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hin auf ihren Platz zu; die Klänge der Orgel brausten um ihre Ohren gleich einem Toben, die Bankköpfe verschwanden immer mehr unter ihr, nun reichten sie ihr nur noch bis an die Knie. Mit hastigem Griff erhaschte sie einen und kam glücklich fallend auf einen Sitz.

      Die Beter vor ihr fuhren herum und sahen sie mißbilligend an. Marie hatte keine Empfindung dafür. Eine tote Kapsel lag um ihr Herz, und alles Äußere war weit fort von ihr, ganz belanglos. Der Gesang schwoll an und erstarb, der Geistliche und die Ministranten drehten sich beim Kerzenschein zum Schall einer Klingel vor dem Altar maskenhaft hin und her, die roten Lichtpünktchen vor den Betern schienen die Bänke auf und nieder zu hüpfen, und wenn der Kantor vom Chore herabsang, dann verschwand aller Schein, und es war eine menschenlaute Nacht um sie, die mit der Gleichgültigkeit einer Verurteilten alles bemerkte und immerfort dachte: Der Pfarrer! der Pfarrer!, drohend und anklagend.

      Auf den Schall der Glocke erhoben sich viele der Gläubigen vorsichtig in ihrer Bank und wanderten der Kommunionbank zu. Marie, noch immer zweifelnd, ob sie der Absolution teilhaftig geworden sei, stand gleichwohl auch auf, ergriff mit der Rechten das Gebetbuch wie einen wurffertigen Stein, und im Bewußtsein ihrer Reinheit war sie entschlossen, dem Priester den Leib des Herrn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Gewalt zu entreißen. Gefaßt, mit fest geschlossenem Munde, trat sie an den Tisch des Herrn und neigte ihren Kopf über das weiße Linnen, das Gebetbuch krampfhaft mit den Händen umklammernd. Der Geistliche näherte sich ihr langsam von der rechten Seite.

      »Corpus Domini nostri Jesu Christi custodiat animam tuam in vitam aeternam, Amen«, murmelte er und legte die Hostie in den Mund der Kommunikanten, die sofort nach Empfang des Geheimnisses den Kopf tief auf die Bank neigten.

      Das Herz pochte ihr zum Zerspringen.

      »Herr Gott erbarme dich meiner!« flehte sie in einem fort.

      Nun war Langer bei ihr.

      Unnatürlich weit reckte sie den Hals auf und streckte wie lechzend ihre Zunge aus.

      Die Augen glommen in starrem Glanz. Ihr Gesicht war scharf und verlangend wie das eines Hungrigen. Der Geistliche dämpfte seine Stimme, wie um den Segen der Worte abzuschwächen, und reichte ihr die Hostie.

      Sofort schloß Marie den Mund über der heiligen Speise. Kaum verneigte sie sich. Die Zähne aufeinandergepreßt, ohne zu atmen, eilte sie auf ihren Platz zurück und vergrub das Gesicht in die Hände.

      Die Hostie klebte an ihrem Gaumen fest, sie schien anzuschwellen, und je heftiger sie schlang, desto mehr verengerte sich der Hals.

      Marie erinnerte sich an den Sünder, der, an dem Leib des Herrn erstickt, wie von einem unsichtbaren Streiche gefällt, hingeschlagen war.

      »Lieber, lieber Herr Jesus«, betete sie und stieß endlich in Verzweiflung die Hostie mit dem Finger hinunter.

      Nach wenigen Augenblicken ergoß sich Wärme in ihren Leib. Die Seele ward schimmernd, wie perlendes Licht floß das Blut in ihren Adern, ihr Herz sang. Die Augen geschlossen, die Wangen glühend in Verzückung, lag sie da und genoß das Wunder der Menschwerdung Gottes in ihrem Körper.

      Lange schon schwieg die Orgel. Die Kirche war leer geworden. Nur in einer verborgenen Ecke hockte ein altes Weiblein und buchstabierte halblaut aus ihrem Gebetbuch.

      Marie war es, als gingen, leise streichend, lange Gewänder weit, weit über ihr hin, und obwohl sie die Augen bedeckt hielt, sah sie alles.

      Die Heiligen traten aus dem Rahmen und wandelten durch die Gänge, ihre langen Locken hoben sich bei jedem Schritt.

      Plötzlich ward es ganz, ganz still. Über die Leiber der Heiligen in den Gängen kam ein Bann, und alle standen starr. Alle blassen Stirnen kehrten sich horchend in die Höhe. Und ferneher, aus unendlichen Regionen kam ein Raunen und ward immer deutlicher.

      Der Herr naht. –

      Wie von zögernden Winden getragen, hörte sie seine Stimme. Sie war alt und halb erloschen von den Jahrtausenden.

      »Gehe hin und folge ihm nach«, sprach es über sie hin.

      Sie ward wie gelähmt von diesen Worten. Ein Brausen entstand vor ihren Ohren und verlor sich in den Höhen. –

      Als sie endlich ihr Gesicht zu erheben wagte, lag das graue Licht des Morgens in den Wölbungen der Kirche. Es war leer und dumpf wie immer. An nichts erkannte sie, daß der Herr durch diesen Raum gegangen sei.

      Der heilige Johannes schrieb eifrig in sein Buch und lächelte dazu, während ein schwarzer Vogel zu seinen Füßen die Augen verdrehte. Dieser Heilige hatte die Hände über dem Unterleib gefaltet und machte ein trauriges Gesicht, als quäle ihn dort etwas; jener suchte mit Inbrunst jemand in der Ferne und spitzte den Mund, als pfeife er.

      Trostlos rang sie noch eine Weile im Gebete gegen ihre unheiligen Augen und machte sich dann betrübt auf den Heimweg.

      Am Nachmittag gab sie, wie Gott es ihr befohlen, dem Klumpen das Jawort.

      8

       Inhaltsverzeichnis

      Marie war milder geworden, seit sie sich mit dem Lahmen versprochen hatte.

      Ihr Kampf gegen das Schicksal war kurz gewesen, mehr einem wahnwitzigen Gewaltakt gleichend, besinnungslos, unfaßbar. Ebenso jäh hatte sie die Entscheidung herbeigeführt, die sie Gott abgetrotzt hatte.

      Nun hatte er ihr den Frieden der Niederlage gegeben. Das Herz lag willenlos wie ein gefesselter Sklave in ihr und ertrug die Veränderung mit regungsloser Resignation. Wie ein gespenstisches Luftgebilde sah sie das veränderte Leben um sich. Alle Morgen stieg sie hinein wie in einen Spuk. Schweigsam wie sonst verrichtete sie die Arbeit, allein ihr Fleiß war entweder müde oder leidenschaftlich wie ein Delirium und fand plötzlich in einer Art Erstarrung ein Ende, aus der sie sich nur mit größter Anstrengung, jähzornig, aufreißen konnte.

      Einst bemerkte das die mitarbeitende Magd und sprach: »Marie, wenn du deinen Mann aso ansiehst, da wird'm, denk' ich, der Krön vergehn.«

      »Mann?« fragte sie messerscharf, »hm, Mann ... du, du ...«

      Sie verschluckte ein Schimpfwort, und ihr Auge flimmerte in Grimm. Bald aber setzte sie müde lächelnd hinzu:

      »Ach, aso meenst es? Nu nee, Exner is gar ein Guder. Was denkst dr denn vo mir! Sonst hätt' ich mir'n doch wohl nich genommen.«

      Dabei erbleichte sie und bückte sich schleunig auf ihre Arbeit nieder. Obwohl sie schwer an ihrem Schicksal trug, so hatte sie doch die Kargheit starker Naturen, das Unglück möglichst vor sich zu verheimlichen, den Stolz, jeden Mitwisser abzuweisen, und das Verhältnis zum Lahmen nicht als eine Folge überstürzter, brutaler Fügungen, sondern als eine Wahl freier Sympathie hinzustellen.

      Das ward ihr besonders schwer gegen den Schuster, dem sie jetzt merkwürdig oft begegnete. Er schien in diesem Herbst besonders gute Geschäfte zu machen, denn bald lief er mit Sohlenleder, das in ein buntes Taschentuch gewickelt war, bald mit einem Paar angerichteter Stiefel auf den Wegen dahin, und immer erspähte er ihr rotes Kopftuch auf dem Felde, schrie ihr einen scherzhaften Gruß aus der Ferne zu, um dann herbeizuschlendern, sich im Graben niederzulassen und mit ihr zu plaudern. Er half ihr das gesichelte Gras auf die Schultern heben oder entriß ihr den Karren.

      Obwohl sie ihn nicht im Zweifel ließ, daß ihr das nicht angenehm sei, drängte er seine Hilfe immer wieder auf und redete rastlos auf sie ein. Am liebsten sprach er von dem Cäciliaball, wie er da mit ihr getanzt, daß alles auf die Bänke gestiegen sei, wie er den Grauen zu Tode geärgert und sie es ihm nur zu danken habe, daß der Klumpen Courage bekommen habe. Er nannte diesen »seinen lieben, eenzigen Freund« und erzählte mit Behagen Züge seiner Tölpelhaftigkeit, Härte und seines lächerlichen Mißtrauens, daß die andern Mägde »vor Lachen ganz unsinnig« wurden.

      Dann aber entrüstete er sich über »die Gänse«, die ja nicht glauben sollten, er wolle sich lustig über ihn machen, »denn so een Kerle, wie der is,

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