's hat auch noch een Herrgott, und der nimmt's verleicht nich aso nette. Komm och, Mädla, komm du!« Zitternd griff er an seine Haarschnecke und reichte

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