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schreit lustig: »Holla!« Da kommt sie zu sich und bemerkt, daß sie schon in der Vorstadt von Glatz sei, der langen Reihe niedriger, schmutziger Häuschen, läßt eilig ihre Röcke wieder nieder und geht auf die andere Seite der Straße. An einem Schaufenster bleibt sie stehen, um ihr Tuch zu ordnen, das sich verschoben hat. Mit Staunen betrachtet sie ihr Gesicht, das, rot und leuchtend, nichts von der Qual ihres Innern zeigt. Die Wunde ist kaum zu sehen, es ist ein kleiner roter Schorf an der Stirnseite, fast an der Haargrenze. Die rechte Schläfe ist geschwollen und blutunterlaufen. Sie rückt das Tuch mehr aus der Stirn und wirrt die Haare der Schläfe über den blauen, beuligen Fleck. So sieht sie wenigstens nicht ganz wie ein »Buschweib« aus.

      In einem Kellerlokal trinkt sie eine Tasse Kaffee und verzehrt zwei Semmeln. Danach bleibt sie noch eine Weile sitzen, um sich auszuruhen, und vertreibt sich die Zeit damit, den Beinen zuzusehen, die über ihr vorüberschreiten. Die Uhr hat schon ein paarmal geschlagen, und die alte Frau hinter dem schmutzigen Schenktisch beobachtet Marie mit immer mißvergnügteren Blicken, weil sie gar keine Anstalten trifft, zu bezahlen oder noch etwas zu bestellen. Endlich kann sie sich nicht mehr halten, legt den Strickstrumpf hin, daß die Nadeln klirren, preßt den zahnlosen Mund zusammen und nähert sich dem Tisch, an dem Marie sitzt, mit einem Wischlappen, der ihre Absicht verdecken soll. »Wollen Se noch was?« fragt sie scharf und fährt mit dem nassen Tuch über das Tischblatt.

      Marie verneint, bezahlt die geforderten zwanzig Pfennig und fragt nach einer guten Vermietsfrau. Die Alte erwidert höhnisch, daß die guten Mietsweiber auf dem Monde hausen; hier gebe es nur Pack, sie wisse es, denn sie habe vierzig Jahr bei »Ferschten und Grafen« gedient. Am besten sei es, man wende sich gleich selber an die Herrschaft; aber wenn sie ihr schon eine zuraten solle, so sei es die Negwern in der Schmiedegasse. Sie sei »brave, zuverlässig und renell«.

      »Aber, wenn Sie ihr 's Ohre hinhalten, da haut sie Ihn freilich auch drüber!«

      Mit diesen Worten beendigt sie ihre langweilige Auseinandersetzung.

      Als Marie auf halber Treppe ist, ruft ihr die Alte nach:

      »Sagen Se och, de Masingern läßt se scheen grißen, da wird se's schon machen mit Ihn.«

      Nach oftmaligem Fragen und Irregehen findet Marie endlich die Schmiedegasse. Es ist ein steiles, enges Gäßchen, das nach der Neiße hinführt. Ein trübes Wasser rinnt zwischen den Katzenkopfsteinen des Pflasters eilig bergab. Es ist so dunkel, daß Marie nur mit Mühe die Schildchen neben den Haustüren entziffern kann. An einer langen Mauer mit einem verwitterten Ziegeldächlein liest sie endlich: Malwine Negwer, Vermietsfrau. Daneben ein halb verfallenes Türloch. Hier wohnt doch niemand, denkt sie, drückt zweifelnd auf den Türgriff, der wie ein langer eiserner Wurm aussieht, und sieht im nächsten Augenblicke in einem dumpfen Höfchen. Ein Mann, den sie wegen seiner blauen Schürze für einen Hausknecht hält, hackt Holz. Als Marie die Tür hinter sich zudrückt, schrillt die Haspe, und der Holzschläger fährt herum, mustert sie einen Augenblick mit seinem jungen, ernsten Gesicht, legt aber sofort Holz und Beil hin und kommt eilig auf Marie zu, indem er mit einem glücklichen Lächeln ihren Gruß erwidert, ihre Frage, ob sie hier bei Vermietsfrau Negwer recht sei, bejaht und sich erbietet, ihr Führer zu sein. Als sie vor der gesuchten Tür stehen, sagt er dem Mädchen, daß sie sehr schön sei, drückt ihr die Hand erregt und läuft so eilig davon, als habe er etwas gestohlen. Marie sieht eine Weile in einem bebenden Strom, und es ist ihr, als rinne von ihrer Stirn ein Leuchten in die Nacht um sie. Aufgeregt tritt sie in das Gemach. Nachdem sie ein Drittel des Zimmers durchschlichen hat, gelangt sie an zwei Türen, die einander gegenüberliegen. Sie würde an ihnen vorbeigegangen sein, hätte nicht ein erregter Streit zweier Frauenstimmen hinter der linker Hand liegenden Tür ihre Aufmerksamkeit erregt. Es klingt, als kämpfe das Fauchen einer kleinen Handsäge mit dem Schmettern einer Kindertrompete. Marie denkt, sie sei allein, stützt sich mit beiden Händen gegen die Türpfosten und neigt den Körper horchend vor. Die kleine Handsäge drin faucht wütend: »Bei mir braucht niemand im Drecke zu wühlen!«, worauf die Kindertrompete nur mit einem höhnischen Wiehern antwortet. Da läßt ein doppelstimmiges Gelächter vom Fenster her Marie bis in die Knochen erschrecken und herumfahren. In einer Nische sitzen zwei Mädchen und strecken die Köpfe vor. Sie lachen ihr ins Gesicht, das vor Scham ganz blaß ist.

      Marie hat nach kurzen Augenblicken, während sie die beiden betrachtet, die Sicherheit, daß sie Zigeuner seien, das heißt jener großen Sippe von Dienstboten angehören, die sich wegen Unsittlichkeit oder Zanksucht in chronischer Stellungslosigkeit befinden und das ganze Jahr eine Plage der Vermietsstuben bilden. Sie schluckt eine harte Bemerkung hinunter und begnügt sich, ihnen einen tief verachtungsvollen Blick zuzuwerfen, den das eine Mädchen mit einem boshaften, frechen Gesicht erwidert, indem sie Marie fragt, ob sie ihr einen Pfennig wechseln solle. Dabei rückt sie ihren modischen Hut und legt ihr verblühtes Gesicht in hochmütige Falten. Die andre schneidet eine Grimasse. Marie kehrt ihnen den Rücken, indem sie sich an einen Schrank der anderen Wand lehnt.

      Trauer und Angst kommen wieder stärker über sie, und ihre Sammlung macht dem alten schmerzlichen Grübeln Platz.

      Warum bin ich hierhergekommen, wo doch nichts sein wird, wenn solche hier sind? Fortlaufen, alles im Stich lassen sollte ich. Kleider kann man sich immer wieder kaufen.

      So sinnt Marie. Es bringt sie gar nicht auf, als eines der Mädchen, um sie zu ärgern, sagt:

      »Magst du blonde Haare? Ich kann sie nicht leiden, sie machen zu dumm. Überhaupt die ganz hellen, die so die Dorftrampel haben.«

      Nach einer Pause nehmen beide von Marie keine Notiz mehr und vertiefen sich in das unterbrochene Gespräch.

      Aus der Tür zur Linken tritt eine Frau und sendet einen prüfenden Blick das Gemach hinauf und hinab; dann sagt sie zu sich:

      »Drei. Doch noch. Ich hätt's nich gedacht.«

      Den Gruß Maries erwidert sie mit liebenswürdigem Lächeln:

      »Nu, mein Schätzel«, sagt sie dann, »du bist ja noch gar nich bei mir gewesen. Siehch, du hast noch frische, gesunde Backen. Das is recht! Nee, nee! Und een guten, haltbaren Rock. Halbwollnes, nie?«

      Das alles spricht sie mit ihrer blechernen Trompetenstimme, mehr, um Zeit zur Musterung des neuen Ankömmlings zu gewinnen, als etwas zu sagen. Darauf ruft sie den beiden in der Fensternische zu:

      »Ich hab's euch gestern schon gesagt, daß nischt is jetze.« Und ehe sie sich wieder zurückzieht, gibt sie Marie die Versicherung: »Wart och, Schätzel, 's wird sich machen.« Dann schließt sie die Tür.

      Die beiden anderen Dienstmädchen rüsten sich unter Verwünschungen auf das Leben zum Fortgange, und als die eine, mit dem modischen großen Hut, der Typus einer vernützten Zimmerschleußerin, an Marie vorüberschreitet, sagt sie in greller Wut: »Nimm dich vor der Schleidern in acht. Das is'n Aas, sag ich dir. Die hat mich auf'm Gewissen. Da wirschte missen, ob de willst oder nich. Haha, ma lernt's woll! Gell ja, Minna!« Mit geräuschvoller Heiterkeit verschwinden sie.

      Abscheu, Zorn und Furcht berauben Marie der ruhigen Überlegung. Wie in einem Taumel beginnt sie, sich die Röcke heraufzustecken und langsam der Tür zuzuschleichen. Als sie am vorletzten Schrank vorüber will, öffnet sich die Tür, und Frau Negwer ruft nach ihr.

      Marie läßt schnell die Röcke herunter und folgt der Vermietsfrau, mit dem Entschluß, ihr nicht das Ohr hinzuhalten. Auf einen Wink nimmt sie neben der Tür Platz.

      Ihr gegenüber sitzt eine Dame, die nach der neuesten Mode gekleidet ist. Der lange seidengefütterte Mantel ist geöffnet und läßt die überstarke Brust hervortreten. Sie hat ein feistes rotes Gesicht und eine Hakennase, deren Seiten sie oft mit dem weißen Taschentuch vorsichtig betupft. Wie sie heiße, beginnt sie mit ihrer fauchenden, lieblosen Stimme das Examen. So und so. Ob sie Stuben aufräumen könne. Nein. Das werde sich geben. Wie alt sie sei. Was ihr Vater gewesen. Wo sie gedient habe. Ob sie einen Schatz habe. Sie solle das Dienstbuch zeigen. Nach langem vergeblichem Suchen muß Marie erklären, daß sie es vergessen habe, ist bestürzt und doch voll innerer Freude.

      Die beiden Frauen wechseln einen vielsagenden Blick.

      »Vergessen, hm, hm!« faucht Frau Schleider höhnisch.

      Nun,

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