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Licht aus, um noch vor dem Freirichter über den Hof zu kommen.

      »Was wird er erst machen, wenn er sieht, daß ich fort bin?« sann sie und zog geräuschlos die Tür auf, blieb auf der Schwelle stehen, streckte den Kopf aus der tiefen Nische vor, welche den Eingang in die Gesindestube bildete, und lugte über die geräumige Hausflur die Treppe hinauf. Alles war still, und das Morgenlicht fiel durch die Nacht wie ein lautloser Aschenregen.

      Droben ertönte von Zeit zu Zeit der zornige Husten Wendes. Marie huschte über die Flur, riß den Türbalken zurück, daß er polternd in die Wand zurückfuhr, und tastete nach dem Schlüssel, der an einer rostigen Kette hing. Eben hatte sie ihn erfaßt und hob ihn mit der Rechten nach dem Schlüsselloch, das sie mit den Fingern der andern gefühlt, als oben die Tür aufflog und Wende unter lautem Schimpfen heraustrat.

      »Nee, nee, blei, blei du meintswegen liegen bis um fufzehn!« schrie er in die Stube zurück und donnerte dann die Tür hinter sich zu. Marie ließ den Schlüssel fallen, floh wieder über die Flur und verbarg sich hinter der Tür der Gesindestube.

      Wende stieg langsam die Treppe hinab, die rußende kleine Öllampe behutsam vor sich hinstreckend, und murrte undeutlich noch all jene zornigen Gedanken, um die sein Weib durch das voreilige Türzuschlagen gekommen war.

      »Bei dan Loden mißt ma se a mal rausreißen!«

      Mit diesen Worten setzte er, in der Mitte der unteren Hausflur stehend, das wütende Selbstgespräch fort, hob die Laterne in Schulterhöhe und leuchtete rundum.

      »Warum ha ich se geheirat! A gudes Dienstmensch ls ebens noch lange kee gude Bäuerin«, sagte er dabei. »Se kunnte sich da Jungen ...«

      Hier brach er ab, und Marie sah durch die Türspalte, wie er eilig der Haustür zuschritt, deren zurückgestoßener Querbalken sein Mißtrauen beschäftigte. Er knurrte etwas von »Pack«, »Rumläufern« und »Nischtegutsen«, untersuchte umständlich das Türschloß, indem er den Schlüssel ab- und zuschnappen ließ, überlegte dann mit einem forschenden Blick nach der Tür der Gesindestube, ob er diesen Raum untersuche, begnügte sich aber, einigemal drohend zu husten, und trat dann eilig hinaus in den Hof.

      Marie horchte angespannt nach der Richtung seiner Schritte, glaubte wahrzunehmen, wie das Schlürfen sich nach rechts, nach den Ställen zu, verliere, faßte sich ein Herz und war bald draußen. Sie hielt sich dicht an den riesigen Düngerhaufen, um, von ihm gedeckt, sicher den Ausgang durch das kleine Hoftürchen zu gewinnen, und schaute indessen immer hinüber nach der langen Reihe der vergitterten kleinen Stallfenster, die doch gleich in dem schwachen Rot der wandelnden Laterne aufleuchten mußten. Der Hofhund rasselte mit der Kette in seiner Hütte, als sie um die Ecke des Wohnhauses schlich. Die wenigen Schritte zu der Hoftür, deren ungewisse Umrisse sie schon in dem Grau des Morgens unterscheiden konnte, legte sie eilig zurück, ohne Rücksicht auf die Entdeckung, weil ihre Flucht ja doch geglückt schien. Aber eben setzte sie den Fuß auf die große, ausgetretene Quader und hob die Hand nach der Falle, als das Türchen von einer Person, die draußen gewartet zu haben schien, langsam aufgeschoben wurde. Marie bemerkte einen Streifen schwelend roten Lichtes in den Hof fallen, wußte, daß es von Wendes Laterne sei, und trat hochklopfenden Herzens zur linken Seite dicht an die Wand des Wohnhauses, wo sie zum Teil von der Tür verdeckt wurde, und überließ es dem Zufall, entdeckt zu werden oder ungesehen zu entschlüpfen. Umständlich trat Wende ein, wartete, ob sich der Mensch melden werde, dessen Schritte er eben gehört hatte, hob endlich die Laterne und schrie in das Dämmern: »Na, wer is'n da?« Als sich nichts rührte, stieß er aus keinem anderen Grund mit einem Fluch die Tür nach der Wand, als seinen Zorn auszulassen. Ein unterdrückter Schmerzenslaut mischte sich in das Gepolter des Holzes. Marie war von der Tür an ihrer verwundeten Stirn getroffen worden und mußte aufstöhnen.

      Der Freirichter trat hinzu und leuchtete der erschreckten Magd ins Gesicht.

      »Du bist's!« sagte er mit freundlichem Erstaunen, als er Marie erkannte, »da braucht ma sich doch nich zu verstecken, wenn eens nich a so faul is wie andere.«

      »Ach nu, Herr ...«, stotterte Marie.

      Da sah Wende, daß sie Sonntagskleider trage.

      »Wenn hast du dir denn die Kleider angezogen?« fragte er gedehnt.

      »Vor eener halben Stunde«, antwortete die Magd.

      »Hm! Und warum versteckst de dich denn vor mir? Und warum haste denn den Kopf verbunden, daß man dich kaum kennt?« fragte er nach einer Pause wieder, und seine Stimme bebte erregt.

      »Weil ich fort will – nee, muß!« entgegnete Marie, die ihrer Bestürzung Herr zu werden begann.

      »Zur Nähtern, oder ei de Kirche, gell ja, aso meenste du doch fort?«

      »Nee ganz, auf immer«, brach es aus Marie in peinvoller Erregung.

      »Ja«, machte Wende höhnisch unter einem kurzen Husten.

      »Ganz! Muß! Was de nich sagst! Was fährt dir denn ei de Krone, he, Marie, du? Hast du nich Essen und Trinken multum viel genung bei mir? Darfst du dich über die Arbeit beschweren? Sein dir etwan fufzig Taler noch zu wing Lohn? Muß«, begann er aufs neue und lachte sarkastisch, »hm, hm, wir wissen das schon. Ja, und da dacht' ich, du standst fester wie die andern Menscher. Seit wann mußte du denn?«

      »Herr, ich bin wie immer; aber ich muß doch. Wenn Sie mich nicht fortlassen, ich wüßt' nich, was ich ... ich müßt' ins Wasser!« antwortete Marie.

      »Aber Marie, wenn's nischt Böses ...«

      »Kee Wort kann ich sagen, ich erwürgte am erschten«, schnitt sie mitten in seine Rede. »Ich bitt' Sie um Maria und Christi willen, lassen Sie mich fort! Sie hörn alles, wenn ich nich mehr da bin. Ich besorg' Ihn eene andre Magd. Aber ich muß. Ach Gott, ach Gott!«

      So bat das Mädchen. Sie hatte des Bauers Rechte ergriffen und drückte sie, weil sie in ihrer Verzweiflung nicht wußte, was sie tat. Wende fühlte, daß sie am ganzen Leibe zittere. Ehe er sich versah, knurrte er halb gerührt, halb mißvergnügt:

      »Na, wenn's halt gar nicht geht, da.«

      »Gott bezahl's Ihn!« rief Marie und eilte davon.

      Im nächsten Augenblick reute es den Großbauern. »Aber, was ich sagen wollte!« rief er.

      Allein auf der Straße verklangen schon ihre flüchtenden Schritte.

      »Ah, da geh. Die Weiber! Da hat eben jede ihren Teufel!« rief er hinter ihr her, nahm die Laterne auf und setzte seinen Weg fort. Plötzlich lachte er laut auf und schüttelte sich wie ein nasser Pudel vor Vergnügen: »Die hat ja ihr Dienstbuch nich mite!«

      Noch war das Rot des Morgens nicht da; ein sterbensblasses Licht, ein erfrorener Schein lag unbeweglich über den Wäldern, und darin schwamm die erlöschende Sichel des Mondes. Nebelschleier häkelten um die schneebestäubten Sträucher, graue Schwaden wiegten sich träge um die Waldränder, und die Berge selbst sahen aus wie riesiges Gewölk, das vom Himmel lautlos herabzufließen schien. Noch strich kein Flügel, noch knirrte keines Getieres Fuß über die erste Schneedecke. Fern surrte der Bach des Kronerloches, und tief aus dem Walde ertönte ein gähnendes Knarren, wie es Stämme hervorbringen, die sich aneinander reiben.

      Marie hielt in dem eiligen Gange inne und schaute sich ängstlich um. In das Gewölk der Höhe war mit dem Morgenwind Bewegung gekommen.

      »Warum is sie nich lieber über alle Berge gegangen«, sann sie über das Schicksal ihrer Herrin nach, indem sie sich das zornesblasse Gesicht Wendes mit seinem wuchernden, braunen Barte vorstellte.

      »Aber das kommt alles, wenn man tut, was ma nich soll.«

      Dieser Gedanke beschleunigte ihre Schritte noch mehr. Fast laufend erklomm sie die Hügel und sank in die Mulden, schnell starb das Geräusch der Wasser hinter ihr, Sträucher huschten vorbei, und je heller es wurde, um so eiliger rührte sie ihre Füße.

      »Was ma nich tun soll!« das peitschte sie.

      Sie eilt durch Dörfer, an einsamen Gehöften vorbei; Menschen begegnen ihr; sie springt, wo Graben sind; schreitet achtsam

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