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kam alles über ihr Herz, was die Herrin zu ihr gesprochen hatte. Und die Gedanken gingen ein und aus in den verwühlten öden Kammern ihrer Seele wie Schemen in einem kalten, farblosen Lichte. Wo noch gestern ihre bunte, heiße, törichte Sehnsucht geblüht hatte, tanzte dieses graue, stumme Spiel. Plötzlich, zwischen Schlaf und Wachen, fuhr sie auf und fragte in die stockende Nacht: »Wo scheint die Sonne?« Ein dumpfer Laut lief die Sparren hinunter. Seufzend sank sie um und lag im Schlaf.

      6

       Inhaltsverzeichnis

      Indessen Marie von ihrer zu Tode getroffenen Hoffnung gemartert worden war, bewegte sich der Klumpen mit der Miene eines Menschen, der ein gutes Geschäft zufriedenstellend gefordert hat und nun in behaglicher Ruhe nur noch Nebensachen erledigt, um seine Beendigung in sicherer Muße abzuwarten.

      Später als sonst, aber immer noch so zeitig, daß er den Morgennebel aus den beschneiten Baumkronen schwinden sah, erhob er sich in seinem kleinen Dachstübchen. In der unteren Stube traf er seine Schwester, die das gesäuberte Geschirr vom Frühstück in den Topfschrank stellte. Sie ließ bei seinem unwirschen Gruß die Arme herunterfahren und wendete ihm ihr großes, ebenes Gesicht zu, das um die Nase von vielen Sommersprenkeln entstellt und von einer Überfülle roter Kraushaare umgeben war.

      »Nu, nu, Karle«, sagte sie dann mit einem Anflug von Spott in der Stimme, »das Schenkenbier macht eenem a Kopp schwer«, und musterte ihn mit den grauen, stillen Augen.

      Der Klumpen setzte sich hinter den Tisch, stieß einen ärgerlichen Laut aus und sah zum Fenster auf den Hof hinaus, wo sein Bruder eben den Ochsen an den Göpel der Dreschmaschine spannte.

      Seine Schwester stellte ihm indessen den Kaffeetopf und Brot und Butter auf den Tisch. Als er sich herumwendete, fuhr sie mit den Händen an die Schürze und tat, als trockne sie sich die nassen Finger ab.

      »Wer war gestern alles bei der Musik?« fragte sie dabei zaghaft.

      »Käthe!« antwortete der Klumpen und wollte damit sagen, sie solle sich um etwas anderes kümmern. Aber doch setzte er als Erwiderung hinzu: »Affen.«

      »Nu, aber du warst doch auch?«

      »Jesses, ja! Und wenn du alles weeßt, da brauchst du dir nich erst Handschken anzuziehen! Dem Tannerauer Laps hab' ich's eingetränkt, und die andern haben's Maul aufgerissen, und der Schuster war besoffen. Nun weeßt d's, und nu geh an deine Arbeit.«

      Mit einer stoßenden Handbewegung griff er nach dem Brot und sah nicht mehr nach ihr hin. Kathe ging einigemal durch die Stube, stellte einen Stuhl zurecht, zog den »Seeger«, die hölzerne Wanduhr, auf, wischte mit der bloßen Hand über das Fensterbrett und trat, nachdem sie so dem Harten die Überzeugung beigebracht zu haben meinte, sie sei von der Grobheit beruhigt, in den Hausflur und winkte heimlich ihrem anderen Bruder.

      »Joseph«, sprach sie leise zu ihm, als er mit langsamfriedlichem Schritt zu ihr getreten war, »es is alles a so, wie de Mögler Nähtern mir erzählt hat.« Der bartlose Mann schüttelte nur ungläubig den Kopf.

      »Nu, er raunzte mich an, wie ich von weitem davon angefangen habe.«

      »Nee, nee, ich gleeb's ja. Zuzutraun is'm schon. Aber nu komm mr alle in der Leute Mäuler.«

      Dann sahen sie stumm eine Weile in den Hof hinaus und redeten über Wirtschaftsangelegenheiten, Worte, bei denen sich keines etwas dachte, und in der Stille ihrer Seele litten sie unter dem Scheitern ihrer Hoffnung, der Lahme werde unverheiratet bleiben.

      »Aber von dem andern mit der schlesischen Freirichtermagd hat er doch nischt gesagt?« fragte Joseph aus dieser verschwiegenen Beunruhigung heraus in den leeren Worthandel.

      »Nu eben deswegen«, antwortete seine Schwester, noch um etwas bedrückter.

      Nach einigem Nachsinnen aber ward des Bruders Gesicht wieder still und frei wie immer. »Sei's, wie's sei. Sein ist sein. Das geht uns eegentlich nischt an. Aber reden wer ich mit'm, und das glei.«

      Ehe Kathe noch etwas erwidern konnte, war er drinnen beim Lahmen.

      Dieser empfing ihn mit einem vlämschen, gedehnten Lachen.

      »Dir geht's gut«, sagte Joseph darauf und setzte sich neben ihn auf die Bank.

      »Daß sich die Bänke biegt«, erwiderte der Lahme höhnisch.

      »Nu ja, ja! Wasser haste doch ei'm Borne.«

      »Ih freilich. Und wenn ich alles gewußt hätt', da konnt' ich mir Freiwalden ersparen. Ihr kennt ja a so gut Born treten«; dabei lachte er, daß aus seinem vollen Munde Bröckchen Brot fielen.

      »Was denn, Born treten?«

      »Du und de Käthe. Na, da laß se doch raus!«

      Joseph sah ihn fragend an.

      »Die Katze, die du ei'm Sacke hast, meen ich«, vollendete der Lahme in toller Lustigkeit. »Aber mir scheint, die hoppt nie, wie du sie auch verhohlen in den Schwanz zwickst. Die Maus is'r zu groß. Am besten is, du läßt sie ganz drinne.« Darauf senkte er den Kopf.

      »Kümmer ich mich um deine Rollinger Hängerei?« fragte er nach einer Weile, höhnisch herauffahrend.

      »Ich denk halt«, erwiderte Joseph kleinlaut, an seiner wunden Stelle getroffen, »wenn se mr soll, wird sich ees scheen Tags alles selber machen.«

      »Gebastel und Gedruckse!« schmälte der Klumpen weiter, »ees scheen Tages. Haha! Der scheene Tag! Sieben Jahre dauert das schon, was?«

      Es war wahr, Joseph litt schon so lange an jener schleichenden Liebe, die eine Eigentümlichkeit der Bauern ist. Jede Verstimmung trieb ihn auf Monate hinter Schanzen, aber nie hörte er auf, im Grunde seines Herzens zu hoffen.

      »Siehch, das sein a so komische Sachen«, erwiderte er endlich mit schüchterner Überlegenheit.

      »Gelt, die ich nie versteh?« fragte der Lahme, aufgebracht über diesen Ton.

      Joseph sann ein wenig und antwortete dann lächelnd: »Verstehn. Ach, das schon; aber machen nich. Siehch och, Karle, 's beste is, ma haut's Getreede ab, wenn's reif is. Bei deiner schleschen Geschichte, da is noch jeder Halmen grün.«

      »Kümmer du dich um Hühnermilch, daß se dr nich sauer wird.«

      Mit diesen Worten stand der Lahme vom Tisch auf und trat in die Mitte der Stube. Dort schüttelte er stumm den Kopf und holperte der Tür zu.

      »Ich supp aus meinem Toppe«; mit diesen Worten, die er in steigendem Zorn sprach, kehrte er plötzlich zurück, »und die Fliegen, die mir da reinfallen, freß ich. Da brauch ich keen Schleicher. Und wenn ich eenmal nausgeh aus dem Höfel dahier, da wird nischt marode wie euer Geldsack.«

      Joseph sprang auf und trat ihm unter die Augen, treuherzig und ernst. »Karle, niemand will was von dir, die Kathe nie und ich nie. Sein mr denn nicht Geschwister? Daß du herbe bist, dafür kannst du nich. Aber die Leute sein dir vor nich gut, und wenn du vollds anfängst und machst Dinger wie gestern abend ei dr Schenke, da ...«

      »Jeder Vogel pickt sei Beere«, schnitt der Lahme sein gutes Wort mittendurch, »eener die roten, der andre de schwarzen. Laß mich in Ruh!«

      Damit war er draußen.

      In tiefer Erregung machte sich Joseph an seine Arbeit. In der Haustür gesellte sich Kathe zu ihm. An ihrem Gesicht erkannte er, daß sie alles mit angehört habe, und sagte tröstend: »Er hat's vom Vater.« Dabei ergriff er ihre Hand, und sie sahen sich stumm in die Augen.

      Sie ließen sich auch nicht los, als sie über den Hof der Scheune zugingen.

      Der Lahme war mißtrauisch wie alle einsamen Menschen, und da er nun dem leicht gesenkten Fußweg vom Fuchsloch aus nach dem Dorf hin zuschritt, bearbeiteten seine Gedanken das Vorkommnis mit Bruder und Schwester so lange, bis es die häßlichsten Formen angenommen hatte. Grau und leidenschaftlich grub seine Seele. Die Vorstellung,

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