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»Ein Schuss aus nächster, aus allernächster Nähe. Ehe Sie fragen, die Tote ist seit mindestens zwei Stunden tot und mit Sicherheit an den Folgen des Schusses gestorben. Das Projektil sitzt noch im Brustraum. Haben Sie irgendetwas gefunden, Papiere?«

      »Nein, nichts«, antwortete Frieda. »Nur da drüben die Schachtel mit den Ölkreidestiften und den Skizzenblock.«

      »Die habe ich auch gesehen.« Dr. Meiser sammelte ihr Besteck ein und verstaute es in ihrem Koffer.

      »Sie ist verheiratet. Am Ringfinger der rechten Hand steckt ein schmaler Ehering.«

      Dr. Meiser nickte. »Wer hat die Tote denn entdeckt?«

      »Ein Förster.«

      Der Zeuge, Thomas Schenk, Revierförster des Forstbetriebes Blankenheim, hatte die Tote bei seiner täglichen Runde gefunden. Um genau 9:10 Uhr. Eigentlich war es sein Hund Artur gewesen, der die Leiche, die abseits eines Trampelpfades lag, erschnüffelt und verbellt hatte. Sonst läge sie vermutlich noch immer unbeachtet im Wald und wäre irgendwann ein gefundenes Fressen für Insekten oder Wildschweine geworden. Artur war dazu ausgebildet, Kaninchen, Füchse oder Rebhühner, verletzt oder tot, aufzuspüren und sein Herrchen an den Fundort zu locken, den er selbst erst verlassen durfte, wenn das kranke oder tote Tier aufgelesen war. Aber er schien keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier zu machen. Er trug ein Halsband mit einem Peilsender, und so war Schenk nicht darauf angewiesen, mit seinem Gehör, das ausgezeichnet war, das ungestüme Gebell zu orten, sondern konnte per GPS den genauen Standort seines Hundes bestimmen.

      Nachdem Schenk Artur gelobt hatte, als hätte er den heiligen Gral gefunden, versuchte er, noch an Ort und Stelle die Polizei zu benachrichtigen. Als er keine Verbindung zum Internet aufbauen konnte, befahl er Artur, die Tote zu bewachen, lief hinunter an den Waldrand und stellte sich nach hundert Metern aufs freie Feld.

      Von dort nahm die Meldung ihren Weg und landete schließlich beim Chef der Mordkommission der Polizeibehörde Euskirchen, Hans Roggenmeier, der gerade erst im Büro eingetroffen und noch in Mantel und Hut war und auf der Stelle in das Büro seiner drei Mitarbeiter stürmte, wo er nur Frieda antraf. Brummer und Neugebauer waren in Kall, wo sie einer Zeugenaussage beiwohnten.

      Roggenmeier bestand darauf, dass sie sofort alles stehen und liegen ließen und in den Einsatz fuhren. Vermutlich wollte er nur von sich selbst ablenken und der Tatsache, dass er für diesen Fall nicht zur Verfügung stand. Aber das wäre Spekulation. Es war sein gut gehütetes Geheimnis, wie er einen Fall anpackte. Nur eines war sonnenklar, er selbst blieb hinter seinem Schreibtisch sitzen und machte von dort aus Druck, indem er sein Unverständnis darüber ausdrückte, warum alles so lange dauerte.

      Und so kam es, dass nicht zwei, sondern drei Kommissare im Blankenheimer Wald eintrafen und den Zeugen Förster Thomas Schenk ablösten, nachdem dieser seine Personalien hinterlassen hatten. Artur ging stolz bei Fuß und blickte sich mehrmals um, konnte sich kaum trennen, er hatte bis dato wohl noch keine menschliche Leiche aufgestöbert.

      Dr. Meiser musterte Frieda Stein mit skeptischem Blick. »Frieren Sie?«

      Frieda fror nicht, weil es kalt war, obwohl es das war, die Kälte kam in ihrem Fall aber eher von innen. Ein Zittern durchlief sie von den Sohlen ihrer Sneaker, an denen nasse, braune Blätter und Zweige klebten, bis zu den schwarzen Haarspitzen, die kurz und wild in alle Richtungen abstanden.

      Kein Wunder. Da lag zu ihren Füßen eine tote Frau. Wann würde sie selbst da liegen? Ihr eigener Tod rückte in greifbare Nähe. Eine Frage der Zeit. War es bisher nur dem Glück, dem Zufall oder dem Schicksal zu verdanken, dass es sie noch nicht erwischt hatte?

      Sie stand als Polizistin im Brennpunkt. Morddrohungen waren keine Seltenheit. Sie sollten ernst genommen werden, hieß es in der Polizeibehörde, aber nicht verängstigen. Leicht gesagt. Wenn ein Drohbrief in Friedas privatem Briefkasten in der Reinaldstraße lag, war das eine andere Sache, als wenn er im Büro eintrudelte. Danach konnte sie die nächsten Nächte nicht schlafen.

      Dr. Meiser, die von kleiner, kompakter Statur war und mit ihrer klassischen Vogelnestfrisur auch nur wenige Zentimeter hinzugewann, musste sich recken, um eine Hand auf Friedas Stirn zu legen. »Haben Sie Fieber?«

      »Quatsch!« Frieda schob die Hand ungeduldig weg. »Ich bin okay.« Ihr stand der Schweiß auf der Stirn. Sie hatte sich einen Moment gehen lassen, war ihren Gedanken gefolgt, aber nun war sie wieder da. »Tatort gleich Fundort?«, fragte sie schnell.

      Dr. Meiser drapierte ihren langen, bunten Schal neu.

      Brummer stieß Frieda in die Seite. »Nach der Obduktion.«

      »Gut aufgepasst.«

      »Irgendetwas Auffälliges, was Sie uns jetzt schon sagen können?«, wollte Frieda wissen.

      »Sie hat Farbe unter den Fingernägeln, an einer Hand und am Unterarm. Blau«, lächelte Dr. Meiser. »Sie hatte wohl gerade ihre blaue Phase.«

      »Und der blaue Stift fehlt in der Schachtel«, sagte Neugebauer. »Das habe ich notiert. Vielleicht finden wir ihn noch.«

      Dr. Meiser hörte nicht mehr zu. Sie zog ihr Handy hervor und beugte sich über das Display. Sie war immer in Eile, immer auf der Durchreise, von einem Leichenfund zum nächsten. Dass sie ein Privatleben hatte, konnte Frieda sich nicht vorstellen. Mit gesenktem Kopf strebte Dr. Meiser ihrem verstaubten Sportwagen entgegen, den sie am Waldrand hatte stehen lassen, stolperte über den Markierungskeil für eine Reifenspur und konnte sich im letzten Moment am Kotflügel festhalten. Sie stieg ein, warf den Motor unsanft an, klappte die Scheinwerfer auf, ließ sie aufleuchten und fuhr ein gutes Stück schlingernd rückwärts, ehe sie auf der Nebenstraße wenden konnte. Richtung B 51 brauste sie davon.

      »Opel GT Baujahr 63«, brummte Brummer anerkennend.

      »Wer’s braucht«, kommentierte Neugebauer.

      »Da würde ich gar nicht reinpassen.« Brummer bog seinen Brustkorb vor, die Schultern zurück und strich sich über seinen grau gewordenen Schnäuzer. Er war nicht muskulös, er wurde einfach nur dicker mit jedem Lebensjahr, das vorüberstrich.

      Neugebauer winkte ab. »Wäre auch zu peinlich, so ein alter Sack im Sportwagen.«

      Die Kollegen der KTU hatten inzwischen genügend Fotos von der Toten, dem Fundort und dem Zuweg geschossen. Sie sicherten die Schachtel Ölkreidestifte und den Skizzenblock. Sie sammelten die Stiefelette ein, auf der Sohle standen die Marke und die Größe. Gabor, Größe 39. Der Ehering, den sie der Toten vom Ringfinger gezogen hatten und in den ein Datum und ein Männername eingraviert waren, wanderte in einen kleinen Plastikbeutel. Felix # 1. Juni 2001.

      Abschließend zeigte einer der Kollegen Frieda eine Visitenkarte, die in einer der Gesäßtaschen der Edel-Jeans gesteckt hatte. Jeder Mensch ist ein Künstler, stand auf der Vorderseite.

      »Joseph Beuys«, sagten Brummer und Neugebauer wie im Chor.

      »Was ihr alles wisst!«, rief Frieda erstaunt.

      »Das weiß doch jeder«, erklärte der Techniker großspurig. »Beuys meint jedoch die prinzipielle Möglichkeit, Künstler zu sein.

      »Aha.« Frieda trat neben ihn, als er die Visitenkarte umdrehte. Zartbunte Seifenblasen oder Luftballons schwebten um die Buchstaben und Zahlen herum.

      »Malwestt, Inhaberin Anna Jordi«, las er vor. Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Homepage waren ebenfalls vermerkt. Die Anschrift war eine Straße in Blankenheim, vermutlich keine tausend Meter von der Stelle, an der sie standen.

      Frieda betrachtete die Karte eingehend. Die Schrift war verschnörkelt. Waren das Name und Anschrift der Toten? »Also, ich trage nicht meine eigene Visitenkarte mit mir herum, wenn ich im Wald spazieren gehe«, sagte Frieda.

      »Sie könnte es aber anstelle ihrer Papiere getan haben«, argumentierte Neugebauer. »Sie hatte keine Lust, das ganze dicke Portemonnaie und so weiter mitzunehmen.«

      »Ohne Handy geht doch heute niemand mehr vor die Tür?!«, hielt Frieda dagegen. »Wir sollten eher davon ausgehen, dass der Täter alle Identitätsnachweise an

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